Fe­st ver­wur­zelt

Bürohaus Küng, Alpnach (OW)

Das Bürohaus Küng ist ein besonderer Bau: Entstanden in engem fachlichem Austausch zwischen Architekten und Bauherrschaft, zeigt er, welche konstruktiven Möglichkeiten das Material Holz bieten kann – sofern man sich darauf einlässt. Darüber hinaus ist das Gebäude auch ausgesprochen schön gestaltet und sorg­fältig detailliert.

Data di pubblicazione
07-03-2022

Etwas abseits der architektonischen Hotspots der Deutschschweiz liegt in Obwalden ein Bau, der in seiner Konsequenz und Ganzheitlichkeit aussergewöhnlich ist. Ausgangspunkt ist das Industrie- und Ge­werbegebiet am nördlichen Ortsrand von Alpnach. Zwischen einem Landmaschinenhändler und dem Holzheizwerk der örtlichen Korporation befindet sich hier die 1977 gegründete Küng Holzbau AG. In der zweiten Generation von Stephan Küng geführt, setzt die ­Firma ganz auf die Verwendung von ­lokalem Holz. Ab 2006 etablierte sie ­dafür die Produktion eines präfabrizierten Vollholzsystems (entwickelt wurde es ursprünglich in Österreich). Basis sind massive Wandelemente aus kreuzweise übereinandergelegten Brettern. Die Schichtung erlaubt es, im Innern des Elements ästhetisch nicht so hochwer­tiges Material wie etwa Käferholz zu ­verwenden, das sonst zu Holzfaserprodukten verarbeitet oder verheizt würde. Zudem weisen die dabei entstehenden Gitterträger eine hohe Steifigkeit auf. Angefeuchtete und dann aufquellende Buchenholzdübel halten das Element zusammen – ganz ohne Leim oder Metall.

Vom Baum zum Brett

Zur Anwendung kommen ausschliesslich Fichten und Weisstannen aus regionalen Hochwäldern, die im Plenterbetrieb bewirtschaftet werden: Die Förster fällen nur einzelne erntereife Bäume. Der Jungwuchs erhält dadurch Platz und Licht zum Wachsen, was die Biodiversität steigert. Geschlagen wird das Holz unter Berücksichtigung des forstwirtschaftlichen Mondkalenders im Dezember und Januar, wenn die Bäume am wenigsten Saft enthalten und weniger anfällig für Pilze und Schädlinge sind. Weil es für Bauprojekte häufig grosse Mengen braucht, werden diese aber nicht immer sofort gefällt, sondern «geringelt». Damit wird der Saftstrom durch einen umlaufenden Schnitt durch die Rinde unterbrochen. Die Bäume bleiben danach noch mehrere Monate stehen, damit sie über die Krone und Nadeln verdunsten können. Insbesondere das um Weihnachten kurz vor Neumond geschlagene «Mondholz» soll besonders stabil, feuerbeständig und widerstandsfähig sein – eine These, die Studien bisher jedoch nicht eindeutig ­belegen konnten. Wichtig für die Holzqualität ist hingegen die lange Trocknungszeit von mehreren Monaten – ein Verfahren, das auch beim Bau des Bürohauses zur Anwendung kam.

Im Video erklärt Tina Cieslik, weshalb das Projekt in ihren Augen für hohe Baukultur steht.

Der Erfolg des Vollholzsystems liess die Firma wachsen. 2013 expandierte sie mit einer Produktionshalle, entworfen von den Luzerner Seiler Linhart Architekten, auf das Nachbargrundstück. Der Entscheid für einen architektonisch anspruchsvollen Holzbau anstelle einer üblichen Fabrikhalle war damals ein bewusster, betont Stephan Küng: «Unser Marketingkonzept ist Architektur.» Vier Jahre später waren auch die Büros für die Planungsabteilung zu klein geworden. Südlich der Produktionshalle liess die Bauherrschaft von den gleichen Architekten daher einen neuen Verwaltungsbau erstellen.

Das Beste zweier Welten

Der viergeschossige, 15 × 17.5 m grosse Bau ist Visitenkarte und Forschungsobjekt für das hauseigene Vollholzsystem in einem. Ein Kern aus Beton im Innern beherbergt die Erschliessung und die ­Sanitärräume und sorgt gleichzeitig für die notwendige Erdbebensicherheit. Im Gespräch zeichnet Søren Linhart das Bild eines Baums: Der Stamm aus Beton in der Mitte gewährt Stabilität, die Geschosse aus Holz mit den umlaufenden Lauben sind die Äste und das Blätterwerk, die sich nach Licht und Luft ­strecken. Die markanten Lauben, an Zugstangen aufgehängt und nach oben hin sukzessive stärker auskragend, erinnern an historische Typologien der Zent­ralschweiz. Wie oft bei vernakulärer Architektur haben sie einen handfesten Nutzen: Sie schützen das unbehandelt verbaute Holz, dienen den Mitarbeitenden als Aussenraum und bilden die Verschattung für die dahinter liegenden ­Büros und Besprechungsräume.

Mehr Artikel zum Thema finden Sie in unserem E-Dossier.

In der Eingangshalle im Erdgeschoss verbinden sich die beiden Materialien Beton und Holz funktional: Ein in den Kern eingelassenes Cheminée schafft in der kalten Jahreszeit Behaglichkeit. In der Gestaltung unterscheiden sich die beiden Welten: Während alle Holzelemente akkurat rechtwinklig daherkommen, ist der Beton polygonal, fast organisch ausgeführt. Die Gestaltung sei eine Referenz auf die jeweilige Konstruktion, betont Søren Linhart: Der flüssige Beton wird gegossen, das lineare Holz präzise auf Mass geschnitten.

Partnerschaftliches Pingpong

Die aussergewöhnliche Ausgangslage, gemeinsam mit einem offenen und fachlich versierten Holzbauer dessen Bürohaus zu planen, führte zu einem intensiven Austausch mit den Architekten. Und auch zu Innovationen in verschiedenen Massstäblichkeiten, so zu den zweiachsig gespannten Decken aus Buchenholz in den Obergeschossen, die es ermöglichten, auf Träger zu verzichten, oder den höhenverstellbaren Schreibtischen in den Büros. Für Letztere liessen sich die Architekten vom Schiffsbau inspirieren: Mittels Winden können die Mitarbeitenden die Tischplatten individuell auf die gewünschte Höhe kurbeln.

Wie eng die Verbindung der Bauherrschaft zum Baustoff Holz ist, zeigt sich überall im Haus an vielen Details: Statt einer Fussmatte aus Textil sorgt am Eingang ein eigens angefertigter hölzerner Gitterrost für saubere Schuhe; die Spinde im Umkleideraum im Untergeschoss sind aus Holz; und statt eines Grundsteins liegt im Keller – Überraschung – ein graviertes Stück Holz.

Venustas plus

Was am Bürohaus Küng beeindruckt, ist die aussergewöhnliche Liebe zum Detail, die Logik der Konstruktion und die Stringenz in der Ausführung. Die Wertschätzung für das Material ist überall spürbar. Sie ist jedoch kein Selbstzweck: «Es ist wichtig, dass die Schönheit auch funktioniert», betont Stephan Küng. Aus der engen Zusammenarbeit zwischen Holzbauunternehmer und Architekten ist ein besonderes Stück Baukultur entstanden. Es repräsentiert nicht nur Architektur, sondern vielmehr eine Haltung.

Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Baukultur: Qualität und Kritik». Bestellen Sie jetzt!

Bürohaus Küng, Alpnach (OW)

 

Am Bau Beteiligte
Bauherrschaft, Bauleitung, Bauphysik und Holzbau
Küng Holzbau, Alpnach

 

Architektur
Seiler Linhart Architekten, Luzern

 

Tragkonstruktion
Neue Holzbau, Lungern

 

HLK-Planung
HS Team, Alpnach

 

Elektroplanung
Elektro Ettlin, Alpnach

 

Projektdaten
Fertigstellung
3/2020

 

Bauzeit
2017–2020

 

Kosten
3.50 Mio. Fr.

 

Volumen
5042 m3

 

Nutzfläche
1144 m2

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