«Die Schu­len leis­ten ei­nen gros­sen Bei­trag an die welt­weit an­er­kann­te Qua­li­tät der Schwei­zer Ar­chi­tek­tur»

SIA-Masterpreis Architektur 2016

Publikationsdatum
18-06-2017
Revision
18-06-2017

espazium.ch: Trotz dem guten Niveau – gemäss Jonathan Sergison eines der höchsten der Welt – in den drei akademischen Hochschulen, die eine Architekturausbildung anbieten, unterstreicht Jonathan Sergison in seinem Text eine Schwäche im Experimentieren und an kritischer Herangehensweise. Wie sehen Sie das?

Franz Bamert: Ich lese im Beitrag von Jonathan Sergison nicht unbedingt von der Schwäche im Experimentieren oder von einer unkritischen Herangehensweise, sondern vom Augenmerk der Schulen auf die Umsetzbarkeit der Projekte. Es stimmt ja, in der Schweiz wird der Detaillierung, der Konstruktion und den Fachplanungen grosses Gewicht beigemessen. Insbesondere die Masterarbeiten der ETH Zürich gehen weit über die Analyse- und Experimentierphase heraus und zeigen einen starken Bezug zur Realität. Da zeigen sich auch die massgeblichen Unterschiede zwischen den Masterarbeiten. Dieser vielschichtige Prozess muss während einer Masterarbeit komplett durchgestanden werden. Am Schluss soll ein Projekt präsentiert werden, das auf der vorgegebenen Anzahl Stellwände die einzelnen Schritte von der Auseinandersetzung mit dem Thema, bis zur definitiven Festlegung, für eine unabhängige Jury nachvollziehbar abbildet. Diese Anforderungen basieren meines Erachtens auf dem in der Schweiz nach wie vor gelebten Anspruch des Architekten, als Generalist tätig und nicht einem Baumanager unterstellt zu sein. Hier leisten die Schulen einen grossen Beitrag an die weltweit anerkannte Qualität der Schweizer Architektur.

espazium.ch: In Bezug auf den SIA-Masterpreis Architektur wirft Sergison die Frage nach der Vorauswahl der Projekte und der Zusammensetzung der Jury auf. Können Sie uns sagen, wie die Auswahl getroffen und wie die Jury gebildet wird? Wie reagieren Sie auf seine Kritik?

Franz Bamert: In den letzten Jahren setzte sich die Jury jeweils aus sechs Architekten und Architektinnen zusammen. Bei jeder Jurierung dabei waren der Präsident der SIA-Berufsgruppe BGA und des SIA-Fachvereins A&K sowie je ein/e Vertreter/in der Regionen deutsche, französische und italienische Schweiz (Vorstandsmitglieder A&K). Dazu kam bei jeder Jurierung ein/e Vertreter/in der ortsansässigen Sektion des SIA (Zürich, Waadt, Tessin). Beurteilt wurden jeweils alle abgegebenen Masterarbeiten anhand der in der Ausstellung präsentierten Unterlagen. Von den 80–130 Masterarbeiten pro Jurierung wurden maximal drei mit dem SIA-Masterpreis Architektur ausgezeichnet. Alle Preisträger erhielten 1000 Franken Preisgeld und eine Urkunde.
Die Zusammensetzung und Kontinuität der Jury ermöglicht einen Überblick über sämtliche Masterarbeiten, die an den drei Hochschulen abgegeben werden, mit gleichzeitigem Eingehen auf die unterschiedlichen Vorgehensweisen. Dabei war die Jurierung in Zürich aufgrund der vergleichbaren Aufgabenstellung und der grösseren Anzahl Stellwände einfacher als zum Beispiel in Lausanne, wo jede/r seine eigenes Thema hat, oder in Mendrisio, wo von den Studenten eine stark reduzierte Auswahl der präsentierten Unterlagen gefordert wird. Aus diesem Grund wurden die Arbeiten in Lausanne und Mendrisio jeweils von Mitgliedern der ortsansässigen Sektion eingelesen und der Jury vorgestellt.
Die Jurierung des SIA-Masterpreis steht im Umbruch. Wir möchten die Masterarbeiten an den Fachhochschulen mitberücksichtigen. Das bedingt eine Veränderung in der Preisvergabe und in der Jurierung. Eine Arbeitsgruppe der SIA-Berufsgruppe Architektur BGA ist daran, ein neues Verfahren zu entwickeln.

espazium.ch: Sie sitzen seit mehreren Auflagen in der Jury und haben damit einen recht umfassenden Überblick über die Ausbildung an den Hochschulen. Was sagen uns diese Masterarbeiten über die Entwicklung der Schulen und die Anliegen der Studenten?

Franz Bamert: An der ETH Zürich erhalten die Studierenden einen Auftrag im Sinn eines Wettbewerbs oder Direktauftrags in einer vorgegebenen Situation, mit vorgegebenem Raumprogramm sowie mit Wünschen und Vorstellungen eines imaginären Auftraggebers. Pro Semester stehen drei Themen zur Auswahl. Ausgestellt werden die Arbeiten auf vier Stellwänden und mit vorgegebenem Gipsmodell.
An der EPF Lausanne werden die Themen und das Programm von den Studenten selber entwickelt und auf zwei Stellwänden und mit ganz unterschiedlichen Modellen präsentiert. Begleitet werden sie von einem Beraterteam aus Schule und Praxis.
An der AA Mendrisio steht die Sensibilität für stadt- und landschaftsräumliche Entwicklungen im Vordergrund. Daraus erwächst die Architektur des einzelnen Objekts. Anfangs wird in der Gruppe ein Lehrstuhlthema bearbeitet und anschliessend individuell weiterentwickelt. Zur Präsentation steht nur ein ein Meter breiter Streifen zur Verfügung, dafür aber ein grosser Modellraum.
Die Vorgehensweisen und Präsentationsmöglichkeiten sind also an den drei Schulen sehr unterschiedlich. Sie spiegeln das vielschichtige Spektrum der Entwicklungsmöglichkeiten eines frisch ausgebildeten Architekten wider. Einerseits in Zürich der Architekt, der über den Wettbewerb oder Direktauftrag ein konkretes Bauvorhaben entwirft und umsetzt, andererseits in Lausanne der Architekt, der selber Projekte anreisst und Voraussetzungen dafür schafft, dass diese umgesetzt werden können, und in Mendrisio der Architekt, der stadt- und landschaftsräumlich denkt und daraus Entwicklungspotenziale erarbeitet. Alle drei Ansätze sind sicherlich gleichermassen wertvoll, um bei den angehenden Architektinnen und Architekten ein reflektiertes Entwurfsverständnis zu wecken.

Alle Projekte, die im Rahmen des SIA-Masterpreis Architektur 2016 ausgezeichnet wurden, finden sich im gleichnamigen E-Dossier.

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