Eine Stadt zum Wandeln
Baden hat zuletzt viel Geld in Kreuzungen und Strassen gesteckt. Da die Investitionen in ein Gesamtkonzept eingebettet sind, profitiert davon auch der Fussverkehr. Nun heimst die Bäderstadt dafür bereits die zweite nationale Auszeichnung ein.
Baden ist endlich kein Nadelöhr mehr: Am Bareggtunnel staute sich der Autobahnverkehr regelmässig, bis zum Ausbau der dritten Röhre vor 17 Jahren. Und der gordische Knoten unmittelbar vor der Altstadt ist seit Sommer 2018 entwirrt. Die Kreuzung über den Schulhausplatz hat zusätzliche Spuren erhalten, damit der motorisierte Tagesverkehr aus 50 000 Pkw, Bussen und Lkw etwas entspannter am südwestlichen Ende des historischen Zentrums vorbeifahren kann. Allerdings sind seither auch die Verhältnisse für Fussgängerinnen und Fussgänger sowie für Velofahrende besser geworden. Auch in gemächlicherem Tempo können sie sich in der Bäderstadt nun freier, direkter und grosszügiger bewegen.
Noch vor wenigen Jahren stockte sich der Transitverkehr mitten durch enge Gassen; inzwischen ist die Kernzone in der oberen Altstadt ein vollständig beruhigter und beliebter Arbeits-, Einkaufs- und Wohnstandort. Die konsequente «Abkehr von der autogerechten Stadt» wird nun mit dem diesjährigen Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes belohnt. «Baden macht vor, wie der öffentliche Raum im gesamten Stadtgebiet aufgewertet und untereinander vernetzt werden soll», lobt die Jury. Die Preisübergabe findet im Juni statt.
Fussverkehr gefördert
Die Auszeichnung für die menschenfreundliche Siedlungsentwicklung kommt nicht überraschend. Zuletzt hat Baden nämlich nicht nur in den Strassenbau investiert, sondern auch den Fussverkehr kontinuierlich gefördert. Bereits 2008 heimsten die Stadtplaner dafür einen begehrten Preis ein: Baden gewann den «Flâneur d’or» (vgl. «Fussverkehr: Schritt um Schritt», unten im Text) für den Bau von fussgängerfreundlicher Infrastruktur. Der damals eröffnete Limmatsteg verbindet die Altstadt seither komfortabel mit der Nachbargemeinde Ennetbaden und dem Naherholungsgebiet, dem Limmatraum; der Höhenunterschied lässt sich per Aufzug bewältigen.
Nachfolgende Wirkungsanalysen ergaben, dass dieser Komfortgewinn auch das Mobilitätsregime verändern konnte. Sprich: Zum Besuch der Altstadt steigen Passanten dank dem Limmatsteg effektiv vom Auto aufs Velo um oder gehen zu Fuss.
Um die Attraktivität des Zentrums zu steigern, wurde vor elf Jahren der Schlossbergplatz zum Begegnungsort umgestaltet. Der jüngste Umbau des nahen Schulhausplatzes kommt ebenfalls den nichtmotorisierten Verkehrsvarianten zugute. Fussgängerinnen und Fussgänger sowie Velofahrende haben hier den nächsten ungestörten Zugang zum Zentrum und zum Bahnhof erhalten. Einziger Wermutstropfen: Der Fussverkehr wird teilweise in den Untergrund verdrängt.
Breit akzeptierte Offensive
Gemäss dem Badener Stadtbaumeister Jarl Olesen haben mehrere übergeordnete Planungsprozesse diese Entwicklung angestossen und auf Kurs gehalten. Zum einen wurde vor rund 20 Jahren ein räumliches Leitbild für die gesamte Altstadt verfasst und in der Folge in Etappen mit Gestaltungs- und Ideenwettbewerben für einzelne Plätze umgesetzt. Zum anderen stützt sich die Stadt auf einen «Kommunalen Gesamtplan Verkehr», der seit 2012 die Gleichberechtigung aller Verkehrsträger fordert sowie eine Verbesserung des Modalsplits zugunsten des öffentlichen Verkehrs sowie des Fuss- und Veloverkehrs anstrebt.
Siedlungsdruck standhalten
Die städtische Aufwertungsoffensive wäre ohne die Akzeptanz der Bevölkerung und von Interessengruppen aber nicht möglich gewesen. Begleitend zur Fachplanung suchte die Badener Stadtverwaltung jeweils den Austausch mit Eigentümern, Anwohnern und dem Gewerbe und schaffte es, alle privaten und öffentlichen Interessen an einer Stadtreparatur konfliktfrei aufeinander abzustimmen. Das Resultat überzeugt über das Zentrum hinaus; attraktive Fuss- und Velowege verbinden es fast nahtlos mit Aussenquartieren und Erholungsräumen.
Auch der Raumplanungsverband EspaceSuisse findet anerkennende Worte: Die Badener Zentrumsentwicklung sei ein sichtbarer Beweis, wie mit unkonventionellen Ideen aus unwirtlichen Verkehrsknoten Aufenthaltsräume geschaffen werden können.
Auf den Lorbeeren ausruhen will sich die Stadt Baden nun jedoch nicht. Stadtbaumeister Olesen nennt zwei Pendenzen, die kurz- und mittelfristig zu erledigen sind: In der historischen Kernzone gelte es die Verbindung zwischen oberer Altstadt und Bäderquartier aufzuwerten. Und in den nördlichen Aussenquartieren seien bestehende Qualitäten, angesichts eines wachsenden Verdichtungsdrucks, zu erhalten und zu stärken.
Fussverkehr: Schritt um Schritt
Der Titel hat sich vom «Fussgängerschutzwettbewerb» zum «Flâneur d’or» gewandelt. Seit 33 Jahren werden aber unverändert diejenigen Gemeinden und Städte belohnt, die öffentliche Siedlungsräume aufwerten und die Infrastruktur für Fussgängerinnen und Fussgänger verbessern. Im Herbst 2020 verleiht Fussverkehr Schweiz den Preis zum 20. Mal.
espazium – der Verlag für Baukultur begleitet das Jubiläum in seinen vier Medien mit einer losen Reihe von Porträts früherer Preisträger. Die Absicht dahinter ist, die Langzeitwirkung der einst prämierten Vorhaben darzustellen. Denn inzwischen ist der Fussverkehr kein isolierter Fachbereich mehr, sondern ein zentraler Aspekt für die qualitativ hochstehende Siedlungsentwicklung und die Nachhaltigkeit von baulichen Verdichtungsmassnahmen.
Flâneur d’Or - gute Projekte für Fussgänger gesucht: Vorschläge und Projekte können der Jury bis Ende März eingereicht werden. Weitere Infos und die Bewerbungsunterlagen unter: flaneurdor.ch/flaneur-2020/ausschreibung/