Wie schafft der Städ­te­bau mehr Kü­hloa­sen?

Die Stadt Zürich will wachsen und sich mit Qualität nach innen entwickeln. Der Kanton Zürich erarbeitet dazu die rechtlichen Rahmenbedingungen, damit die urbane Verdichtung als Chance für die Hitzeminderung genutzt werden kann.

Data di pubblicazione
15-06-2022

Zürich mitten im Sommer, kurz vor der Dämmerung um 4 Uhr morgens: Am Paradeplatz ist es beinahe 23 °C warm und trotz Seenähe windstill und trocken. Zwölf Stunden zuvor war es sogar drückend heiss bei über 40 °C. Das Personal der Banken und Finanzhäuser, das an diesem prominenten Ort tagsüber arbeitet, freute sich über Grossraumbüros mit aktivem Kühlsystem. Zur selben frühen Stunde ist es im Stadtteil Aussersihl nur wenig kühler und kaum chilliger: Die Luft vor den gekippten Fenstern steht und ist über 20 °C warm. Tropische Sommernächte verhindern das Auskühlen von Wohnbauten und werden für die Bevölkerung schnell unangenehm.

Bevor nun erzählt wird, was die Stadtbehörde dagegen unternehmen will, nochmals ein Ortswechsel nach Fluntern, ein weiteres traditionelles Zürcher Wohnquartier. Aus dem nahen Wald strömt kühle und feuchte Nachtluft und fliesst durch den locker besiedelten Zürichberg. Vor allem dort, wo sich das Stadtgebiet über einen Abhang erstreckt, wird Mikroklima selbst in stickigen Sommerperioden nur schwach bis mässig überwärmt. Wie sich die Hitze auf die verschiedenen Quartiere von Zürich auswirkt, geben Klimakarten des Kantons Zürich wieder. Sie informieren Fachleute und die breite Öffentlichkeit parzellenscharf und verlässlich über die Folgen des Klimawandels auf den sich verändernden Siedlungsraum und zeigen Handlungsmöglichkeiten auf.

Klimaanlagen: Wald und Wasser

Das Amt für Städtebau (AfS) der Stadt Zürich hat sich ein Bild über die Kühlelemente im Stadtkörper gemacht: Die Topografie ist ein thermischer Antrieb für das natürliche Klimasystem. Zur Abkühlung tragen die bewaldeten Abhänge des Uetlibergs, des Käferbergs und des Zürichbergs bei; sie sind Herkunftsort wichtiger Kaltluftströme, die sich je nach Baustruktur bis zur Talsohle ausbreiten. Im Siedlungskörper selbst erzeugen Pflanzen dank ihrer Kondensationsleistung ein kleinsträumiges, kühlendes Mikroklima. «Sind die Siedlungsräume grosszügig durchgrünt und lässt die Baustruktur kalte Luft hindurch, wirkt sich dies positiv auf die Hitzeminderung aus», bestätigt Martin Valencak, Projektleiter Arealentwicklung & Planung im AfS und zuständig für die Umsetzung der Hitzeminderung in der Bau- und Zonenordnung (BZO).

Positive Beispiele sind die luftigen, durchgrünten Gartenstädte an den Siedlungsrändern – etwa am Friesenberg am Fuss des Uetlibergs oder in Schwamendingen in Zürich-Nord. Negative Beispiele lassen sich dagegen in stark versiegelten Arealen oder im historischen Zentrum finden. Die Altstadt ist mit ihrer charakteristischen, engen Anordnung und dem seltenen Grün eine grossräumige, aber bei Weitem nicht die einzige Zürcher Wärmeinsel. Eine sommerliche Schönwetterphase heizt die Häuserzeilen inmitten versiegelter Gassen und Plätze jeweils überdurchschnittlich auf. Doch daran nur Kleines zu ändern, dürfte schwierig werden: «Die engen Platzverhältnisse und die Schutzinteressen beschränken das Repertoire, städtebaulich gegen eine Überhitzung in der City vorzugehen», so Martin Schneider, stellvertretender Direktor AfS.

Die Stadtverwaltung nimmt vielfältig Einfluss auf die Hitzeminderung

 

An der Umsetzungsagenda zur Fachplanung Hitzeminderung arbeiten die Departemente, Dienstabteilungen und Fachstellen der Stadtverwaltung entsprechend ihren Vollzugs- und Aufsichtsaufgaben mit. In der Summe ist die Behörde in vielfältiger Funktion aktiv, als Planungsträgerin, Wettbewerbsorganisatorin, Bauherrschaft und Eigentümerin. Federführend für die Umsetzung sind die Fachverantwortlichen von Umwelt- und Gesundheitsschutz, Grün Stadt Zürich und des Tiefbauamts. Aber auch andere Verwaltungsstellen sind mit unterschiedlichen Aufgaben daran beteiligt:

  • Die Hitzeminderungsstrategie von Immobilien Stadt Zürich, die für die Bewirtschaftung und den Betrieb von Schulhäusern, Verwaltungsbauten, Pflegezentren und weiteren öffentlichen Spezialbauten verantwortlich ist, beinhaltet Massnahmen zur Sicherstellung einer hohen Aufenthaltsqualität für die Bewohnenden und Nutzenden, zum Beispiel mit einer gebäudespezifischen Kontrolle des sommerlichen Wärmeschutzes.
  • Die Anstrengungen der Liegenschaften Stadt Zürich gehen bei der Bewirtschaftung der städtischen Wohnsiedlungen in eine ähnliche Richtung. Das Amt sammelt derzeit Erfahrung mit Pilotprojekten zur Vertikalbegrünung.
  • Das Amt für Hochbauten ist Bauherrenvertretung und organisiert Architekturwettbewerbe im gemeinnützigen Wohnbausegment. Neben der begleitenden und gutachterischen Rolle wird mithilfe von Analysen und Erfolgskontrollen zusätzliches Fachwissen erarbeitet.
  • Das Amt für Städtebau fordert hitzemindernde Massnahmen bei Sondernutzungsplanungen ein und sensibilisiert private Investoren für das Thema Stadtklima zur Programmierung von Architektur- oder Gesamtplanungswettbewerben.

 

Weitere Infos:

 

-> Programm Klimaanpassung, Umsetzungsagenda 2020–2023 zur Fachplanung Hitzeminderung, Stadt Zürich Umwelt- und Gesundheitsschutz 2020

Spielraum bei Verdichtung

Mehr Spielraum für eine wirksame Hitzeminderung versprechen dagegen Orte, die demnächst baulich verändert werden oder ein langfristiges Entwicklungspotenzial besitzen. Wo ab jetzt Neues entstehen soll, sind Massnahmen gegen den städtischen Wärmeinseleffekt zu berücksichtigen, sagt Schneider. Zwar gebe es keine Patentrezepte für den kühlenden Städtebau. Aber das Repertoire an grossmassstäblichen Interventionen scheint bekannt: Eine Stadt, die hinsichtlich der Hitzeoptimierung umgestaltet werden soll, braucht mehr Luft, Wasser und Grün. Die einzelnen Fachämter wollen dies mit einer gemeinsamen Systematik umsetzen. Zum einen sind bestehende Qualitäten zu erhalten. «Dazu gehört das Kaltluftsystem, das den aufgeheizten Siedlungsraum in der Nacht passiv auskühlen kann», erklärt Veronika Sutter, Projektleiterin Klimaanpassung beim Umwelt- und Gesundheitsschutz Zürich (UGZ). Neben den Wäldern erzeugt jeder Park und jede Grünfläche kühle Luft, die mehr oder weniger weit in die bebaute Umgebung strömt. Das Gegenteil ist allerdings der Fall, wenn Neubauten diese Lüftungskanäle versperren. Zum anderen befasst sich die Planungsbehörde auch mit Massnahmen, die tagsüber Abhilfe gegen den drohenden Hitzestress leisten. Parkanlagen und Fusswege spenden der Bevölkerung bei Bedarf angenehmen Schatten. «Deshalb braucht es klimaoptimierte Erholungsräume», bestätigt Sutter. Die Stadt Zürich will daraus ein Schattennetz knüpfen, um die Bewohner von dicht bewohnten Gebieten und von Pflege- oder Alterszentren besser vor Hitzestress am Tag zu schützen.

-> Praxisbeispiel Gestaltungsplan: Zwhatt Regensdorf
Regensdorf ist ein Vorort im Norden von Zürich. Die Stadterweiterung wird geplant, als ob der Standort im heissen Süden liegen würde.

Das Spektrum der hitzemindernden Massnahmen reicht noch weiter. Es passt sich den unterschiedlichen Massstäben von gross bei einer Quartierentwicklung bis zu klein beim Einzelgebäude an. «Rund um ein Haus und an diesem selbst sind vielfältige klimaökologische Verbesserungen machbar», ergänzt UGZ-Projektleiterin Sutter. Das Mikroklima beeinflussen lässt sich mit dem Entsiegeln, dem Begrünen oder einem Beschatten von Flächen. Eine Begrünung wirkt nicht nur horizontal, sondern vermindert auch an Fassaden die Hitzeabstrahlung. Helle Oberflächen schützen ihrerseits vor einer Überhitzung des Aussenraums. Vielfältig begrünte Bauteile versprechen zudem, den Kühlungsbedarf innerhalb eines Gebäudes zu reduzieren sowie den Regenwasserabfluss zu dämpfen. Auch Letzteres verbessert das standörtliche Mikroklima. «Das Wasser als Element im Stadtraum etablieren» lautet deshalb ein von Veronika Sutter geäusserter Zusatzwunsch.

Pilotprojekte als Lernstoff

Die Wirkung einzelner Spezialmassnahmen lässt sich durchaus quantifizieren; doch viele Potenzialanalysen sind theoretische Erkenntnisse und wenig robust. Was fehlt, sind Erfahrungen aus der Praxis und einem gebauten Umfeld. Die Stadt selbst entwickelt deshalb Pilotprojekte für ein hitzeoptimiertes Bauen, um diesbezüglich dazuzulernen und das Wissen über die Kosten-Nutzen-Effekte dereinst auch privaten Bauherrschaften und Planungsfachleuten vermitteln zu können.

Verbindliches einfordern darf das Amt für Städtebau aber heute schon. «Bei Gestaltungsplänen und in Architekturwettbewerben ist die Hitzeminderung angemessen zu berücksichtigen», unterstreicht AfS-Projektleiter Martin Valencak. Dabei geht die Stadt Zürich keinen Sonderweg. Auch andere Gemeinden nutzen solche Planungsverfahren «als eine von bislang wenigen Möglichkeiten für die kommunalen Behörden, das klimaangepasste Bauen einzufordern», erklärt Christian Werlen, beim kantonalen Amt für Raumentwicklung zuständig für Sondernutzungsplanungen in Gemeinden.

Aber was können private Bauträger auf ihren Baugrundstücken besser als bisher machen? Neubauten sind so zu setzen, dass natürliche Kaltluftströme nicht blockiert werden. Und die Grünraume sind auf einem Areal möglichst zu vernetzen. Im Verbund leisten sie mehr als jeweils isolierte Inseln, lauten generelle Empfehlungen.

Ein Förderprogramm der Stadt

Weiterer Handlungsbedarf besteht im Untergrund: «Tiefgaragen oder andere unterirdische Bauten können eine Bepflanzung mit grossvolumigen Bäumen verunmöglichen», ergänzt Martin Valencak. Interessierte Bauherrschaften werden in der Stadt Zürich zusätzlich beraten und finanziell unterstützt: «Die Stadt fördert Vertikalbegrünungen und Begrünungen im Aussenraum», betont UGZ-Projektleiterin Veronika Sutter. Das Programm «Mehr als Grün» dient dazu, die Biodiversität in Aussenräumen, in Hinterhöfen und im Strassenraum zu bereichern. Weil jede Begrünung – im Kleinen und Grossen – vor Überhitzung schützt, kam dieser Förderzweck zusätzlich dazu.

-> Praxisbeispiel Umgebungsgestaltung: Bürohof / Wohnsiedlung Sydefädeli
Flora und Fauna verlieren ihrem Lebensräume auf dem Land und in der Stadt. Umso wichtiger ist, dass sich die öffentliche Hand und Privateigentümer für Biodiversität und Lokalklima engagieren. Zwei Erfahrungsberichte aus Zürich.

Generell prüft die Stadtbehörde, wie bestehende Planungsaufgaben zur Hitzeminderung genutzt werden können. Martin Schneider ist überzeugt, dass sich daraus Synergien ergeben: «Lokalklimatische Verbesserungen lassen sich mit unseren städtebaulichen Entwicklungszielen gut vereinen.» Neben der Biodiversität soll davon insbesondere die Qualität bei baulichen Verdichtungsprojekten profitieren. ARE-Fachleiter Werlen begrüsst ein kombiniertes Vorgehen, weil es der Bevölkerung direkt zugutekommen wird. «Sich mit dem Lokalklima auseinanderzusetzen, muss zur Logik einer Siedlungsentwicklung nach innen gehören.» Das erhöhe die Akzeptanz für Verdichtungsvorhaben.

Es braucht auch Kompromisse

Zielkonflikte sind jedoch absehbar. Während sich ein geschlossener Riegelbau oft anbietet, um dahinter liegende Baureihen akustisch abzuschirmen, kann dieses Bauwerk zugleich thermisch erwünschte Kaltluftströme behindern. Gemäss Sutter sind Kompromisse möglich: «Variable Gebäudehöhen oder punktuelle Durchlässe tragen beiden Anliegen angemessen Rechnung.» Voraussetzung dafür ist aber, dass solche Lösungen interdisziplinär erarbeitet werden, ergänzt der stellvertretende AfS-Direktor Martin Schneider.

Noch mehr verspricht sich die Behörde von der Revision des kantonalen Planungs- und Bau-gesetzes. Sie soll «Grün und Blau» mehr Raum gewähren und Massnahmen in kommunalen Bau- und Zonenordnungen erlauben, die bei Baubewilligungen einzufordern sind, sagt Werlen. Um künftige Überbauungen möglichst frei von Wärmeinseln zu halten, seien auch private Bauherrschaften gefragt, ergänzt Schneider. Denn das Meiste wird in der Stadt Zürich und anderswo von privater Hand gebaut. Alle müssen die Hitzeminderung ernst nehmen. Um sich baulich anzupassen, stehen Städte und Gemeinden also nicht allein in der Verantwortung.

Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Hitzeminderung».

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