Ernst Gi­sels Ver­mächt­nis

Als einer der einflussreichsten Architekten der Nachkriegsmoderne in der Schweiz hat Ernst Gisel schon vor Jahren einen Œuvrekatalog vorgelegt. Jetzt liegt die Publikation zu Gisels Bauschaffen in einer überarbeiteten Neuauflage vor.

Publikationsdatum
30-12-2011
Revision
01-09-2015

Gegenwärtig rückt die Nachkriegsmoderne immer mehr ins Bewusstsein der Architekturhistoriker, nicht zuletzt da derzeit viele Bauten der 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahre saniert oder umgebaut werden. Als 1993 die Monografie über Ernst Gisels Werk im Zürcher gta Verlag erschien, gehörte sie im Verlagsprogramm zu den ersten Büchern zur Architektur der Nachkriegszeit und war nach kurzer Zeit vergriffen. 17 Jahre später liegt die überarbeitete, erweiterte und aktualisierte Neuauflage nun in Leinen gebunden vor.

Markante Akzente

1945 eröffnete Ernst Gisel sein eigenes Architekturbüro in Zürich. Zuvor hatte der gelernte Hochbauzeichner bei Alfred Roth gearbeitet, der ihn in die Ideen der Moderne einführte. Nach Wettbewerbserfolgen vollendete er 1955 seinen ersten grossen Wurf, das Parktheater in Grenchen. Dieses zeigt bereits Gisels skulpturale Handschrift, aber auch den unverkennbaren Einfluss skandinavischer Architekten, namentlich den von Alvar Aalto. Gisels Atelier wuchs, in den folgenden Jahrzehnten realisierte es eine Vielzahl oft komplexer Bauten. Zu den bedeutendsten ge hören das Schulhaus Letzi in Zürich (1954–1956), die Reformierte Kirche Effretikon (1958–1961), die Reformierte Kirche Reinach (1961–1963), das Hallenbad und Kongresszentrum Davos (1962–1969) und, im Fürstentum Liechtenstein, das Gymnasium Vaduz (1970–1973). In der Folge dehnte Gisel seinen Tätigkeitsradius nach Deutschland aus, wo er ebenfalls bedeutende öffentliche Bauten plante und ausführte. Seine bis ins Jahr 2008 reichende Werkliste umfasst rund 300 Bauten und Projekte. Mit seiner Entwurfs- und Bautätigkeit setzte Gisel Akzente und befruchtete den architektonischen Diskurs. Er folgte nicht dogmatischen Programmen, sondern ging seinen eigenen Weg. Heute blickt der 88-Jährige auf ein reiches, individuell geprägtes Œuvre zurück.

Aktualisierung, neue Aspekte

Was ist seit der ersten Auflage der Publikation hinzugekommen? Die bisherigen Inhalte wurden übernommen, wenige Fotos ausgetauscht und die Abfolge teilweise umgestellt. Selbstverständlich wurde die kommentierte und reich bebilderte Werkübersicht um Entwürfe der letzten Jahre ergänzt. Auch werden weitere frühere Werke vorgestellt. Spannend ist insbesondere, wie Gisel selbst seine älteren Bauten erweitert: so das Parktheater Grenchen und die Kirche Effretikon. Neben diesem typologisch geordneten Hauptteil des Buches kommen neue Textbeiträge namhafter Autoren hinzu. Stanislaus von Moos führt in seinem Aufsatz die These aus, dass viele von Gisels Bauten sich auch als dreidimensional inszenierte Entwurfsprozesse präsentieren. Arthur Rüegg widmet sich den Möbelentwürfen, Andreas Tönnesmann dem Maler und Kunstsammler Gisel – beides Aspekte, die bisher zu wenig Beachtung fanden. Alles in allem werden der Architekt und sein Werk in ihrem zeitgeschichtlichen Konzept gut fassbar. 

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