Die Shaker: Architektur und Möbeldesign als Glaubenssache
Dauerhaftigkeit und Formschönheit des Shaker-Designs
Das Vitra Design Museum präsentiert das breite Spektrum der Gestaltungskultur der religiösen Shaker-Gemeinschaft. Die Ausstellung regt dazu an, die Nachwirkungen der minimalistischen Ästhetik aufzuspüren.
Die religiöse Gemeinschaft der Shaker brachte die Kunst, lebensnotwendige Dinge formreduziert, hochwertig und zeitlos schön zu gestalten, zu einer wahren Meisterschaft. Der Grundsatz «Less is more» bestimmte den Entwurfsansatz für Architektur und Interieur der Shaker-Dörfer, die ab 1780 im Nordosten der USA entstanden. Die Mitglieder dieser protestantischen Freikirche waren Pioniere der «Guten Form», was meint, eines funktionellen, sachlichen Stils, und eine Vorhut ökologischer Nachhaltigkeit.
Das Vitra Design Museum lädt dazu ein, den Mythos und den Begriff «Shaker-Stil» zu ergründen. «The Shaker Manifesto» vom 5. Mai 1880 und die «Millennial Laws» von 1845 erinnern zu Beginn der Schau nicht nur an begabte Gestalter und begnadete Handwerker. Sie möchten auch die Verknüpfung von Gestaltungskultur und gottesfürchtiger, puritanischer Lebensweise erlebbar machen.
Architektur
Zum Auftakt der in vier Sektionen gegliederten Ausstellung fällt der Blick auf das Versammlungshaus mit Mansardendach, das die Shaker-Gemeinschaft 1793 in Hancock, Massachusetts, erbaut hat. Die weisse Fassade, Fenster und Türen, entsprechen der Shaker-Regel: harmonische Ordnung durch Symmetrie und klare Struktur – für Gebäude und Innenausbau ebenso wie für die Planung neuer Siedlungen. Die Farbwahl beschränkte sich auf reines Weiss und die Primärfarben, Blau, Rot und Gelb. Im Shaker-Siedlungsbau spiegelt sich der anglo-holländische Baustil ländlicher Regionen. Die sorgsame Verwendung von Materialien wie Stein und Holz, war der Geldknappheit geschuldet und dem Verbot, Kredite aufzunehmen.
Der Federal Style, der sich nach der US-Unabhängigkeitserklärung 1776 verbreitete – Lünetten über der Eingangstür und dekorative Details im Türbereich – sprang nicht auf die Shaker-Architektur über. Stattdessen sind für deren Versammlungshäuser zwei schmucklose Eingänge charakteristisch.
Zwei Türen und Doppeltreppe
Die beiden Türen stellten sicher, dass Männer und Frauen getrennt in das Gebäude gelangten. Ohne Ausnahme richteten sich räumliche Strukturen an Zölibat und Geschlechtertrennung aus. Darauf verweisen die Doppeltreppen. Auch auf der ausgestellten vier Meter langen Sitzbank eines Gemeindehauses sassen einst nur Männer oder nur Frauen. Schlicht gehalten wie alle Shaker-Räume, waren die Versammlungssäle ohne religiöse Symbole.
Der Film «Power», 2025, von Reggie Wilson interpretiert die religiösen Tänze neu und schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ebenso die gezeigten Arbeiten von Kunstschaffenden und Designern. Beeindruckend ist das begehbare, in Shaker-Blau gehaltene «Meetinghouse 2», 2025, der Künstlerin Amie Cunat.
Shaker-Möbel
Aus dem Shaker Museum in Chatham, New York, stammen 150 Schaustücke und Dokumente. Alles ist formschön und penibel ausgearbeitet: die Kommoden, die Hakenleisten und die Einbauschränke für die Ordnungsliebe.
Ein Stuhl, dessen Kippvorrichtung 1852 patentiert wurde, sticht ins Auge. Auch der höhenverstellbare Drehstuhl von ca. 1880. Die Shaker lebten zwar zölibatär , da sie aber Waisenkinder und Familien mit Kindern aufnahmen, fertigten sie auch Kinderstühle.
Betrachtet man die Stuhlparade, denkt man spontan an Gio Pontis Superleggera-Stuhl, an Sitzmöbel von Alvar Aalto und an zeitloses Stuhl-Design von Bruno Rey. Die funktionale «Gute Form» der Shaker-Entwürfe und modernes Design weisen in der Tat Schnittstellen auf, trotz der gänzlich verschiedenen, zeitbezogenen Weltbilder.
Glaube und Business
Die ausgestellte originale Holztreppe, gefertigt 1846, liest sich als Metapher dafür, dass die Shaker nicht nur spirituell in höhere Sphären aufstiegen, sondern auch die Leiter zum wirtschaftlichen Erfolg erklommen. Die Workforce hatte zur Blütezeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus rund 6000 Mitglieder. Zwanzig eigenständige Gemeinden existierten. Da Shaker-Produkte aufgrund ihrer Qualität gefragt waren, häufte sich Kapital an. «Lege deine Hände in die Arbeit und dein Herz in Gott», verkündete denn auch Mother Ann Lee, die Gründerin der Gemeinschaft.
Dampf und Strom
In der Schau ist der Dampfantrieb einer Holzspaltmaschine zu sehen, die Streifen aus Pappelholz produzierte. Elder Grandville Merrill konstruierte sie um 1870. Auch die Kreissäge ist eine Erfindung der Shaker.
Die Shaker waren anpassungsfähig und offen für Neues. So nutzten sie Elektrizität, Radio und Telefon. Die Gestaltungskultur begründet das Vermächtnis der religiösen Gemeinschaft. Hinzu kommt das Prinzip der Gender Equality, durch das auch Frauen Leitungsfunktionen ausübten. Doch angesichts der Verweltlichung der Gesamtgesellschaft reduzierte der wenig sinnenfreudige Lebensstil den Zustrom von Konvertiten gegen Null. Die letzten beiden Shaker, Brother Arnold und Sister June, leben heute im Shaker-Dorf Sabbathday Lake im US-Bundestaat Maine.
Die Ausstellung «Die Shaker. Weltenbauer und Gestalter» im Vitra Design Museum läuft bis 28. September 2025