Bau­en nach in­dus­tri­el­lem Vor­bild

HIAG-Areal Pratteln, Zweistufiger Studienauftrag

Auf dem Areal der ehemaligen Rohner-Fabrik in Pratteln BL will die Hiag Immobilien ein gemischt genutztes Quartier erstellen. Das Planungsteam Buchner Bründler Architekten und Berchtold.Lenzin Landschaftsarchitekten folgt der Struktur des Industrieareals durch Bauten mit unterschiedlichen Massstäben und einem parkartigen Grünraum.

Publikationsdatum
20-05-2021

Das Industrie- und Gewerbegebiet um den Bahnhof in Pratteln BL wird nach und nach in einen Wohn- und Arbeitsstandort umgenutzt. Eines der ­letz­ten Fabrikareale – das ehemalige Rohner-Areal – erwarb 2018 die Hiag Immobilien AG. Sie möchte dort einen neuen Wohn- und Arbeitsstandort ent­wickeln. Bis 2019 war die Rohner AG Mieterin, dann meldete die Firma Konkurs an.

Daraufhin entschied Hiag, die Entwicklung des Areals zeitnah in Angriff zu nehmen. Dafür wurde eine umfangreiche Altlastensanierung nötig. Auf der rund drei Hektar grossen Fläche südlich des Bahnhofs sollen bis zu 400 Wohnungen für rund 1000 Menschen entstehen sowie 500 neue Arbeitsplätze mit Schwerpunkt in Dienstleistung, Forschung und Produk­tion. Durch die neuen öffentlichen Grün- und Freiräume wird das Quartier besser an die bestehenden Quartiere angebunden. Dem Ort kann damit eine neue Identität – ein neues Image – verliehen werden. Dies ist auch ein Mehrwert für die Bevölkerung von Pratteln. Ziel ist, ein verkehrsfreies Areal zu schaffen, mit einer energieeffizienten und ressourcenschonenden Bebauung sowie einer effizienten und ökologischen Energieversorgung.

Erinnerung an die Industriegeschichte

Um eine hohe Qualität der Entwicklung zu sichern, führte der private Eigentümer einen zweistufigen ­Studienauftrag durch. Von den acht eingeladenen Teams empfahl das Beurteilungsgremium einstimmig den Projektbeitrag des Planungsteams Buchner Bründler Ar­chi­tek­ten und Berchtold. Lenzin Landschaftsarchitekten zur Weiterbearbeitung. In der ersten Phase des Studienauftrags schlug das Team vor, Teile der Bestandsbauten zu erhalten. Aufgrund der Kontamination durch chemische Substanzen war dies für den neuen Besitzer keine Option. Sämtliche Gebäude müssen rückgebaut werden.

Die Bauten des überarbeiteten Wettbewerbsprojekts nehmen die Charakteristika der industriellen Bebauung auf. So stehen kleinere Bauten mit Sheddächern neben Hochhäusern. Gleichzeitig erinnert das arealspezifische Architektur­vokabular an den vormals industriellen Hintergrund.

In Anlehnung an das abgerissene Produktionsgebäude, das sich an der Bahnlinie orientierte, reihen sich das «Güterhaus», das «Werkhaus» und das «Atelierhaus» linear aneinander. Parallel zu der Häuserzeile fasst das «Lange Haus» die «Lange Gasse» als urbaner Stras­senraum mit verschiedenen öffentlichen Nutzungen. Südlich des Langen Hauses liegt das Herzstück des Quartiers: der Gemeinschaftshof. Der dicht mit Bäumen bepflanzte, öffentlich zugängliche Aussenraum bietet viele Aufenthaltsmöglich­keiten, Sportangebote und ein Café. Gegen Westen schliesst ein knapp 50 m ­hoher Bau – «Bau 40» – das ­Areal ab. Dazu bildet das «Hohe Haus» an der Südostecke des Areals einen Gegenpol. Auf der abgetrennten westlichen Parzelle setzt der «Turm» ­einen weiteren städtebaulichen Akzent in der jungen «Skyline» von Pratteln. Zu den Tramgleisen hin reihen sich kleinteilige Bauten für Veranstaltungen, Kinder und Sport aneinander; sie bilden einen Übergang zur kleinmassstäblichen Struktur der Nachbarbauten.

Nutzungsverteilung

Die flexible Grundstruktur des Werk­haus kann Gewerbe- und Dienst­leistungsnutzungen aufnehmen. Im benachbarten Güterhaus soll eine Markthalle integriert werden. Beide Bauten schützen die dahinterlie­genden Mietwohnungen im Langen Haus vor Bahnlärm und vor Störfällen der Bahn. Die rund 140 vorgesehenen Wohnungen profitieren vom grünen Gemeinschaftshof im Herzen des Areals, der durch Werkstätten in den angrenzenden Wohnbauten sowie einen Gemeinschaftsraum im Langen Haus belebt wird. Das Hohe Haus eignet sich für Eigentumswohnungen; geplant sind 75 zweiseitig orientierte Wohnungen. Im Bau 40 sollen 190 experimentelle Wohnungen zur Miete oder als Eigentum angeboten werden.

Von den extensiven Dächern soll Regenwasser über einen Kreislauf auf den Boden und von dort zur Kühlung des Areals wieder zur Verdunstung gebracht werden. Die Versickerung kann damit minimiert werden bzw. im weniger belasteten Areal im Osten erfolgen. Fussgängerwege kreuzen das Quartier in allen Richtungen und machen das Areal damit ausreichend ­durchlässig. Um, wie gefordert, ein verkehrs­freies Areal zu gestalten, ist die ­Ein- und Ausfahrt des unter­irdischen Parkings auf der Westseite der ­Güterstrasse und damit peripher angeordnet. Neben weiteren ober­irdischen Abstellplätzen sind Veloparkplätze entlang der Gempen­strasse wie an den Hauseingängen vorgesehen. Es wird dabei kon­sequent an bestehende Velo- und Fussverbindungen angeknüpft.

Kritikpunkte und weiteres Vorgehen

Da das Parkhaus mit rund 700 Parkplätzen die gesamte Fläche unterhalb der Gewerbe- und Dienst­leistungsbauten und des langen Wohnhauses einnimmt, müsste es am Stück realisiert werden. «Das erfordert grosse Vorinvestitionen», bemängelt das Beurteilungsgremium.

In der ersten Bauetappe sollte aus Schutz vor Lärmimmissionen mit den Bauten entlang der G­leise begonnen werden, um danach sukzessiv von Norden nach Süden weiterzubauen. Die einzelnen Bau­etappen sollten auf jeden Fall einen Wohnanteil beinhalten, um die Abhängigkeit von der Nachfrage nach Büro- bzw. Gewerbeflächen zu reduzieren. Letztendlich beeinflussen weitere Faktoren wie etwa die Alt­las­tensanierung die Etappierung des Projektes.

Kritisch zu beurteilen sind in Bezug auf die Störfallverordnung die sehr grossen Nutzflächen, die sowohl bei den Wohnungen als auch bei der Dienstleistung und dem ­Gewerbe über den Vorgaben liegen. Hier besteht nach Einsicht des ­Beurteilungsgremiums «die Gefahr, dass sich die Störfallrisiken infolge der grossen Zunahme bei der Personenexposition so stark erhöhen, dass sie in einem kritischen Bereich liegen».

In puncto Lage und Höhe wird besonders der Turm hinterfragt – vor allem wegen seiner oberirdischen Geschossfläche, die weit über derjenigen der anderen Wettbewerbsprojekten liegt. In den weiteren Planungsschritten ist noch zu klären, ob die Dichte des Quartiers gut verträglich ist. Wegen der Überschreitungen der Immissionsgrenzwerte für die Wohnungen müssen im Turm und im ­Hohen Haus die Grundrisse angepasst werden. Beim Bau 40 sind zumindest partielle Verglasungen der Balkone notwendig.

Die öffentlichen Bauten für Sport, Kultur und Kinder am südlichen Abschluss des Areals erscheinen als zu «unbestimmt». Sie sollten besser in die gegenüberliegende Überbauung integriert werden. Diese erfährt durch die Öffnung des ehemaligen Industrieareals eine neue Ausrichtung. In dem Zusammenhang sei der im Wettbewerbsprojekt angedeutete neue Übergang für Fussgänger über die Tramgleise an der Baslerstrasse wünschenswert. Insgesamt zeigt das Projekt dank seinen unterschiedlichen Massstäben und Identitäten auf, wie sich das ehemalige Industrieareal zu einem neuen, lebendigen Quartier in Pratteln entwickeln kann. Der Entwurf wird in einem nächsten Schritt im Rahmen eines Richtprojektes präzisiert werden.

 

Empfehlung zur Weiterbearbeitung

Buchner Bründler Architekten, Basel; Berchtold.Lenzin Landschaftsarchitekten, Basel

Weitere Teilnehmer

  • Harry Gugger Studio, Basel; Maurus Schifferli Landschaftsarchi­tekten, Basel
  • jessenvollenweider architektur, Basel; Stauffer Rösch Landschaftsarchitekten, Basel
  • Morger Partner Architekten, Basel; Bryum, Basel; Cabane Partner, Basel
  • Studio trachsler hoffmann, Zürich; Bernhard Zingler Landscape, Zürich
  • BABL bakker & blanc architectes associés, Lausanne; Forster Paysage, Prilly
  • Helsinki Zürich Office, Zürich; Schmid Landschaftsarchitekten, Zürich

Jury

Rainer Klostermann, Architekt und Stadtplaner, Zürich; Prof. Christina Schumacher, Soziologin, Basel; Lukas Schweingruber, Landschaftsarchitekt, Zürich; Luca Selva, Architekt und Stadtplaner, Basel; Markus Stöcklin, Verkehrsplaner, Basel; Daniel Wentzlaff, Architekt und Stadtplaner, Basel; Philipp Schoch, Gemeinderat Departement Hochbau/Quartierplanung/Umwelt, Baselland (Ersatz); Christoph Lötscher, Architekt und Stadtplaner (Ersatz)

Sachjury

Stephan Burgunder, Gemeindepräsident Pratteln; Marco Feusi, CEO HIAG, Zürich; Salome Grisard, Mitglied Verwaltungsrat HIAG, Zürich; Michele Muccioli, Arealentwickler, HIAG (Projektleitung), Zürich; Oliver Stucki, Amt für Raumplanung, Kanton Basel-Landschaft

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