Deutsches Ar­chi­tek­tur­jahr­buch

Das «Deutsche Architekturjahrbuch» wird seit über dreissig Jahren vom Deutschen Architekturmuseum DAM in Frankfurt am Main herausgegeben und hat sich über die Jahre als Chronik zu ausgewählten Bauten in und aus Deutschland etabliert. Mit der Ausgabe 2011/12 feiert die Publika­tion auch ein kleines Jubiläum: Seit nunmehr fünf Jahren wählt eine Jury den DAM-Preis für Architektur.

Date de publication
04-05-2012
Revision
25-08-2015

Die Auszeichnung würdigt zum einen in Deutschland realisierte Projekte, zum anderen das Schaffen deutscher Architekten im Ausland. Diesjähriger Gewinner ist das ­Basler Büro Diener & Diener Architekten mit der Rekonstruktion des Ostflügels des Mu­seums für Naturkunde in Berlin. Nachdem David Chipperfield für den Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin im vergangenen Jahr den Deutschen Architekturpreis erhalten hatte, zeichnete auch die DAM-Jury ein Projekt aus, bei dem der Spagat zwischen den Anforderungen eines modernen Museums und dem Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz im Zentrum stand.

Kopie und Abbild

Die Aufgabe der Rekonstruktion und Ergänzung ist ebenso alt wie aktuell, prominentestes Beispiel ist wohl der Wiederaufbau der Alten Pinakothek in München durch Hans Döllgast (1952–1957). Beim Museum für Naturkunde lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Diener & Diener stellten mit dem Abguss der erhaltenen Fassadenteile in Beton den Ostflügel wieder her, liessen die Zerstörung sichtbar und nahmen dennoch – im Unterschied zur Alten Pinakothek – keine Rekonstruktion im direkten Sinn vor. Die Betonfassade zeigt ein Abbild der ursprünglichen Konstruktion, kopiert sie jedoch nicht, denn deren Fügeprinzipien sind durch die Verwendung von Beton bedeutungslos geworden.

Vertraut und fremd

Das Projekt bildet im Jahrbuch den Auftakt zu einer Reihe von Bauten, die sich mit den Themen Weiterbauen, Instandsetzen und Umnutzung auseinandersetzen. Die Bauten sind im Jahrbuch grosszügig mit Bildern und Planmaterial – leider fehlen die Massstabs­angaben – dokumentiert und von jeweils einem Kritiker besprochen. Auch wenn der Preis ­allen Bauaufgaben offen steht, scheint die Dichte der Projekte zu diesem Gebiet zunächst erstaunlich. Führt man sich vor Augen, welchen Anteil das Bauen im Bestand inzwischen eingenommen hat, wird das Verhältnis verständlich. Dabei beeindruckt die eigenständige und spezifische Herangehensweise der jeweiligen Architekten.
Das wohl radikalste Projekt ist der Neubau einer Schutzhütte in Oberwiesenthal von AFF Architekten aus Berlin, bei dem die alte, hölzerne Hülle als Schalmaterial für das neue, rohe Sichtbetonkleid diente. Nicht weniger ungewöhnlich ist die Umnutzung einer alten Fachwerkkonstruktion als Überbau für das Sockelgeschoss aus Sichtbeton. Tadao Ando Architects & Associates, Tokio, entwarfen gemeinsam mit Zapp Architekten aus Bad Kreuznach (D) für die Fondation ­Kubach Wilmsen in Bad Münster ein Skulp­turenmuseum, das einerseits vertraut erscheint, andererseits durch den Sockel aus Beton selbst zur Skulptur wird. Mit dem Bild des Vertrauten arbeiteten auch die Berliner Heide & von Beckerath Architekten, die in Brandenburg einen kleinen Hof erhielten, indem sie eine ehemalige Fischerkate durch einen in der Kubatur vergleich­baren neuen Baukörper ersetzten. Statt aus Ziegeln wurde er jedoch als mit schwarzen Latten verkleideter Holzbau realisiert. Der Kreis schliesst sich mit der Sanierung und dem Neubau des Depots des Albertinums Dresden von Staab Architekten, Berlin. Hier gelang es, einen wesentlichen Aspekt des an der Elbe gelegenen Museums, den Hochwasserschutz der Depot- und Werkstattflächen, elegant zu lösen, indem dieser Bereich in eine neue, zweigeschossige Überdachung des Hofes verlegt wurde. Der im Hof stehende Besucher ahnt dank Lichtfuge und transparent anmutender Untersicht nichts von den über ihm schwebenden Massen.

Gehaltvoller Inhalt, gestalterische Schwächen

Ist dies auch keine komplette Aufzählung der präsentierten Projekte, so wird doch deutlich, welche Rolle das Bauen im Bestand heute spielt und wie ausgefeilt das Werkzeug der Architekten für diese Aufgaben geworden ist. Der zweite, weitaus kürzere Teil des Jahrbuchs, der sich dem Bauen im Ausland widmet, spannt mit den ausgewählten Projekten ebenfalls das Spektrum auf. Es hätte der Publikation gut getan, die begleitenden Essays, ein Interview mit Albert Speer und ein Porträt der Aktivitäten des Frankfurter Büros Franken Architekten in Vietnam, deutlicher auf die beiden Hauptkapitel abzustimmen – die Exkurse wirken in ihrer Sonderstellung etwas unvermittelt. Die grafische Gestaltung, zwischen Zeitschriften- und Buchlayout angesiedelt, kann das Dilemma nicht lösen. Ist das Konzept für die Vorstellung der Projekte durch die Möglichkeit der differenzierten Darstellung der Abbildungen gut geeignet, bleibt die Gestaltung der Einschübe dahinter zurück. Dennoch – das Studieren der unterschiedlichen Strategien zum Bauen im Bestand lässt die Publikation zu ­einer aufschlussreichen Lektüre werden.

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