En­er­gie­re­gio­nen ge­hen vor­an

Ausbau erneuerbarer Energien

Bei der Realisierung von neuen Energieanlagen ist es entscheidend, im Gespräch nach guten, landschaftsverträglichen Lösungen zu suchen. Die Energieregionen müssen noch stärker als bisher eine Plattform für den Dialog bieten. 

Publikationsdatum
01-12-2016
Revision
02-12-2016

Wesentliche Pfeiler der Energiestrategie des Bundes sind die Förderung der ­erneuerbaren Energien sowie eine ­Verbesserung der Energieeffizienz. Letzteres ist unumstritten, Initiati­ven für neue Energieanlagen hingegen stossen oft auf Widerstand. Sie können das Landschaftsbild beeinträchtigen, das Ortsbild stören oder sich negativ auf natürliche Ökosysteme auswirken. In diesem Spannungsfeld sind lokale Lösungen gefragt, die das übergeordnete Ziel der Energiewende näher bringen. Auf kommunaler und regionaler Ebene wollen Energiestädte und Energieregionen solches bewirken. Seit 2012 werden sie vom Bundesamt für Energie mit dem Programm «EnergieSchweiz für Gemeinden» unterstützt. Diesen Sommer 2016 wurde das vierjährige Förderprogramm erneuert; 24 Energieregionen nehmen daran teil. 

Der Toggenburger Pionierweg

2009 gründeten einige Pioniere das Energietal Toggenburg (vgl. TEC21 15-16/2012). Die Initianten verfolgen das visionäre Ziel, das Tal bis im Jahr 2034 von Energieimporten unabhängig zu machen. Bis 2059 soll zudem die 2000-Watt-Gesellschaft Realität werden. «Erfolgreich waren wir in den letzten Jahren bei der Solar­energie und den Wärmeverbünden», erläutert Thomas Grob, Präsident und Geschäftsführer des Energietals Toggenburg. Solarenergieprojekte sind attraktiv, weil die Menschen direkt miteinbezogen und so auch für das Energiethema sensibilisiert werden können.

Der in den Toggenburger Gemeinden produzierte Solarstrom summierte sich 2013 auf 756 300 kWh. 2015 waren es bereits 1 305 600 kWh, was einer Zunahme von 73 % entspricht. Pro Kopf sind es 288 kWh, mehr als doppelt so viel wie im Schweizer Durchschnitt (der Stromverbrauch pro Kopf beträgt in der Schweiz etwa 7500 kWh). Dazu tragen einige grosse PV-Anlagen auf Fabrik- und Gewerbedächern bei, aber auch die Anzahl kleiner Anlagen auf Einfamilienhäusern ist beachtlich. Das Potenzial auf den Gewerbe- und Industriebauten sei noch lang nicht ausgeschöpft, sagt Grob. «Im Moment stockt aber der weitere Ausbau, weil im Rahmen der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) aufgrund fehlender Mittel und der langen Wartelisten kaum neue Projekte zur Realisierung freigegeben werden können.» Zudem ist die Zukunft der KEV ungewiss. Das Parlament hat entschieden, dass diese ausläuft und durch andere Instrumente ersetzt werden soll. 

Die 24 Wärmeverbünde beziehen ihr Holz primär aus Toggenburger Wäldern. Die grösste Anlage steht in Nesslau und wandelt jedes Jahr den Energie­inhalt von 25 000 m3 Holzschnitzeln und Sägereiabfällen in 2400 MWh Strom und 10 000 MWh Wärme um. In Wattwil nahm im September ein neuer Wärmeverbund den Betrieb auf. Für die Produktion von 11 000 MWh Wärme wird die Anlage in einem Jahr im Endausbau 19 000 m3 Holzschnitzel benötigen.

Erfolge sind auch bei der Kleinwasserkraft zu verzeichnen. Bis auf ein ehemaliges Wasserkraftwerk in Lichtensteig sind alle bestehenden Anlagen reaktiviert worden. «Bei alten Anlagen besteht ein gewisser Spielraum, insbesondere wenn sich mit der Erneuerung auch ökologische Verbesserungen erzielen lassen», erläutert Thomas Grob. Neue Anlagen in bisher unberührten Bächen hingegen seien aufgrund der restriktiven Haltung der Bewilligungsbehörden und des Widerstands aus Naturschutzkreisen praktisch unmöglich. Im Toggenburg sind denn auch drei Projekte in Nesslau, Ebnat-Kappel und Krummenau gescheitert.   

Wenig Windenergie

Bisher sind im Toggenburg erst wenige Windräder in Betrieb. Der Kanton St. Gallen führte eine Planung für die Windenergie durch, die aber noch nicht veröffentlicht ist. In der Region sind einige wenige Standorte denkbar; es wird in absehbarer Zeit sicher nicht ein Windpark neben dem anderen entstehen. Die jüngste Windturbine steht beim Bergrestaurant Gamplüt oberhalb von Wildhaus. Der Besitzer betreibt die Gondelbahn bereits mit eigenem Solarstrom, und der aus dem Wind gewonnene Strom ergänzt nun die eigene Produktion in idealer Weise.

Für den Bau der Anlage kämpfte Peter Koller mehrere Jahre gegen den Widerstand des Heimatschutzes. Realisieren konnte er nun ein Windrad mit sechs Rotorflügeln und einer Leistung von 80 kW. «Von den Gästen im Restaurant habe ich bisher nur positive Rückmeldungen erhalten», freut sich Koller. Die Anlage kann bereits bei schwachem Wind Strom produzieren. Sie ist leiser als herkömmliche Turbinen, und Vögel und Fledermäuse sollen sie angeblich als Scheibe wahrnehmen und deshalb ausweichen.

Das Energietal Toggenburg zeigt mit Konzepten auf, was möglich ist. Beispielhaft ist etwa das Regionale Energiekonzept der Energiestadtregion Obertoggenburg. Bei den erneuerbaren Energien will man vorwärts machen. Der Kurs stimmt, die ehrgeizigen Ziele sind aber noch lang nicht erreicht. «Wir wollen nicht die ganze Landschaft des Toggenburgs der Energie­gewinnung opfern», sagt Grob. «Wenn wir aber die Energiewende schaffen wollen, dann müssen wir auch zu gewissen landschaftlichen Opfern bereit sein», ist er überzeugt. 

Erfolge auch im Goms

Ebenfalls vor etwa zehn Jahren gründeten engagierte Personen im Oberwallis die energieregionGoms. Im Goms stellt die Landschaft das Kapital für den Tou­rismus dar. Wie geht man mit dem Spannungsfeld von neuen Energieanlagen, Landschaft und Natur um? ­Dionys Hallenbarter, Mitbegründer der Energieregion und eine der treibenden Kräfte, sagt dazu, man müsse jedes Projekt einzeln betrachten. Einen anderen Weg gebe es nicht. 

Den Beitrag der Energieregion, bei der alle Gemeinden im Goms mitmachen, sieht Hallenbarter unter anderem auch in einer moderierenden Rolle. Zum Teil wollen die Gemeinden selber Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien realisieren, sähen sich dann aber oft mit kritischen Stimmen aus dem Lager der Natur- und Umweltschutzorganisationen konfrontiert. «Die Kontrahenten sprechen oft eine völlig andere Sprache», sagt Hallenbarter. Gelinge es, die Basis für ein sachliches Gespräch zu legen, so zeichneten sich oft Lösungen ab. Dieser Prozess benötige aber Zeit. Und es gibt auch Fälle, wo kein Kompromiss gefunden wird, sodass die Gerichte eine Entscheidung herbeiführen müssen (vgl. Kasten unten).

Erfolge verzeichnete man im Goms bei der ­Förderung von Solardächern. In Ernen ist auf der Basis von Holzschnitzeln ein Wärmeverbund entstanden, der das ganze Dorf mit Wärme versorgt. Auch die Energieeffizienz ist wichtig. Ein neues Projekt widme sich der Baukultur, sagt Hallenbarter. Die alten Häuser seien zwar schön und charakteristisch fürs Goms, aus ­energetischer Sicht aber problematisch. Mit der Berner Fachhochschule wird aktuell abgeklärt, wie die Kosten für eine energetische Sanierung reduziert werden ­können. «Wir wollen herausfinden, wie sich alte Häuser isolieren lassen und wie beispielsweise ein Gommer Fenster aussieht», erklärt Hallenbarter. Ein anderes Projekt bietet Energieexkursionen im Goms in Kom­bination mit Workshops an. Hier ergeben sich auch Synergien mit dem Tourismus. 

Einigung nach intensiven Gesprächen

2012 baute die Walliser Firma SwissWinds Development beim Nufenenpass die höchstgelegene Windenergie­anlage Europas. Sie befindet sich in unmittelbarer Nähe des Griessees, der bereits für die Wasserkraft genutzt wird. Bei der Erweiterung des Windparks mit drei 131 m hohen Turbinen mit einer Leistung von je 2.35 MW war der Landschaftsschutz für einmal kein Thema. Der WWF forderte aber einen besseren Schutz für Fledermäuse, insbesondere für die seltene Bulldoggfleder­maus (Tadarida teniotis). Man einigte sich darauf, dass während der aktiven Zeit der Fledermäuse die Anlagen abgestellt werden.

Nach Angaben von SwissWinds liegen die Produktionseinbussen voraussichtlich in einem tiefen einstelligen Prozentbereich. Zudem wird in den ersten drei Betriebsjahren die Fledermausaktivität erhoben. Ziel ist es, die relevanten Zeitperioden für die Fledermäuse zu eruieren und darauf basierend die temporären Abschaltungen zu optimieren. Die vier Windturbinen werden rund 10 GWh Strom pro Jahr produzieren, was einem Verbrauch von ca. 2850 Haushalten entspricht. Ende September 2016 eingeweiht, dürfte der erste Windpark im Wallis in der Schweiz zu einem Vorbild für Windenergieprojekte werden.

Eine weitere Erfolgsgeschichte ist das Wasserkraftwerk in Gletsch, das derzeit durch die Forces Motrices Valaisannes FMV gebaut wird. Auch hier konnte mit den Umweltverbänden eine Einigung erzielt werden. Die Wasserfassung befindet sich in Gletsch; das Wasser wird in einem Stollen nach Oberwald geführt, wo sich die Kraftwerkszentrale befindet. Von dort wird das Wasser in eine bisher stark beeinträchtige Aue der Rhone zurückgegeben. Mit der Gemeinde, den kantonalen Behörden und Umweltverbänden einigten sich die FMV auf die Aufwertung der Auenlandschaft in diesem Gebiet im Umfang von bis zu 2 Millionen Franken. Davon profitiert nicht nur die Natur, sondern auch der Tourismus. Das neue Kraftwerk, das 41 GWh Strom pro Jahr liefert, kostet rund 65 Millionen Franken.

Anmerkung
1 Bundesgerichtsentscheid 1C_283/2012 vom 2. April 2014.


«Erneuerbare» versus Natur- und Landschaftsschutz

Das Bundesgericht entschied im April 2014, dass die Kraftwerke Obergoms lediglich einen von zwei Berg­bächen südlich von Oberwald nutzen dürfen.1 Beim Gonerliwasser, das in einem kleinen und unberührten Seitental liegt, von weit her einsehbar ist und sich durch zahlreiche kleine Wasserfälle auszeichnet, überwiege der Schutz die Interessen der Stromproduktion, begründete das Bundesgericht seinen Entscheid. Das Energiegesetz sehe zwar vor, die jährliche Energieproduktion aus erneuerbaren Energien massiv zu erhöhen. Deshalb sei den öffentlichen und privaten Interessen ein hohes Gewicht beizumessen. Laut dem Bundes­gericht haben sie aber nicht immer Vorrang. Im vor­liegenden Fall war entscheidend, dass die Wasserentnahme beim Gonerliwasser einen sehr geringen Beitrag zur Schweizer Energieversorgung geleistet hätte.

Mit der Energiestrategie 2050, über die im nächsten Frühling wahrscheinlich noch die Schweizer Stimmbürger zu befinden haben, könnten sich die Gewichte zugunsten der Förderung der erneuerbaren Energien verschieben. So soll deren Nutzung neu ex­plizit im ­nationalen Interesse liegen. Ob sich dadurch bei der Abwägung der Schutz- und Nutzungsinteres-­sen durch die Gerichte wirklich viel ändern wird, wie es etwa die Natur- und Heimatschutzorganisationen befürchten, bleibt abzuwarten. Der Entscheid zum Wasserkraftwerk in Oberwald zeigt, dass das Bundesgericht den erneuerbaren Energien bereits heute einen hohen Stellenwert einräumt.

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