Auf 3500 Me­tern den Puls der At­mo­sphä­re mes­sen

Welches Wetter sucht Europa heim, welche Schadstoffe oder Treibhausgase gehen in die Luft? All dies wird am Extremstandort Jungfraujoch erfasst und analysiert - seit über 80 Jahren. Die Bedeutung dieser wertvollen Datenreihen demonstrieren Klimaforscher zum 75-Jahr-Jubiläum des Sphinx-Observatoriums.

Publikationsdatum
04-05-2012
Revision
25-08-2015

Nicht nur die Aussicht auf den gleissend weissen Aletschgletscher vom Jungfraujoch ist atemberaubend: In der dünnen Luft sind die zwei Treppen hinauf zum Sphinx-Observatorium, das dieses Jahr sein 75-Jahr-Jubiläum feiert, eine Herausforderung an Lunge und Herz. Das Gebäude ist das Herzstück der Internationalen Stiftung für Hochalpine 
Forschungsstationen Jungfraujoch und Gornergrat (HFSJG) auf dem Jungfraujoch, die Forscher aus aller Welt anlockt. Ihre buchstäblich herausragende Lage macht die Station so attraktiv: Auf über 3500 Metern Höhe ist die Luft sehr rein, und doch können vom Menschen gemachte Substanzen nachgewiesen werden. Das Jungfraujoch liegt in der mittleren Troposphäre, der Luftschicht, die bis in 10km Höhe reicht. Trotzdem schiebt sich fast jeden zweiten Tag jene Luftschicht hier hoch, in der sich Schadstoffe aufhalten und wo sich auch Wolken bilden.

Extrembedingungen auf 3500 Metern

Das sind ideale Bedingungen, um Wetter- und Atmosphärendaten zu messen, was hier schon seit über 80 Jahren geschieht. Das sind für die Wissenschaft äusserst wertvolle, langfristige Datenreihen. Das Jungfraujoch ist zum Beispiel der höchste Punkt im Messnetz des Bundesamts für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz. Laurent Vuilleumier, verantwortlich für Strahlungsmessungen bei MeteoSchweiz, führte am 2. Mai 2012 vor den Medien die Instrumente zur Messung der UV-Strahlungsintensität vor. Sie tragen lange weisse Bärte aus Raureif, doch die faustgrossen, pilzförmigen Kuppeln mit den Sensoren sind eisfrei, dank einem besonderen Ventilations- und Heizsystem.
Die Daten und Analysen der Klimainformationsgruppe von MeteoSchweiz reichen bis in die 1930er-Jahre zurück. Seit 1980 sind Wetter- und Strahlungsmessungen voll automatisiert. Erst über viele Jahre hinweg lassen sich Veränderungen von Wetter
und Klima, aber auch der UV-Strahlung nachweisen. Mit diesen Informationen kann zum Beispiel die UV-Belastung der Bevölkerung oder von Arbeitern, die in grossen Höhen tätig sind, erkundet werden - und damit ihr Hautkrebsrisiko. Seit 1931 stieg auf dem Jungfraujoch die mittlere Temperatur um 1.4°C, und die Zahl der vollständig frostfreien Tage nahm von rund 15 auf etwa 25 Tage zu. Dies bedeutet, dass der Permafrost zu schmelzen beginnt, Steinschlag und Murgänge werden häufiger.

70 Luftschadstoffe aus ganz Europa gemessen

Die empfindlichsten Gerätschaften befinden sich im Raum unter der metallenen Kuppel des Observatoriums, wo einst astronomische Experimente stattfanden. Hier misst die Empa schon seit 1973 kontinuierlich Luftschadstoffe. Das ist die längste hochalpine Messreihe. Seit 1978 ist die Station ins gemeinsam mit dem Bundesamt für Umwelt betriebene Netzwerk zur Überwachung der Schweizer Luftqualität eingebunden. Auch hier decken die langen Messreihen langfristige Veränderungen auf: Schwefeldioxid, das bis in die 1990er-Jahre für sauren Regen verantwortlich war, ist dank Luftreinhaltemassnahmen fast verschwunden, und auch Ozonschicht-Zerstörer haben abgenommen. Dafür werden zunehmend Kühlstoffe für Autoklimaanlagen nachgewiesen.

Italienische Emissionen aufgespürt

Dank der besonderen Höhenlage des Jungfraujochs ist es sogar möglich, die Quellen der Schadstoffe in ganz Europa zu identifizieren. So konnte die Bewegung der Vulkanaschenwolke nach dem Ausbruch auf Island 2010 nachgebildet werden, was als Video in der neuen Ausstellung über die wissenschaftlichen Aktivitäten auf dem Jungfraujoch zu sehen ist. Gleiches gilt für Industrieschadstoffe: So gibt Italien seit Jahren viel zu geringe Ausstösse des Treibhausgases Trifluormethan an. Ebenso können die Forschenden die Emissionen einzelner Teflonfabriken in ganz Europa auf dem Jungfraujoch nachweisen. Dank diesen langen Zeitreihen lässt sich die Entwicklung von Schadstoffen in der Atmosphäre zurückverfolgen - manchmal schon seit Zeiten, bevor man sich der Problematik dieser Substanzen bewusst war.

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