Ein­satz in Op­fi­kon

Übungshaus für die Feuerwehr

In der Nähe von Zürich befindet sich eine der modernsten Brandsimulationsanlagen Europas. Wie sieht ein Gebäude aus, in dem ­unaufhörlich Feuer entfacht und gelöscht wird? Die Antwort von Staufer & Hasler Architekten verdient näheres Hinschauen.

Publikationsdatum
14-05-2014
Revision
18-10-2015

Für einmal soll Architektur ganz unmittelbar dem Überleben dienen: Wie rennt man in Feuerschutzkleidung durch einen in Flammen aufgehenden Raum? Wie rettet man darin jemanden? Was ist zu tun, wenn in der Garage das Auto brennt, im Salon der Fernseher, im Schlafzimmer das Bett oder im Dachstock die Holzbalken? Und wie orientiert man sich in diesen Situationen, wenn Rauch die Sicht verwehrt? Damit Feuerwehrleute Taktik und Technik erlernen, müssen sie den Ernstfall üben – und dafür benötigen sie ein Haus.

Jahrzehntelang wurden zu diesem Zweck in holzbefeuerten Brandhäusern alte Paletten angezündet. Doch so entfachte Brände lassen sich während einer Übung schwer regulieren, und das nachträgliche Räumen und Reinigen erfordert viel Zeit. Neue Brandhäuser werden deshalb mit Gas befeuert; das hat den Vorteil, exakt einstellbar und «sauber» zu sein, weil nichts Festes verbrennt und daher keine Asche entsteht. In solchen Brandsimulationsanlagen herrscht dank Technik Kontrolle. Die Intensität und Dauer des Feuers sowie das Löschen sind perfekt inszeniert. Das Erfolgserlebnis des Feuerwehrmanns, der die Flammen zum Erlöschen bringen soll, hängt von der Menge Wasser ab, die er auf die Sensoren leitet. Geregelt ist auch die Produktion von dichtem Rauch aus einer unschädlichen Mischung von Stickstoff und Rauchöl, geregelt sind seine Verteilung über Rauchgeräte und schliesslich die Sicherheit im Haus: Laufend werden Temperatur und Gaskonzentration gemessen, und beim Überschreiten eines Grenzwerts erfolgt ein «Notaus».

Sauberes Feuer

Zu den grössten und modernsten Brandsimulationsanlagen Europas gehört das «Brandhaus II» im Ausbildungszentrum Rohwiesen im Glattpark in Opfikon. Astrid Staufer und Thomas Hasler haben es nach einem gewonnenen Wettbewerb für die Erneuerung des Areals zusammen mit der Abteilung «Schutz & Rettung» des Polizeidepartements entwickelt. Auftraggeber war das Amt für Hochbauten der Stadt Zürich. Seit der Eröffnung 2011 verfügen Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienst und Zivilschutz über einen neuen Trainingsplatz.

Architektonisch wünschte «Schutz & Rettung» einen Bau mit komplexem Innenleben. Das Raumprogramm ermöglicht die Simulation unterschiedlicher Brandsituationen. Damit mehrere Gruppen gleichzeitig trainieren können, waren zwei Treppenhäuser notwendig. Weiter sollte den Aspiranten die Orientierung erschwert werden: Das Innere hatte einem Labyrinth zu gleichen, und um Wiedererkennungseffekte und Routine zu vermeiden, sollten Raumsituationen durch variable Wände und Türen veränderbar sein. 

Aus diesen Vorgaben haben Staufer & Hasler ein dichtes, räumlich komplexes und spannendes Gefüge geschaffen. Sechs Geschosse, verschiedene Treppenhäuser und Technikschächte sind eng ineinander verkeilt. Dazwischengestellte Wände erlauben eine kleinteilige Struktur mit über 30 Räumen. Besonders dicht wirkt das Konglomerat, weil unterschiedliche Kategorien nebeneinander stehen: Räume zum Üben, Räume zum Kontrollieren – und solche, die beidem dienen.
Den Übenden stehen elf «Zimmer» zur Verfügung, in denen typische Brandsituationen simuliert werden. Möbelattrappen aus Stahl deuten Nutzungen wie Labor, Küche, Wohn- oder Schlafzimmer an. Der Brandherd liegt dabei im vermeintlichen «Bett» oder in der «Küchenkombination». Der Kontrolle und Steuerung des Brands dienen Räume, die den Übenden nicht zugänglich sind: Technikschächte, Kommandozentrale und Lagerraum. Bei den restlichen Räumen schliesslich handelt es sich um Erschliessungs- und Vorzonen.

Skurriler Ort – vieldeutiges Fragment 

Die eigentliche Besonderheit des «Brandhaus II» ist seine Selbstbezogenheit. Fenster braucht es kaum, die Grundrisse bleiben vorbildfrei. Doch wie zeigt sich ein so autarker, ortsunabhängiger Innenraum nach aussen? Wie erkennt der Spaziergänger, dass er vor einem Brandhaus steht? Der Sichtbetonbau zeigt sich zur öffentlichen Nordseite hin als Flachdachgebäude mit verkohlter Fassade und zur arealinternen Südseite als helles Schrägdachhaus – so verlangte es die Vorgabe der Bauherrschaft. Diesen janusköpfigen Ausdruck bringen die Architekten mit dem Doppelcharakter von Bränden in Verbindung: Sie sind faszinierend und ungeheuerlich zugleich. Auf allen vier Seiten sind die Lüftungsfenster optisch so weit zurückgenommen, dass sie mit der Fassade verschmelzen. Die ungewöhnliche Geschlossenheit verweist auf die Nutzung im Innern: Weitere Fensteröffnungen sind zwar angedeutet, aber mit vorfabrizierten Betonelementen gefüllt. Deren Oberfläche schliesslich ist szenografisch konzipiert: Auf der «geflammten» Flachdachseite erkennt man die dunklen Spuren einer verkohlten Betonschalung, die von Feuer und Verbrennung sprechen; auf der Schrägdachseite sollen die Betonelemente sauber wirken und Zeichen für den kontrollierten, russfreien Gasbrand sein. 

Solche thematischen Verweise auf das Feuer bleiben dennoch fragmentarisch. Sie erzählen keine umfassende Geschichte; die Ablesbarkeit des Inneren – an der das Amt für Hochbauten ebenso interessiert war wie die Architekten selbst – erfolgt auf konstruktiv-formaler Ebene. Das eigentliche Thema des Hauses ist der Bau, nicht der Brand. Es geht um strukturelle «Wahrheit» – um die «Realität» der inneren Raumstruktur. Sie verschränkt sich mit der Fassade so, dass Geschossböden und Dach als horizontale Bänder erkennbar sind und die Aussenwände der Technikschächte als vertikale Streifen. Gezeigt wird, was trägt und was getragen wird. Einzigartig ist, dass die innere Tragstruktur für einmal tatsächlich an der Fassade sichtbar wird: Das «Brandhaus II» gehört zu den seltenen Betonhäusern der Schweiz, die keine Wärmedämmung brauchen. 

Doch sollte man einen solchen Diskurs über wahres Tragen und Zeigen ausgerechnet an einem Bau führen, der durch seine ausgefallene Thematik ungleich spannenderen Gesprächsstoff zu bieten hat? Die Passanten in Opfikon haben jedenfalls kaum je davon gehört. Sie sehen vor sich zunächst ein zeitgemässes Stadtfragment – einen grosszügigen Eingangsbereich, zwei Loggien, die Dachterrasse. Mit einer Traufhöhe von 18m entspricht das Gebäude dem typischen Zürcher Wohnhaus einer Blockrandbebauung. Die Fassade erinnert an städtische Bauten, wie sie hierzulande seit 20 Jahren entworfen werden. Auf den zweiten Blick ist der Betrachter irritiert: Weshalb die Brandspuren an der Fassade? Weshalb der geschlossene Charakter, der Eindruck eines «falschen Chalets» – eines getarnten Bunkers der Schweizer Armee? Weshalb gerade ein solches Gebäude in einer derart bizarren Umgebung – auf einer Übungsanlage mit Steintrümmern und herumliegenden Unfallautos? In einem Gebiet, wo breite Ausfallstrassen, ein Fernsehstudio und die Kehrichtverbrennung mit Äckern, Wiesen, Bäumen und Bächen kollidieren – mit Schrebergärten und dem einstigen Oberhauserriet, das derzeit zum urbanen «Glattpark» für tausende Bewohner und Arbeitende mutiert? «An diesem in jeder Hinsicht skurrilen Ort wollten wir mit unserem Bauwerk selber skurril sein und gerade das ausspielen, was es im normalen Architektenalltag zu verhindern gilt. Für uns ist das Haus ein vieldeutiges Fragment, wie seine komplexe Umgebung», so die Architektin Astrid Staufer.

Perfekte Inszenierung

Als Sonderling passt das «Brandhaus II» gut in sein Umfeld und bleibt ihm trotzdem irritierend fremd. Es ist perfekt kontrollierte Stadtarchitektur – an einem Ort, an dem dieser Stadt-Begriff wenig Sinn macht. Mit Feingefühl und einer meisterhaft komponierten Fassade wird zeitgenössische Schweizer Wohnhausarchitektur inszeniert: ebenso konventionell wie verfremdet, ebenso sinnlich wie hart. Die aussen angedeutete Zweiteilung des Baus findet im Grundriss Entsprechung, ist im einheitlich wirkenden Interieur aber kaum spürbar. Auch andere Themen werden bloss angedeutet und sublimiert: Der Russ an der Nordfassade verweist auf einen Brand, der im Innern nie stattfinden wird. Das Haus erzählt uns von einer perfekten, ästhetischen Welt – vom Stadtleben in der heutigen Schweiz. Mit diesen thematischen Schwerpunkten ist der inszenierte Bau ebenso ungefährlich wie die inszenierten Brände im Innern: «Alles ist absolut sicher, es kann nichts passieren!», garantiert der Verantwortliche stolz. Dabei passt zur perfekten Inszenierung auch der Erfolg: Die architektonisch ambitionierte Anlage hat sich für die Stadt als Marketingcoup erwiesen; sie wird an Feuerwehren aus der ganzen Schweiz vermietet und ist unter Insidern weltweit bekannt. Das Gebäude ist ein Spiel mit dem Feuer – ein Spiel mit jener Realität, die uns im Alltag aber längst abhanden gekommen ist.

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