Ein­hau­sung mit Fol­gen

Ersatzneubau Wohnsiedlung Neuwiesen, Zürich Schwamendingen

Die Baugenossenschaft Glattal Zürich (BGZ) nutzt die Einhausung der A1 zwischen Schwamendingen und Saatlen, um die Siedlung Neuwiesen durch eine neue Wohnüberbauung zu ersetzen. BS + EMI Architektenpartner gewinnen den Wettbewerb mit einem überzeugenden Entwurf aus hohen und niedrigen Zeilen.

Publikationsdatum
09-09-2021

Das ehemalige Bauerndorf Schwamendingen wurde im Jahr 1934 in die Stadt Zürich eingemeindet und wuchs seither stetig. Mit seinem Bebauungsplan legte Stadtbaumeister Albert Heinrich Steiner 1948 die Grundlage für die weitere Entwicklung als ­Vorstadtquartier mit genossen­schaft­lichen Zeilenbauten und vielen Grün­räumen. 1981 wurde der Autobahnabschnitt zwischen dem Schön­eichtunnel und Aubrugg eröffnet, der die Quartiere Saatlen und Schwamendingen-Mitte voneinander trennte. Mit dem Gestaltungsplan Ueberlandpark von 2015 soll diese Zäsur überbrückt und die Lärmbelastung für die ­Anwohnenden verringert werden. Dazu wird die A1 auf ­einer Länge von einem Kilometer eingehaust. 7 m über dem ­ge­wachsenen Terrain entsteht auf einem Hochplateau der Ueberlandpark, der die Schneise zwischen den beiden Quartieren überbrücken soll (vgl. TEC21 23/2015 «Eine Einhausung für Schwamendingen»).

Für viele Bauten aus der Nachkriegszeit eröffnet dies neue Möglichkeiten. Die Eigentümer dieser Liegenschaften profitieren von der verkehrsberuhigten Lage durch die Einhausung der Autobahn und von einer höheren Ausnutzungsziffer. Die Baugenossenschaft Glattal Zürich (BGZ) besitzt die Wohn­siedlung Neuwiesen, die im Nordwesten durch die Autobahn, im ­Nordosten durch die Saatlenstrasse und im Südosten durch die Luegislandstrasse begrenzt wird. Mit über 2000 Wohnungen ist sie eine der grössten Wohnbaugenossenschaften der Stadt Zürich. Gut die Hälfte des Gebäudebestands ist über 50 Jahre alt. Zur Weiterentwicklung ihres Wohnungsangebots hat die Genossenschaft ein Bauleitbild mit dem Credo «Lebensqualität für Generationen» entwickelt.

Die BGZ will die Wohnsiedlung ­Neuwiesen durch eine neue Wohnüberbauung mit rund 150 Wohnungen ersetzen. Zur Hälfte sind 3.5-Zimmer-Wohnungen vorgesehen, die ­andere Hälfte teilt sich auf in 2.5- und 4.5-Zimmer-Wohnungen. Zusätzlich zu den wenigen 5.5-
Zim­mer-Wohnungen sind auch einige Grosswohnungen mit individuellen Bereichen und einem grossen Wohn- und Esszimmer als Gemeinschaftsbereich geplant. Zumietbare Zimmer, ein Gemeinschaftsraum und ein Doppelkindergarten runden das ­Angebot ab. Die Aussenräume sollen als Begegnungsorte gestaltet werden mit einem Siedlungsplatz, einer Spielzone und Gemeinschaftsgärten.

Um Lösungsansätze für den Ersatzneubau zu erhalten, hat die BGZ das Amt für Hochbauten beauftragt, einen Projektwettbewerb im selektiven Verfahren auszuschreiben. Die Auftraggeberin untersteht nicht dem öffentlichen Beschaffungswesen und führte das Verfahren gemäss der Ordnung für Wettbewerbe SIA 142 durch. Aus den 49 eingegangenen Bewerbungen wählte die Jury zehn Teams zur Teilnahme am Wettbewerb aus. Die Vorprüfung ergab, dass die Mehrheit der Beiträge teilweise schwerwiegende und kaum korrigierbare Baurechtsverstösse aufwiesen. Dies lag auch am sehr restriktiven Gestaltungsplan, der nicht nur eine Zeilenbebauung quer zum Ueberlandpark zwingend vorgibt, sondern auch die arealinternen Ge­bäude­abstände und die Brücken zum ­neuen erhöhten Stadtpark detailliert regelt. Durchgesetzt haben sich am Schluss Konzepte mit vier schlanken Zeilen. Bei den Ansätzen mit drei oder zwei Zeilen kritisierte die Jury die grossen Gebäude­tiefen und die eingeschränkten Grundrisslösungen.

Harmonisches Quartett

Die Jury hat das Projekt «Kranich» vom Team BS + EMI Architektenpartner einstimmig zur Weiterbearbeitung empfohlen. Die vier Zeilen bestehen aus zwei höheren und zwei niedrigeren Gebäuden, die alternierend hintereinander gesetzt sind. Der mittig angeordnete Gemeinschaftshof ist leicht breiter als die beiden seitlichen Gartenhöfe. Er ist nicht unterbaut und ermöglicht so den Erhalt des Baumbestands. Auf der Ebene «Gartenstadt» befinden sich Maisonettewohnungen mit privaten Gärten. Die drei Höfe sind subtil proportioniert und über ein Wegnetz in Längs- und Querrichtung verbunden. Auf der Ebene ­«Ueberlandpark» sind die vier Gebäude mit Laubengängen miteinander verbunden und mit Brücken an den neuen Stadtpark über der Autobahn angebunden. Auf dieser Ebene sind auch Nutzungen wie Velo-, Wasch- und Trockenräume sowie weitere Maisonettewohnungen angeordnet. In den Hochbauten auf der Ebene «Luegisland» befinden sich Geschosswohnungen, die über aussen liegende Treppen und kurze Laubengänge effizient erschlossen sind. Das Tragwerk besteht aus ­einem einfachen Holzskelettbau, der wirtschaftlich und flexibel ist.

Terrassenhäuser

Der Beitrag «Babel» des Teams von Esch Sintzel Architekten wurde mit dem zweiten Preis ausgezeichnet. Die vier identischen Zeilen sind als Terrassenhäuser ausgebildet. Sie beginnen beim Ueberlandpark mit zwei Geschossen und steigen bis zu sieben Geschossen an der Luegislandstrasse an. Je höher die Zeilen werden, desto schmaler werden die Grundrisse und desto breiter die Zwischenräume. Der artifizielle Grünraum über der Autobahn setzt sich über die Terrassen der neuen Wohnsiedlung fort. Der grosse Wurf von Esch Sintzel Architekten ist stringent aus der Nachbarschaft des Ueberlandparks entwickelt und postuliert wie Adolf Loos mit seinen Entwürfen aus dem Jahr 1913 das Terrassenhaus als innovative städtische Wohnform. Die grosszügigen Terrassen sind als Gemeinschaftsräume ausgelegt. Die Wohnungen werden von innen liegenden Treppenhäusern erschlossen und sind seitlich auf die Höfe zwischen den Zeilen orientiert. Die Jury schätzt den Entwurf als «wertvollen Beitrag zur Klärung des Potenzials und der Bedeutung des Ueberlandparks für die neue Siedlung». Sie glaubt allerdings nicht, dass die bestehenden Bäume im mittleren Hof erhalten werden können, und kritisiert die fehlenden Querverbindungen und die Wohnungen im Hochparterre ohne Bodenbezug auf der Ebene «Gartenstadt». Grundsätzlich zweifelt die Jury an der «Angemessenheit der grossen stadträumlichen Geste für Bauaufgabe und Ort».

Zwei Zeilenpaare

Studio DIA & Stücheli Pestalozzi Schiratzki Architekten haben mit ihrem Projekt «Piroque» den dritten Preis erhalten. Sie gruppieren die vier Zeilen in zwei Zeilenpaare, die jeweils aus einer niedrigen dreigeschossigen und einer hohen, achtgeschossigen Zeile bestehen. So entsteht in der Mitte ein grosszügiger Freiraum, der es auch erlaubt, den prägnanten Baumbestand zu erhalten. Die Wohnungen sind konsequent aus den Wohngassen der beiden Zeilenpaare über Lauben­gänge erschlossen. Auf Ebene ­«Ueberlandpark» sind die Laubengänge untereinander verbunden und ­docken an den neuen Stadtpark an. Ein grosszügiger Aussenraum führt zum ­Zentrum jeder Wohnung, der Wohnküche, die in den Wohnraum übergeht, der auch als separates Zimmer abgetrennt werden kann. Der Beitrag besticht durch ein ­breites ­Angebot unterschiedlicher Begegnungsräume, vom Gartenhof zu den Wohngassen bis zur Erschliessung. Leider weist er aber grobe baurechtliche Mängel auf.

Naheliegend, aber oho!

Das Team BS + EMI Architektenpartner setzen die rigiden Vorgaben des Gestaltungsplans scheinbar ­mühe­los um. Das Projekt, das sie daraus entwickeln, ist naheliegend und in sich schlüssig. Geschickt ­stapeln sie verschiedene Wohnungstypologien übereinander und verbinden die verschiedenen Ebenen vertikal und horizontal. Die expressive Konstruktion der vom Dach ­abgehängten ­Laubengänge, Terrassen und Treppen betont die Gliederung der ­Gebäude in einen Sockelbereich und in die Obergeschosse. Das filigrane, orangefarbene Stahl­skelett trägt entscheidend zum ­leichten und ­beschwingten architektonischen Auftritt bei.

Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch

 

Auszeichnungen

1. Rang | 1. Preis: «Kranich»
BS + EMI Architektenpartner, Zürich; Hoffmann & Müller Landschafts­architektur, Zürich; Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich
2. Rang | 2. Preis: «Babel»
Esch Sintzel, Zürich; Stauffer Rösch, Basel
3. Rang | 3. Preis: «Piroque»
ARGE Studio DIA & Stücheli Pestalozzi Schiratzki Architekten, Zürich; Blau und Gelb Landschaftsarchitekten, Rapperswil; WaltGalmarini, Zürich
4. Rang | 4. Preis: «Los Lunes Al Sol»
pool Architekten, Zürich; Studio Vulkan, Zürich

Fachjury

Jeremy Hoskyn, Amt für Hochbauten (Vorsitz), Zürich; Britta Brauer, Amt für Städtebau, Zürich; Barbara Neff, Architektin, Zürich; Matthias Krebs, Landschaftsarchitekt, Zürich; Corinna Menn, Architektin, Zürich; Jonathan Roider, Architekt (Ersatz), Zürich

Sachjury

Thomas Lohmann, Präsident Baugenossenschaft Glattal (BGZ); Marion Schrade, Vorstand BGZ; Hans-Peter Sommer, Vorstand BGZ; Maria de Gruttola, Projektleitung BGZ; Michael Gross, Geschäftsführer BGZ (Ersatz)

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