Neue Woh­nun­gen, ei­ne letz­te Ru­he­stät­te und das ge­sund Lär­mi­ge

Architekturspaziergang Zürich

Ersatzneubauten säumen den Spazierweg vom Bahnhof Oerlikon zum Bucheggplatz. Die eleganten Überbauungen umfassen nicht immer eine höhere Anzahl an Wohnungen als die bescheidenen Zeilen der Gartenstadt, verbrauchen aber trotzdem mehr Grundfläche. Jenseits solcher Entwicklungen liegt der parkartige Friedhof Nordheim am Waldrand, und sein Krematorium ist buchstäblich in Stein gemeisselt.

Publikationsdatum
15-03-2022

Vom Bahnhof geht es aufwärts Richtung Regensbergbrücke. Die chaletartigen Häuschen auf der gegenüberliegenden Gleisseite wirken am steilen Hang über der Bahntrasse mit der dahinter liegenden Häuserkulisse wie camouflagehafte Poesiebilder einer anderen Zeit. Durch die transparenten Lärmschutzwände über den Brückengeländern blickt man auf das gleiche durchsichtige, geräuschhemmende Labyrinth entlang der benachbarten Grundstücke.

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Auf der gegenüberliegenden Brückenseite, nach dem Birchplatz an der Regensbergstrasse 193–199, liegt der Holunderhof der Gemeinnützigen Baugenossenschaft Röntgenhof. Er wurde 2018 als Ersatzneubau mit 98 Wohnungen – zwei mehr als vorher – nach den Plänen von Schneider Studer Primas Architekten erstellt. Der sanften Wellenform der strassenseitigen Fassade aus vorfabrizierten Betonelementen steht die trotz ihrer Höhe mediterran wirkende Rückseite mit Holzbalkonen gegenüber. Der Holunderweg, strassenseitig vor dem Bau, führt zu diesen drei überraschenden, konvexen Teilfassaden, die sich im Halbrund zum Park öffnen.

Ein «ersatzneu-gebautes» Quartier

Vom Aehrenweg aus sind auch die nächsten Wohnhäuser der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich ABZ von Architektick aus dem Jahr 2002 Ersatzneubauten. Ihre Farbgestaltung mit Weiss, Dunkelrot, Dunkelblau und Grau konzipierte der Künstler Mayo Bucher. Dann links den Goldregenweg hoch erkennt man über dem rot leuchtenden Sportplatz die Rückseite der denkmalgeschützten Kantonsschule Nord von Toby J. Gersbach, P. Kollbrunner und C. Guhl. Der Bau wurde erst 15 Jahre nach dem Wettbewerb im Jahr 1961 eingeweiht. Das Volk lehnte 1967 in einer Abstimmung den Kredit über 73 Millionen Franken ab,  erst nach einer Überarbeitung mit um über ein Viertel reduzierten Baukosten wurde er 1972 bewilligt.

Ein wenig weiter die Strasse hoch gelangt man an ihrem Ende zur Siedlung Brunnenpark aus dem Jahr 2012 von Fischer Visini Architekten. Wo sich früher 90 Altbauwohnungen der Baugenossenschaft Brunnenhof Zürich BBZ in Zeilen befanden, stehen heute vier sandsteinfarbene, elegante Mehrfamilienhäuser mit 100 Wohnungen zwischen der Wehntaler- und der Künzlistrasse. Der lange Innenhof, den man über eine Treppe durchqueren kann, ist eine Neuinterpretation der Gartenstadt. Allerdings vermisst man die dafür typischen fliessenden Aussenräume und die grossen Bäume – wie in den meisten Ersatzneubausiedlungen.

Der Friedhof Nordheim

Über die Wehntalerstrasse gelangt man zum Eingang des Friedhofs Nordheim mit seinen landschaftlich pittoresken Perspektiven und versteckten Ecken unter alten Linden, Eichen, Eiben sowie anderen Nadelbäumen. Im oberen Teil, an einem Weg parallel zum Hang, befindet sich eine kleine, ältere und sehenswerte Ausstellung von thematisch geordneten Grabsteinen. Auf Tafeln werden Gestaltungsgruppen wie «Abstraktion», «Kreuze» oder «Natur» erklärt und in einen gesellschaftlichen Kontext eingeordnet.

Im obersten Teil, über der Käfterholzstrasse, liegt erhöht und eingefasst durch den Waldrand das Krematorium Nordheim von A. H. Steiner. Es war nach der Fertigstellung im Jahr 1967 das grösste Europas und ist wohl durch seine skulpturale Einfachheit noch immer eines der schönsten der Schweiz. Das Areal umfasst 43 000 Quadratmeter, wovon etwa 12 000 in einer Geländemulde dem in Kompartimente unterteilten Urnenfriedhof zugeordnet sind. Im durch raumhohe Fenster eingefassten Hof hört man das Wasser eines Brunnens plätschern. Angrenzend liegen die grosse und die kleine Abdankungshalle. Zwei Mauern des grossen Baus und eine Seite des kleinen werden durch farbige, aussen bündige Scheiben durchbrochen, die ein buntes Lichtspiel im Innenraum erzeugen. Die Arbeiten in der ersten Halle stammen von Max Truninger, jene in der zweiten von Robert Wehrlin. Die in den Hang gebauten Verbrennungsanlagen ragen, soweit oberirdisch sichtbar, zum Teil in den Wald hinein. Alle Gebäudemauern bestehen innen und aussen aus Muschelkalk – die Blöcke wurden mit hoher Präzision aus dem Steinbruch gefräst und später nicht mehr weiterbearbeitet. Ein Fussweg führt, begleitet von einem der Höhenkurve folgenden Wiesenwall, hinter dem die Zufahrtsstrasse liegt, entlang des Waldrands hinunter zur Käferholzstrasse.

Verschwundene Tennisplätze und Raum fürs Spontane

Der Strasse hinab folgend, gelangt man links nach dem Friedhofstor zu den Schrebergärten und einem Fussweg Richtung Radiostudio. Wo früher die Angestellten der Credit Suisse Tennis spielten, liegt die Wohnüberbauung aus dem Jahr 2020 von Knapkiewicz & Fickert. Die horizontale farbliche Teilung der Fassade in Beige und Ocker über die Höhe von acht Geschossen verleiht ihr eine feine, gestelzte Balance aus Leichtigkeit und geerdeter Bürgerlichkeit. Die angrenzenden Häuser der gleichen Siedlung stammen von EMI Architekten. Die Fassaden zieren dunkel hinterlegte Gussglaspaneele, die in der Sonne farblich zwischen grau und hellviolett oszillieren, die Form scheint sich im Licht Fata-Morgana-artig aufzulösen.

Links befindet sich die Baustelle der Stadt Zürich und der Stiftung Einfach Wohnen 111, wo gemeinnützige Wohnungen, Gewerbeflächen, ein Kindergarten, eine Schule und ein Quartierpark entstehen. Unten überqueren wir die Hofwiesenstrasse und folgen rechts vom Radiostudio dem Weg zur Ersatzneubausiedlung Brunnenhof von Gigon Guyer Architekten. Bis zum Bucheggplatz entstanden hier 72 statt 51 Wohnungen für kinderreiche Familien, Gemeinschaftsräume und ein Kindergarten mit Hort. Die Bauten vereinen tiefe Baukosten, familiengerechte Wohnungsgrundrisse, einen zeitgemässen ökologischen Standard und einen durch die Farbgestaltung von Adrian Schiess künstlerischen Ausdruck. Die Fassadengestaltung mit den umlaufenden Geschossplatten und dem farbigen Glas prägt den Ort. Strassenseitig wirkt die Hülle flächig und schlicht: Geschosshohe Fenster wechseln sich mit farbigen Glaspaneelen ab. Auf der Parkseite spielt die Farbigkeit mit Nuancen: Vor undurchsichtige Fassadenplatten schieben sich bewegliche Sonnen- und Sichtschutzpaneele, woraus sich ein veränderliches Spiel aus spiegelnden und matten und unterschiedlich durchscheinenden Farbflächen, die im horizontalen Verlauf von Rot über Gelb bis hin zu Blau wechseln, ergibt.

Der Weg führt weiter am Tiergehege des Gemeinschaftszentrum Buchegg vorbei – Letzteres von Hans Linz und Fritz Schwarz: «Wir wollten Raum schaffen für das Spontane, das Vielfältige, das Improvisierte und das gesund Lärmige. Neben dem Bedürfnis nach lebhaftem Tun sollte aber auch das Besinnliche und Beschauliche seinen Platz haben. So entstanden diese verwinkelten Betonmauern, die kleinere und grössere Bereiche gegeneinander abgrenzen, ohne sie abzuschliessen.» Dies ist ein Zitat der Architekten von 1958 nach Fertigstellung der Anlage. So ist es bis heute geblieben, im Gegensatz zu vielem Neuem gibt es um das Gemeinschaftszentrum noch Orte, wo sich Kinder und Jugendliche unbeobachtet aufhalten können.

Von der Fussgängerüberführung des Bucheggplatzes aus überblickt man das 1957 fertiggestellte Tramwartehäuschen von Jacques Schader, das eine «Auszeichnung Guter Bauten» erhielt. Mit dem richtigen Timing ist der gegenüberliegende Container des KUMO6 für Kaffee und Kuchen zum Abschluss des Spaziergangs der richtige Platz.

Eine Karte mit dem eingezeichneten Spaziergang finden Sie hier.

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