Der fi­nan­ziel­le Wert von Bau­kul­tur

Bauten, die dem Anspruch an eine hohe Baukultur gerecht werden, sind wertvoll für Gesellschaft und Umwelt. Aber kann hohe Baukultur auch finanzielle Mehrwerte generieren?

Data di pubblicazione
30-09-2022

Der Wert einer Immobilie hängt massgeblich von vier Faktoren ab: dem Immobilienmarkt, den Standort- und den Objekteigenschaften und der Nutzung. In der Regel lassen sich jedoch nur zwei dieser vier Faktoren beeinflussen: Wer auf den finanziellen Erfolg einer Immobilie einwirken will, kann dies grundsätzlich über die Objekteigenschaften (Nutzbarkeit, Standard, Zustand) oder über die Nutzung (Mietpreise, Verträge, Betrieb) erreichen.

Soll nun die Rendite, also das Verhältnis zwischen Jahresertrag und Marktwert einer Liegenschaft, gesteigert werden, bedeutet dies vereinfacht gesagt, dass der Ertrag – Mietwert oder Mietzins – erhöht werden muss.

Zahlungsbereitschaft für eine Mietwohnung

Gemäss der Immo-Barometer-Umfrage von 2018 messen Wohnungssuchende dem Kriterium «Ästhetik und Architektur» keinen hohen Stellenwert zu: Es belegt unter den Beurteilungskriterien gerade einmal den zweitletzten Platz. Eine zusätzliche Zahlungsbereitschaft dürfte dieser Faktor  also kaum auslösen. Hohe Baukultur ist jedoch mehr als Ästhetik und Architektur. Die «Davos Declaration» von 2018 legt neben Schönheit sieben weitere Kriterien fest, die die Baukultur beeinflussen. Dazu gehören zum Beispiel Funktionalität, Wirtschaft, Vielfalt und Kontext. In Bezug auf den Wohnungsbau leisten also auch Faktoren wie die Einbettung in die Umgebung, der Bezug zum Aussenraum, Licht und Sonne, die Raumeinteilung oder die Möblierbarkeit wichtige Beiträge zur Baukultur. Diese Faktoren werden massgeblich durch den Wohnungsgrundriss bestimmt – und belegen bei Mieterbefragungen jeweils Spitzenplätze.

Damit trägt der Grundriss wesentlich zum Wohlbefinden und zur Zufriedenheit der Nutzenden bei. Gleichzeitig hat er durch seine Eigenschaften einen erheblichen Einfluss auf den Mietzins und folglich den Ertrag einer Liegenschaft. Der Grundriss kann somit als Schnittmenge von Baukultur und Rendite betrachtet werden.

Grundrissqualität und Rendite

Der Preis einer Wohnung wird in erster Linie durch den Nutzwert definiert. Darunter fallen Faktoren wie Zimmerzahl, Möblierbarkeit oder Stauraum. Natürlich spielt auch die Mietfläche eine Rolle. Die Preisentwicklung flacht jedoch mit steigender Fläche ab: Bei gleicher Zimmerzahl liegt der Quadratmeterpreis umso tiefer, je mehr Fläche eine Wohnung aufweist. Will man den Ertrag pro Quadratmeter steigern, um so die Rendite zu erhöhen, muss eine Wohnung einen möglichst hohen Nutzwert bei gleichzeitig möglichst kleiner Fläche aufweisen. Mit anderen Worten: Sie muss effizient organisiert sein. So gilt es beispielsweise, enge und unbelichtete Korridorflächen, die kaum etwas zum Nutzwert beitragen, zu reduzieren.

Das Grundrissbeispiel in der Galerie soll diesen Zusammenhang verdeutlichen. Die beiden Beispielwohnungen sind in Bezug auf ihre Nutzbarkeit (Zimmerzahl, Möblierbarkeit, Stauraum) grundsätzlich identisch. Während Wohnung B jedoch 110 m2 misst, erreicht Wohnung A denselben Nutzwert mit lediglich 95 m2. Dies hat zur Folge, dass Wohnung A zu einem ähnlichen Mietzins vermietet werden kann wie Wohnung B, obschon die Investitionskosten signifikant
tiefer sind.

Ein guter Grundriss vermittelt trotz sparsamem Flächenverbrauch ein Gefühl von Grosszügigkeit, schafft spannende Raumabfolgen, macht die Tageszeiten aufgrund einer geschickten Ausrichtung erlebbar und schafft durch grosszügige private Aussenräume einen Bezug zur Umgebung. So werden verschiedene Kriterien der Baukultur erfüllt, und gleichzeitig wird aus Investorensicht ein interessantes Renditeobjekt geschaffen.

Grundrisse, deren Qualität die Zeit überdauert

Ein guter Grundriss wird jedoch nicht allein durch Qualität und Effizienz bestimmt, sondern auch durch seine Langlebigkeit. Jede Lage hat andere Rahmenbedingungen, jede Zielgruppe stellt andere Anforderungen – und diese verändern sich im Lauf der Zeit. Der ideale Grundriss wäre daher nutzungsneutral, sodass verschiedene Bewohnerschaften sich ihn aneignen können und er veränderten Wohnbedürfnissen gerecht werden kann. Auf diese Weise könnten Mieterfluktuationen, Leerstände sowie zukünftige Investitionen auf ein Minimum reduziert werden. Diesen Anspruch perfekt zu erfüllen ist jedoch utopisch. Es ist daher wichtig, im Rahmen der Projektentwicklung die Zielgruppen zu definieren sowie deren Ansprüche zu kennen, um die Grundrisse entsprechend gestalten zu können. Zudem gilt es, durch ein geschicktes Gebäudelayout und geeignete Konstruktionen künftige Umnutzungen mit möglichst geringer Eingriffstiefe zu ermöglichen.

Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Erfolgsfaktor Baukultur | La culture du bâti – un facteur de réussite | Cultura della costruzione: un fattore di successo».

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