Für ei­nen ech­ten Nut­zungs­mix

Editorial von Tracés 3/2015

Publikationsdatum
21-02-2015
Revision
25-08-2015

In New York und London sind in den letzten Jahren hochwertige Gebäude entstanden, die über zwei Eingänge verfügen. Der eine an der Hauptstrasse führt zu den Luxusappartements. Der andere auf der Rückseite ist für die Bewohner der wenigen Sozialwohnungen reserviert, die von zynischen Werbefachleuten geplant wurden, um von den Subventionen und Steuerbefreiungen für Immobilienprojekte zu profitieren, bei denen der Sozialmix gefördert wird.

Das Ausschreibungsprogramm des Loses A für die Haltestelle der CEVA in Chêne-Bourg, zu dem Tracés in der Ausgabe 3/2015 das wunderschöne preisgekrönte Projekt von Lacaton & Vassal vorstellt, ist – bei aller gebotenen Verhältnismässigkeit – für den Funktionsmix das, was die «Eingangstür der Armen» für den Sozialmix ist. Der Programmmix, der sich darauf beschränkt, Büros und Wohnungen vollständig autonom nebeneinander bestehen zu lassen - im Wettbewerb wurden zwei getrennte Eingänge gefordert, die von zwei unterschiedlichen Aufzügen bedient werden -, verhindert zwar gewiss das «Verteidigungssyndrom», fördert aber keinesfalls das Nachdenken darüber, wie die Stadt durch die notwendige Verdichtung zu entwickeln wäre. Diese Art und Weise, sich die Vielfalt der Nutzungsformen innerhalb eines Gebäudes vorzustellen, unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der Monokultur der Nachkriegsbauten.

Eine Monokultur, die Lacaton & Vassal missbilligen. Mit ihrer Studie «Plus. Les grands ensembles de logements. Territoire d’exception» verschreiben sie sich der Vision der Moderne - Le Corbusier oder die revolutionäre sowjetische Architektur - und kämpfen für die gemeinsame Nutzung der unteren Etagen: Die Eingangshalle verwandelt sich in einen Empfangsbereich und eine Conciergerie, die ersten Etagen beherbergen eine Kinderkrippe, ein Restaurant, eine Bibliothek, usw. Für Lacaton & Vassal heisst es: «Faire du logement, c’est faire de l’urbanisme». Die Qualität eines Gebäudes und dessen Programm vermehren sich durch «Kontamination» des Nachbargebäudes, und aus dieser Entwicklung entsteht nach und nach die Stadt.

Da kein mutiges Programm für den Wettbewerb in Chêne-Bourg vorlag, konnten Lacaton & Vassal ihre ideale Variante des kollektiven Wohnens nicht entwickeln. Aber ihre Vision erinnert daran, dass der Funktionsmix mehr ist als die einfache Übereinanderstapelung von Geschäfts-, Büro- und Wohnetagen. Die nur von einigen Genossenschaften - vor allem deutschschweizerischen - umgesetzte tatsächliche Nutzungsvielfalt muss von nun an auf alle Arten von kollektiven Wohntypen ausgeweitet werden, ganz gleich, ob sie von der öffentlichen Hand oder von privaten Investoren finanziert werden. Die Vielfalt wird damit eng mit einer neuen Qualität des städtischen Lebens einhergehen.

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