Nach­wuchs­man­gel un­ter den Bau­in­ge­nieu­ren

Nur ein Mythos?

Die Bedeutung von gut ausgebildeten Fachkräften ist in der Schweiz ­grösser denn je. Die Baubranche bemängelt, inländische ­Arbeitnehmer könnten den Fachkräftebedarf nicht abdecken. Woran liegt das? Und was können Ingenieure und Berufsverbände tun? Eine aktuelle Studie gibt Aufschluss.

Publikationsdatum
21-09-2017
Revision
21-09-2017

Die kürzlich von Swiss Engineering STV und economiesuisse präsentierte Studie «Die Fachkräftesituation bei Ingenieurinnen und Ingenieuren» geht dem Fachkräftemangel auf die Spur und sucht nach Lösungsmöglichkeiten. Die Verfasser stellen fest: Politische Massnahmen sind notwendig, aber genauso wichtig sind Massnahmen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, um ein besseres «Profil-Matching» zu ermöglichen, also eine bessere Übereinstimmung des Stellenprofils mit den Kompetenzen geeigneter Kandidaten.

Es herrscht ein «Soft Skills Gap» zwischen den Erwartungen der Unternehmer und den Fähigkeiten der Bewerber. Arbeitgeber erwarten Berufserfahrung, Berufserfolg und ein gutes berufliches Netzwerk, aber auch soziale Kompetenzen. Zudem halten 80 % der befragten Arbeit­geber eine kontinuierliche Weiterbildung im aktuellen Umfeld für äusserst wichtig. Abschlussnoten stehen hingegen bei der Nennung der wichtigsten Aspekte für die berufl­iche Karriere in den untersten Rängen.

Wesentlich ist hingegen die Investition in Sozialkompetenzen wie Teamfähigkeit, positive Ausstrahlung und ein sicheres Auftreten. Unternehmer können viel gegen den Fachkräftemangel tun, in dem sie verstärkt in ihre Mitarbeiter investieren. Unter dem heutigen Preisdruck ist dies natürlich schwierig, aber langfristig ist eine Personal­politik, die Mitarbeiter fördert und entwickelt, unerlässlich für den Erfolg. Geringe Fluktuation und spezifisch weitergebildete Arbeitskräfte senken die Personalkosten und steigern die Produktivität.

Der SIA möchte gemeinsam mit seiner Berufsgruppe Ingenieurbau (BGI) ein Mentoring-Programm aufbauen, bei dem sich erfahrene und erfolgreiche Ingenieurinnen und Ingenieure mit jungen Absolventen treffen und austauschen. Der genannte «Soft Skills Gap» könnte mit diesem Programm verkleinert werden. Ein solcher Austausch trägt auch zur Wertschätzung junger Mitarbeiter bei, denn mangelnde Wertschätzung ist ein häufiger Kündigungsgrund.

Den perfekten Kandidaten gibt es nicht

Wie schon erwähnt, liegt eine wesentliche Ursache für den Fachkräftemangel im fehlenden «Profil-­Mat­ch­ing». Es lässt sich aber auch die Tendenz feststellen, dass viele Arbeitgeber nicht bereit sind, einen Kandidaten, der nicht exakt ins Profil passt, in die Aufgabe einzuar­beiten. Aus der Fachkräftestudie ist ersichtlich, dass bei Firmen, die es leichter haben. passende Bewerber zu finden, für die Kandidaten der  Lohn nicht die Hauptrolle spielt. Vielmehr geht es in diesen Fällen um Arbeitsinhalte, Arbeitsklima, Entwicklungsmöglichkeiten und Wertschätzung, die den Mitarbeitern wichtig sind.

Ingenieure müssen ihre Karriereplanung heute selbst in die Hand nehmen und sich auf dem Arbeitsmarkt entsprechend präsentieren. Plattformen wie «engineers.ch» bieten Arbeitgeber und Arbeitsuchenden hierzu beispielsweise die Möglichkeit, sich einem fachspezifischen Publikum zu präsentieren und dabei über Karriere- und Weiter­bildungsmöglichkeiten sowie Ver­anstaltungen informiert zu bleiben.

Für Unternehmen wird es zunehmend wichtiger, sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsen­tieren. Dies geschieht gerade im kreativen Umfeld der Ingenieure wesentlich über spannende Projekte, die auf der eigenen Website oder Drittplattformen dargestellt werden. So können Arbeitgeber und Arbeitnehmer schon früh klären, ob sie zueinander passen. Das Risiko, einen falschen Mitarbeiter oder umgekehrt den falschen Arbeitgeber zu wählen, lässt sich reduzieren.

Und die nächste Generation? Viele junge Menschen möchten zu einer besseren Welt beitragen und mithelfen, diese zukunftsfähig zu gestalten. Dazu brauchen wir Ingenieure. Aber wir benötigen auch Personen, die die Sinnhaftigkeit eines solchen Studiums aufzeigen können. Das «Berufsbild Ingenieur», das die BGI derzeit erarbeitet, sollte eine gute Basis sein für eine Kampagne, die bei Eltern und Jugendlichen für den Ingenieurberuf wirbt – bereits in der obligatorischen Schule. Viele Schüler verlieren schon früh das Interesse und die Motivation an den mathematisch-wissenschaftlichen Fächern. Kontinuierliche Weiterbildung gehört gemäss STV-Studie heute ins Berufsbild eines Ingenieurs – warum nicht auch das Weitergeben von Wissen? Einige Schulen suchen Ingenieure, die ihr Enga­gement und Fachwissen als Teilzeitlehrer einsetzten.

Wenig gewürdigte ­Fachkarrieren

Der Fachkräftemangel ist ein strukturelles Problem, die Schere zwischen Angebot und Nachfrage klafft immer weiter auseinander. Geht man von einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 2 % und einer Einwanderung von netto 40 000 Personen aus, werden gemäss STV-Studie in der Schweiz zukünftig immer noch zwischen 20 000 und 50 000 Ingenieure ­fehlen.

Warum kehren viele Ingenieurinnen und Ingenieure ihrem Beruf den Rücken, warum entwickeln sie sich nicht spe­zifisch als Experten weiter? Als Gründe nennt die STV-Studie nie­drige Entwicklungsmöglichkeiten und einen stagnierenden Arbeitsinhalt. Hinzu kommt: Die Weiterbildung zu Fachexperten wird von vielen Firmen nicht monetär belohnt. Aufstieg ist vielfach nur in einer Führungsfunktion möglich, Fachkarrieren wer­den nur selten gefördert und anerkannt. Es müsste sich eine Kultur entwickeln, bei der Fach- und Führungskarrieren denselben Stellenwert haben – auch monetär.

Wir brauchen also: ein modernes Berufsbild, das Jugend­liche motiviert, Ingenieur zu werden, ein Mentoring-Programm, das junge Ingenieurinnen und Ingenieure ermutigt, wertschätzt und fördert, und Austauschplattformen, auf denen sich Arbeitgeber wie Arbeitnehmer präsentieren und begegnen können. Die SIA-Berufsgruppe Ingenieurbau bleibt dran.
 

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