«Man muss nah an den Auf­trag­neh­mern sein»

Erweiterung Kunsthaus Zürich

Kurz vor Schlüsselübergabe blickt das Projektteam zufrieden auf die vergangenen zwölf Jahre Planung und Ausführung zurück. Im Interview berichten die drei Leitenden des operativen Geschehens über den Wert einer vertrauensvollen Zusammenarbeit und die Herausforderungen, die sie dank diesem Teamgeist gemeistert haben.

Publikationsdatum
11-12-2020

TEC21: Wie ist das Projekt zur Kunsthauserweiterung organisiert?

Rahel Fiechter (Amt für Hochbauten): Die Projektorganisation ist klassisch: Wir drei – Dag Vierfuss, Niels Hochuli und ich – bilden das Projektteam und leiten die operative Projektabwicklung. Wir sind in der Linie das Bindeglied nach oben und unten. Nach oben zur Baukommission, die für die strategische Projektsteuerung zuständig ist, und zur Einfachen Gesellschaft Kunsthaus-Erweiterung (EGKE), die für die Gesamtsteuerung verantwortlich zeichnet; und nach unten zum Planungs- und Aus­führungsteam und zu den Unternehmern. Ich bin seitens des Amts für Hochbauten der Stadt Zürich fürs Projektmanagement zuständig und leite im Auftrag der EGKE das Projektteam.

Niels Hochuli (Dreicon): In unserer Funktion als Gesamtleiter Bau vertreten wir David Chipperfield Architects gegenüber den Planungsteams, der Bauherrschaft und dem Nutzer. Wir koordinieren übergeordnet die Planungs- und Ausführungsorganisation und übermitteln die Entscheide der Bauherrschaft in die einzelnen Teams. In unserer direkten Führungs­linie zum Planerteam stehen der Leiter Planung und der Leiter Ausführung.

Dag Vierfuss (Kunsthaus Zürich / Brandenberger + Ruosch): Und ich vertrete sowohl die Nutzerin, also die Zürcher Kunstgesellschaft, als auch die Betreiberin und Eigentümerin, die Stiftung Zürcher Kunsthaus. Dementsprechend bin ich zusammen mit dem Team des Kunsthauses dafür verantwortlich, die Anforderungen für den späteren Betrieb des Museums zu definieren. Ich begleite den Planungs- und Ausführungsprozess in Bezug auf die Umsetzung dieser Anforderungen und bin damit auch verantwortlich fürs Qualitätsmanagement seitens Kunsthaus und die Vorbereitung des Museumsbetriebs.

TEC21: Welche übergeordneten Ziele wurden für das Projekt formuliert? Und wie kontrolliert man, ob sie erreicht werden?

Fiechter: Die übergeordneten Projektziele wurden bereits mit dem Wettbewerb formuliert und gelten unverändert. Unter anderen sind das: ein städtebaulich, architektonisch und aussenräumlich qualitätvoller und zeitgemässer Bau, ein optimales Museumslayout für Kunst und Publikum sowie ein wirtschaftlich vorbildliches und ökologisch nach­haltiges Projekt, das über den gesamten Lebenszyklus auf die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft ausgerichtet ist. Diese Ziele wurden laufend auf die einzelnen Projektphasen heruntergebrochen und allseitig kontrolliert. Im Verlauf des Projekts haben sie nur wenige Änderungen erfahren. Bedeutende Änderungen betrafen das Volumen, die Setzung und den Verzicht auf eine Autoeinstellhalle. Natürlich mussten wir als Folge der langen Projektdauer einzelne Justierungen vornehmen, etwa aufgrund neuer Technologien wie LED oder geänderter regulatorischer Bedingungen.

Vierfuss: Neben den übergeordneten Zielen sind die Details enorm wichtig. Wir haben 2010 ein umfassendes Projektpflichtenheft – quasi eine «Projektbibel» – erarbeitet. Darin sind beispielsweise die klimatischen Anforderungen oder die Rutsch­festigkeit des Bodens für jeden einzelnen Raum fixiert. Dieses Dokument war zentral für die Planung und Realisierung des Objekts, es schaffte Ruhe und Verbindlichkeit zwischen allen Beteiligten.

Fiechter: Übergeordnet dazu haben wir das Projekthandbuch mit den Aufgaben, Verantwortungen und Kompetenzen erstellt und zu jeder SIA-Phase aktualisiert.

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TEC21:  Wie weit konnte das Wettbewerbsprojekt umgesetzt werden? Gab es Forderungen von architektonischer Seite, die nicht umsetzbar oder mit den übrigen Projektzielen nicht vereinbar waren?

Hochuli: Rückblickend kann man wohl sagen, dass die Architekten «keine Federn lassen» oder wehmütig auf ihr Wettbewerbsprojekt zurückblicken mussten. Und das gilt nicht nur für das Projekt auf dem Papier: Dank der authentischen, handwerklichen Qualität der ausgeführten Arbeiten entspricht der Bau dem Ursprungsentwurf bis ins Detail sehr genau.

Vierfuss: Natürlich gab es Details, für die zusammen mit uns und den Unternehmern noch Lösungen gefunden werden mussten. Die gestalterische Hoheit lag während des ganzen Prozesses bei den Architekten.

TEC21: Wie liessen sich die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft ins Projekt integrieren?

Fiechter: Wir konnten im Projekt alles umsetzen, was gefordert war. Ein Beispiel dafür ist der treibhausgasreduzierte Zement oder der Recycling­beton.

Vierfuss: Prinzipiell gibt es da keine Zielkonflikte. Zum Beispiel Ökonomie und Ökologie: Die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft beziehen sich auch auf die Sekundärenergie, die zum Betrieb des Gebäudes anfällt – das schlägt sich direkt über reduzierte Energiekosten nieder. Speziell nennen möchte ich die passive Klimatisierung des Gebäudes, die zu einem grossen Grad über die thermoaktiven Bauteile erfolgt. Das heisst, die effektive Lüftung dient hauptsächlich der Lufthygiene und nur zum Teil der Klimatisierung. Das Gebäude ist quasi ein Klimaschwamm.

Fiechter: Der Bau ist ökologisch absolut wegweisend: Die Kennwerte des Gesamtenergiebedarfs und des CO2-Verbrauchs sind im Vergleich zu anderen Museumsneubauten massgeblich reduziert.

Vierfuss: Für die Umsetzung der Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft in einem Museum gab es weder Vorbilder noch konkrete Zertifizierungs­vorgaben. Der Neubau ist damit ein Zukunftsobjekt.

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TEC21: Was waren die grössten Herausforderungen in Planung und Realisierung?

Vierfuss: Auf technischer Seite gab es kaum unvorhersehbare Herausforderungen. Eine Aus­­nahme war die besondere Bedeutung des Sichtbetons: Den sehen alle als Erstes. Hätten wir den nicht gut hin­gekriegt, würden alle über den Beton statt über das Museum sprechen. Die Qualität musste also stimmen, und wir haben viel Energie in dieses Thema gesteckt.

Fiechter: Zur Verarbeitung des Betons muss man erwähnen, dass sich die Ausführung über zwei Bausaisons zog. Im Winter mussten wir witterungsbedingt die Rezeptur des Zements anpassen. Und das tritt nun farblich in Erscheinung: Im Untergeschoss ist ein anderer Beton verbaut als im übrigen Gebäude. Das wusste man von Anfang an, es war also eher eine Herausforderung als eine Überraschung. Wichtig dabei war, dass der Wechsel nicht mitten in einem Geschoss ersichtlich ist.

TEC21: Wie funktioniert die Kommunikation der Gesamt­leitung nach aussen?

Fiechter: Bei der externen Kommunikation war es uns ein grosses Anliegen, die Dialoggruppen und Adressaten adäquat anzusprechen. Das wurde schon zu Beginn des Projekts in einem entsprechenden Konzept so festgeschrieben. Die externe Kom­mu­nikation orientiert sich entlang der baulichen Meilensteine. Dabei haben wir darauf geachtet, welche Gruppe sich für welche Themen interessiert: Die Fach­welt bedient man anders als Anwohnerinnen und Anwohner, denen beispielsweise Lärmfragen ein Anliegen sind. Da das Projekt mit privaten und öffentlichen Mitteln finanziert ist, war uns die Einbindung der Öffentlichkeit mit analogen und digitalen Anlässen sehr wichtig. Auch haben wir in regelmässigen Abständen Medienanlässe durch­geführt, und die Nutzerin wird diese Linie wohl mit ihrem eigenen Konzept weiterverfolgen. Durch all diese Kommunikationsmassnahmen wurde auch die öffentliche Wertschätzung spürbar.

Vierfuss: Die Bevölkerung hat mit der Volksabstimmung die Erweiterung des Kunsthauses massiv unterstützt, deshalb wollte man sie auch unbedingt am Entstehungsprozess teilhaben lassen. Ziel der Architekten und des Kunsthauses war von Anfang an, eine Selbstverständlichkeit für die Besucher zu schaffen. Die Öffentlichkeit soll zwar erfahren, dass das Kunsthaus ein hochkomplexer Bau ist, als Besucher aber von der betrieblichen Komple­xität nichts mitkriegen – zwischen der Kunst und dem Publikum darf keine Barriere bestehen.

TEC21: Welche Rolle spielten die bestehenden Bauten des Kunsthauses und die Infrastrukturen am Heimplatz?

Vierfuss: Der Neubau soll zusammen mit den drei Bestandsbauten künftig als Ensemble daherkom­men. Wichtig ist das Miteinander und nicht ein Gegenüber. Dies erforderte eine programmatische Orchestrierung, damit kein Kannibalismus der Nutzungen untereinander entsteht. Die unterirdische Passage spielt dabei eine wichtige Rolle – sie macht das neue Ensemble erst richtig erlebbar. Diese Passage im Tagbau unter laufendem Betrieb des Heim­platzes zu bauen war übrigens eine technische und verkehrliche Heraus­forderung. Auch musste der über 100-jährige Moser-Bau dafür temporär und unter Betrieb mit Mi­kro­pfählen um wenige Millimeter angehoben werden.

Fiechter: Zudem war die Koordination aller Werkleitungen am Heimplatz komplex. Neben den unzähligen betroffenen Werken gab es in der Planungsphase gleichzeitig auch noch das Tiefbauprojekt zur Platzgestaltung. Während der erschütterungsreichen Arbeiten gab es eine messtechnische Bauwerksüberwachung an den benachbarten Bestandsbauten.

TEC21: Das Projektmanagement umfasst derzeit rund 30 Planer- und etwa 150 Werkverträge. Weshalb haben Sie sich für ein Modell mit Einzel­auftragsnehmern entschieden?

Fiechter: Grundlage für den Entscheid war eine projektspezifische Chancen-Risiko-Analyse. Ausschlaggebend waren letztlich die hohen Qualitätsanforderungen und die Tragbarkeit der Risiken: Um in einem Projekt mitbestimmen zu können, muss man nah an den Auftragnehmern sein. Nun, da die hohe handwerkliche Qualität der Umsetzung sichtbar ist, können wir rückblickend sagen, dass es die richtige Entscheidung war. Zudem hat sie uns auch grosse Agilität bei Projektänderungen gegeben.

TEC21: Wem obliegt die Kostenkontrolle?

Fiechter: Die Kostenkontrolle erfolgt stufengerecht gemäss den Zuständigkeiten und Kompetenzen, die in den Verträgen festgehalten sind. Die verbind­liche Basis dafür ist der Kostenvoranschlag aus dem Bauprojekt plus den Bauherrenreserven, die bei Projekten mit städtischer Beteiligung üblich sind. Für die übergeordnete Kostensteuerung sind wir zuständig. Wir verfolgen ein konsequentes Projektänderungswesen, schaffen Transparenz bei Vergabereserven und führen ein rigoroses Nachtragsmanagement.

Im Änderungswesen hat die Bauleitung lediglich finanzielle Entscheidungskompetenzen bis zu einem Betrag von 5000 Franken. Alles, was da­rüber liegt, wird im Kostenmanagement bearbeitet. Projekt­änderungen gelangen mit unserer Empfehlung an die Baukommission, der die Reservebewirtschaftung seitens Bauherrschaft obliegt.

Vierfuss: Hier war das Kostenbewusstsein aller Beteiligten und besonders innerhalb des Projektteams ganz speziell. Zu oft geht vergessen, dass es auch bei Qualitätsanforderungen eine Unter- und Übererfüllung gibt – beide Abweichungen vom Soll sind falsch. Auch wenn eine Übererfüllung von Qualitätsanforderungen eine tolle Sache ist, verwalten wir private und öffentliche Gelder und sind zu einem wirtschaftlichen Umgang damit verpflichtet. Hierbei ist das Projektpflichtenheft sehr wichtig – denn ohne konkrete Vorgaben gibt es keine Kostensicherheit.

TEC21: Wurde der Kostenrahmen eingehalten?

Fiechter: Diese Grundlagen und die erwähnte Einstellung haben dazu beigetragen, dass wir Stand heute das Projekt innerhalb des Kostendachs inklusive Reserven abschliessen werden.

TEC21: Weshalb benötigt der Bau vor der Eröffnung eine Testphase von über einem Jahr? Wie hat sich diese auf die Planung und Realisierung ausgewirkt?

Fiechter: Wir müssen unterscheiden zwischen der Inbetriebnahme als Teil der Realisierungsphase, die bis zur Werkabnahme läuft, und der Betriebs­optimierung, die danach stattfindet. Wir sind bis zur Übergabe des Gebäudes verantwortlich. Danach erfolgt die Betriebsoptimierung bis zur Eröffnung des Museums.

Vierfuss: Nach der Werkabnahme dauert es dann noch rund ein Dreivierteljahr bis zum regulären Betrieb. Dabei steht die Sicherheit des Gebäudes und der Ausstellungsobjekte an oberster Stelle – es geht um den Schutz hoher kultureller Werte. Wir können uns keinen Testbetrieb leisten: Wenn das Museum in den Betrieb übergeht, darf es keine Sicherheitsmängel geben. Das ist wohl ähnlich wie bei einem Gefängnis oder einem Flughafen. Daneben ist auch die Klimatechnik von grosser Bedeutung, die internationalen Standards in Bezug auf das Handling der Kunst sind einzuhalten.

Als Teil der Betriebs­optimierung eröffnen wir im Frühling 2021 das Museum für kurze Zeit ohne Kunstwerke. Dies, um den Betrieb mit Besucherinnen und Besuchern als reale klimatische Lasten zu testen. Danach schliessen wir den Neubau wieder, um ihn bis zur Eröffnung im Herbst mit den Kunstwerken zu bestücken. Diese Verhaltenstests sind wichtig, weil wir kaum Erfahrungswerte mit vergleichbaren Objekten haben. Als Beispiel: Wir haben Betonbau­teile mit einer Dicke von 70 cm – diese Masse muss erst einmal trocknen. Hierzu hatten wir einen Austausch mit Tunnel­bauern. Überhaupt sehe ich gewisse Paral­lelen zum Tunnelbau: Der Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels ging ebenfalls eine lange Phase mit Tests voran. Auch müssen wir den Bestandsbau auf den Betrieb des Ensembles vorbereiten.

Hochuli: Ich finde nur schon die Inbetrieb­setzung allein imposant. So haben wir für eine erste Wintersaison bereits im Oktober 2019 damit begonnen, die Erdsonden in Betrieb zu nehmen. Also dauert die Inbetriebsetzung des Hauses und damit die Justierung aller technischen Anlagen schon ein Jahr.

Vierfuss: Wir haben den Prozess der Inbetriebsetzung mit integralen Tests bereits zu einem Zeitpunkt in den Werkverträgen festgeschrieben, als die einschlägigen Normen diese Leistungen noch gar nicht enthielten. Wir waren also gewissermassen Vorreiter in dieser Sache.

TEC21: Welche Erfahrungen nehmen Sie als Lehren für kommende Projekte mit?

Hochuli: Aus unserer Sicht sind es zwei wesentliche Dinge. Erstens würden wir in gewissen Bereichen – zum Beispiel Sicherheit (Türen) und Ent­rauchungen (RWA) – vehementer auf Mandate für Spezialisten bestehen. Das Projekt hat zwischenzeitlich eine derart hohe Komplexität angenommen, dass man bei einigen Themen nicht auf hochkompetente Spezialisten verzichten kann. Zweitens wünschen wir uns für kommende Projekte ebenso verlässliche Projektgrundlagen wie unser Projektpflichtenheft.

Vierfuss: Teamplay – hinter jedem erfolgreichen Projekt steht ein erfolgreiches Team. Das hat sich einmal mehr bestätigt. Im technischen Bereich gab es einzelne Details, an denen ich zusätzliche Erfahrung sammeln konnte. Ein Beispiel ist das Türmana­gement, das hier eine riesige Herausforderung war.

Fiechter: Dem kann ich mich nur anschliessen. Wenn ein gutes Vertrauensverhältnis besteht, kommt man als Team durch noch so stürmische Zeiten im Projekt. Und genau dieses Vertrauen muss man bei jedem personellen Wechsel wieder aufbauen. Darin muss man Zeit investieren. Das Projekt läuft gut, wenn die richtigen Leute am richtigen Ort sind. Wenn die Besetzung nicht stimmt, sollte man nicht zusehen, sondern unverzüglich eingreifen.

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