Die Pro­me­na­de am See

Seeufergestaltung Zentrum Brunnen

Viele harte Verbauungen an Schweizer Seeufern sind über 100 Jahre alt. Ihre Instandsetzung und Aufwertung sind diffizile Aufgaben, da Wellen auf der einen und der Bevölkerungsdruck auf der anderen Seite auf die Uferzone prallen. Die neue Seeufergestaltung im siedlungsdichten Raum von Brunnen steht dafür exemplarisch.

Publikationsdatum
22-11-2018
Revision
22-11-2018

Brunnen wandelte sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Kurort. Die Landschaft am Vierwaldstättersee zog den Tourismus an; die touristische Infra­struktur folgte. Insbesondere am ­See­ufer wurde grosszügig und mutig gebaut (Aufschüttung von Wehrihaggen, Waldstätterquai und -terrasse sowie Bellevuequai). Die heutige Ufer­anlage ­basiert in ihrer Disposition immer noch auf dieser his­torisch gewachsenen Grundlage. Über das letzte Jahrhundert ergänzt und sporadisch ausgebessert, ­entsprach sie aber in Teilbereichen nicht mehr den aktuellen Anforderungen. Der Zugang zum Wasser für die Bevölkerung über die Uferpromenade sollte ver­bessert und das Bauwerk instand gesetzt werden.

2005 lobte die Gemeinde Ingenbohl einen Studienauftrag aus. Dettling Wullschleger Architekten mit Ryffel + Ryffel Landschaftsarchitekten gewannen und wurden 2006 zusammen mit den Ingenieuren von ­Staubli, Kurath & Partner mit der Projektausarbeitung beauftragt. Seit Sommer 2016 ist die erste von vier Etappen realisiert. Die Uferlinie erscheint neu mit einem rund 70 m langen und fast 4 m breiten Seesteg und einer Treppenanlage mit Sitzstufen beim Bootssteg. Dabei griff das Planerteam die ­his­torische Gestaltung auf und verknüpfte die nutzungsspezifischen Aspekte mit den statischen und ­sicherheitsrelevanten Anforderungen so, dass sie das architektonische Konzept stützen.

Konsequenz aus Belastung und Nutzung

Bei mittlerem Seewasserstand befindet sich der Seesteg nur etwa 0.6 m über dem Wasser. Die zwei untersten Stufen der Treppenanlage sind permanent überspült. Damit die Ingenieure eine Konstruktion entwickeln konnten, die spezifisch auf den Kontext mit seinen statischen Rahmenbedingungen reagiert, und damit bei Sturmereignissen keine Schäden durch Überbelastung, schädliche Erosionsprozesse oder Materialverfrachtungen entstehen, wurden die Prozesse im Wasser genau analysiert. An diesem Ufer treten rechnerisch signifikante Wellenhöhen von 1.6 m auf. Die einzelnen Maximalwellen sind sogar nochmals 80 % grösser. Während der Föhnlage trifft die für die Bemessung der Uferverbauung relevante Welleneinwirkung auf der gesamten Länge gleichzeitig auf.

Ausserdem ist der Baugrund schwierig. Die oberen Schichten bestehen aus einer künstlichen Aufschüttung, die im Rahmen der Quaiverbreiterung und beim Bau der alten Ufermauer eingebracht wurde. Sie enthält grosse Blöcke, was die Rammbarkeit stark beeinträchtigte und die Wasserhaltung beim Trockenlegen der Baugrube erschwerte. Darunter folgt eine setzungsempfindliche, schlecht tragfähige Schicht. Die neue Uferverbauung steht nun auf schwimmenden Pfählen, die 30 bis 40 m in den Baugrund reichen. Auf den Pfahlköpfen lagern ein Fundamentriegel und darüber die Oberkonstruktion. Sie ist an den Auflagern gefugt. Die Fugen und die sich daraus ergebende statische Bestimmtheit des Tragsystems verhindern, dass die differentiellen Setzungen das Tragverhalten infolge unerwünschter Zwängungen beeinflussen.

Weil die Seetreppe durchlässig ausgestaltet wurde, gelangt ein Teil der Wellenenergie in den darunter liegenden Hohlraum. Dort wurde ein massiver Blockwurf eingebaut, der die Wellenenergie vernichtet und dadurch die auf das Bauwerk wirkende Belastung markant reduziert. Die Brüstungen entlang des Seestegs und die Treppenstufen sind seeseitig abgeschrägt. Auch diese angewinkelte Untersichtsfläche reduziert die  Wellenkraft auf die Verbauung, da die senkrecht auf das Ufer treffenden Wellen wieder auf den See zurückgeworfen werden. Der Hohlraum unter der Treppe ist zugleich Unterschlupf für Jungfische und Wassertiere. Damit und mit den teils nicht begehbaren Kiesstränden und neuen Blockwürfen beim Seesteg erhält die Situation auch punktuelle ökologische Aufwertungen.

Was unbeschwert erscheint, ist ein detailliert ausgearbeitetes Projekt, das auf die spezifische ­Wellen- und Windsituation vor Ort abgestimmt ist. Die
Konstruktion der Uferzone verhindert eine schadensreiche Erosion und einen übermässig belastenden ­Wellenschlag. Obwohl das Bauwerk nach wie vor eine unnatürliche und harte Verbauung ist, beruht es auf einem Eingriffskonzept, das die gestalterische, technische und sicherheitsspezifische Massnahmen verträglich mit den Nutzungsbedürfnissen vereint.

Seeufergestaltung Brunnen
 

Bauherrschaft
Gemeinde Ingenbohl
 

Ingenieur
Staubli, Kurath & Partner, Zürich
 

Architektur
Dettling Wullschleger Architekten, Oberarth SZ
 

Landschaftsarchitektur
Ryffel + Ryffel, Landschafts­architekten BSLA, Uster

Magazine

Verwandte Beiträge