«Als Exo­tin bin ich oft an­ge­eckt»

Andrée Mijnssen hat sich auf ihrem Berufsweg mehrmals neu orientiert – von der Landschaftsökologie und über die Industrie kam sie zur Psychotherapie und schliesslich zur Angewandten Ethik. Heute leitet sie ein Seminarhaus¹. Gründe für die Richtungswechsel waren schwere Krankheiten, aber auch die gläsernen Decken, an die man als Frau ihrer Generation immer wieder stiess.

Publikationsdatum
10-08-2012
Revision
25-08-2015

TEC21: Sie sind in Zug aufgewachsen und nach der Matur 1970 nach Berlin gegangen, um dort Gartengestaltung und Landschaftsplanung zu studieren. Sie scheinen also sehr genau gewusst zu haben, was Sie studieren möchten. War das so?
Andrée Mijnssen:
 Ich konnte mich nicht entscheiden zwischen Biologie und Architektur. Ein halbes Jahr vor der Matur war ich bei der Berufsberatung. Dort hat man mir geraten, ich solle doch Englisch studieren, weil ich in Englisch die beste Note hatte. Aber das hat mich nicht interessiert. Stattdessen bat ich die Berufsberaterin, für mich herauszufinden, an welchen Universitäten man Landschaftsplanung studieren kann. In der Schweiz war das damals nicht möglich.

Das war eine neue Fachrichtung?
A. M.:
Ja. Im Studium habe ich dann gemerkt, dass es mich nicht so sehr interessiert, eine Landschaft zu gestalten, sondern mehr, wie sie natürlich wächst. Darum habe ich meinen Studienschwerpunkt Richtung Erholungsplanung und Landschaftsökologie verlagert. Nach dem Studium bin ich dann nach Zürich zurückgekehrt und habe am Geobotanischen Institut der ETH zweieinhalb Jahre an einer Dissertation über Naturschutzbewirtschaftung von Streuwiesen gearbeitet. Es ging darum, wie sich Einflüsse wie der Wasserstand sowie die Bewirtschaftung und Eutrophierung durch die Landwirtschaft auf magere Streuwiesen auswirken.

Warum haben Sie die Dissertation dann abgebrochen?
A. M.:
 Ich hatte doppeltes Pech. Zum einen sind meine Untersuchungsflächen im Naturschutzgebiet durch ein Military-Reiten zerstört worden. Das sah danach grauenhaft aus – ein einziger Morast. 

Obwohl Sie mit den Bauern vereinbart hatten, dass das Ihre Versuchsflächen sind?
A. M.:
 Nein, das hat man damals besser nicht gemacht. Wenn ich wegen einer Bewilligung gefragt hätte, wären sie womöglich gekommen und hätten Gülle darübergeschüttet. Denn es gab Bauern, die sogar Untersuchungen in Naturschutzgebieten sabotiert haben.

Sie sagten, Sie hätten doppeltes Pech gehabt.
A. M.:
 Ja, ich bin drei Monate später auch noch schwer erkrankt. Das hat mich dann ganz aus der Bahn geworfen. Deshalb habe ich die Dissertation abgebrochen. Ich habe gemerkt, dass ich etwas anderes machen muss, und habe zunächst in verschiedenen Beratungsbüros als Landschaftsökologin und Planerin gearbeitet. Später bin ich für ein Jahr nach Amerika gegangen und habe dort auf einer Selbstversorgerfarm gearbeitet. 

Das hat den ersten Bruch in Ihrer beruflichen Laufbahn eingeleitet, denn Sie haben nach Ihrer Rückkehr in die Schweiz nicht mehr als Landschaftsökologin gearbeitet, sondern eine Stelle in der Industrie, bei Landis und Gyr in Zug, angetreten. Ist Ihnen in der Auszeit in Amerika klar geworden, dass Sie in einem anderen Bereich arbeiten möchten?
A. M.:
 Nein. Das hatte familiäre Gründe. Mein Onkel war Konzernchef, und ich wollte das Familienunternehmen aus erster Hand kennenlernen. Er hat mir angeboten, bei ihm als Sekretärin zu arbeiten. Das spricht Bände, oder  Heute ist kaum vorstellbar, wie Frauen zu jener Zeit diskriminiert wurden. Ich habe dankend abgelehnt und gesagt, ich hätte ein abgeschlossenes Studium. Daraufhin habe ich die interessante Aufgabe bekommen, an einem internen Logistikprojekt mitzuarbeiten. Ich bin natürlich subaltern geblieben. Zu dieser Zeit war die höchstpositionierte Frau bei Landis und Gyr im mittleren Kader. Sie war weit und breit die Einzige und eine Polin, keine Schweizerin.

Sie waren also eine Exotin.
A. M.:
 Ja, ich bin deshalb oft angeeckt. Obwohl ich schon über 30 war und mich immer als Frau Mijnssen vorgestellt habe, wurde ich mit ‹Fräulein› angesprochen. An Teamsitzungen wurde erwartet, dass ich den Kaffee mache. Da habe ich eben gesagt, ich hätte keine Ahnung, wie die Kaffeemaschine funktioniert, ich sei Teetrinkerin.

Sie wurden als Frau automatisch als Sekretärin angesehen?
A. M.:
 Ja, genau. Darum hat mein Berufsweg nach vier Jahren einen weiteren Knick gemacht, weil ich merkte, dass die Industrie nicht mein Ort ist. Ich habe berufsbegleitend eine Psychotherapieausbildung begonnen und hatte etwa vier Jahre lang eine eigene Praxis. Dann kamen Mitte der Neunzigerjahre die Probleme mit der Anerkennung durch die Krankenkassen. Ich bekam als Auflage, ein Jahr lang in der Psychiatrie zu arbeiten. Da ich mehrere zeitintensive Projekte parallel am Laufen hatte, wollte und konnte ich das nicht. Ich war mitten in den Prüfungen für das Ergänzungsstudium Psychotherapiewissenschaften. Nebenher habe ich mehrmals wöchentlich Aikido unterrichtet – ich bin zweiter Dan im Aikido. Ausserdem war ich daran, einen Bauernhof mit Umschwung zum Seminarhaus umzubauen. Und nicht zuletzt lebte ich in Scheidung – das war ein bisschen viel für mich.

Warum wollten Sie ein Seminarhaus gründen  War das ein Traum von Ihnen?
A. M.:
 Ja, ich wollte mit Renovation und Betriebdieses Hauses die Ökologie praktisch umsetzen und vielen Menschen nahebringen. Es ist zwar mittlerweile ein bisschen ein Alptraum geworden – wir haben eine zu geringe Auslastung. 

Vor sechs Jahren haben Sie nochmals ein Nachdiplomstudium in Angewandter Ethik begonnen. Warum?
A. M.:
 Ich hatte Probleme mit der Hüfte, bin zweimal operiert worden und konnte meine Sportarten Aikido, Tennis und Skifahren nicht mehr ausüben. Ich bin ein Bewegungsmensch und wollte deshalb zumindest mein Hirn bewegen können. Ethik und Philosophie haben mich schon lange interessiert, auch wie Menschen ihre Werthaltungen umsetzen, warum es zum Beispiel mit dem Umweltschutz nicht vorwärtsgeht, obwohl wir doch wissen, was zu tun wäre. Es war ein sehr breites und interessantes Studium, das auch die Wirtschaftsethik umfasste.

Sie hatten aber nicht vor, das beruflich zu nutzen?
A. M.:
Das schliesse ich nicht aus. Aber im Moment beansprucht mich das Seminarhaus stark. Und es gibt auch nicht allzu viele Orte, an denen ich mit diesem Abschluss Arbeit finden könnte.

Wenn Sie auf Ihren beruflichen Werdegang zurückschauen und nochmals wählen könnten, würden Sie es nochmals genauso machen?
A. M.:
Ich denke schon. Aber andererseits bedaure ich heute, in keinem Bereich einen starken Anker zu haben, zum Beispiel im Bereich Ökologie. Das interessiert mich, dafür setze ich mich auch gern ein. Mit der beruflichen Umsetzung hat es einfach gehapert. Als Frau meiner Generation hatte ich kaum Chancen auf eine Führungsposition in einer grösseren Unternehmung, obschon ich pragmatisch und innovativ bin und gerne führe.

Was haben Sie für Zukunftspläne?
A. M.:
Keine. Es ist mein Plan, keine grösseren Pläne zu haben und mich in nächster Zukunft für mein Seminarhaus einzusetzen. Ich habe mir in meinem Leben oft zu viel aufgeladen. Vielleicht tut sich irgendwann eine neue berufliche Möglichkeit auf, wo ich meine Fähigkeiten und mein Know-how aus den verschiedenen Bereichen einsetzen kann, das wäre toll!

Anmerkung

  1. www.schoepfe.ch
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