Die neue Haftäs­the­tik

Neubau, Umbau und Instandsetzung, Justizvollzugsanstalt (JVA) Pöschwies, Regensdorf

Gefängnisse waren lange ein blinder Fleck der Architektur. Nun wird die JVA Pöschwies in Regensdorf erweitert – und die Haft wird plötzlich zur Designaufgabe. Doch mit dem Juryentscheid darf die Diskussion nicht enden.

Date de publication
09-10-2025

Neubau, Umbau und Instandsetzung, Justizvollzugsanstalt (JVA) Pöschwies, Regensdorf 
Studienauftrag im selektiven Verfahren

Regensdorf, Zürcher Unterland. Ein Ort, den man früher mit Kieswerken, Feldern und Einfamilienhäusern verband. Heute sieht man vor allem Kräne. Auf dem Zwhatt-Areal wächst ein neues Stadtquartier. Wenige hundert Meter weiter, am östlichen Rand der Gemeinde, liegt die Justizvollzugsanstalt (JVA) Pöschwies – das grösste geschlossene Gefängnis der Schweiz. 1995 eröffnet, ersetzte es die alte Strafanstalt von 1901. Heute bietet sie Platz für 376 Gefangene. Die Anlage steht seit 2021 unter Denkmalschutz, gilt als sozial- und baugeschichtlich bedeutend und soll nun um 120 bis 180 Plätze erweitert werden.

Grund dafür ist die vom Regierungsrat beschlossene Schliessung von kleineren Strafanstalten wie Affoltern am Albis und Horgen sowie des Kurzstrafenvollzugs am Flughafen Zürich. Ein hochsensibles Bauprogramm, das Sicherheit, Betrieb, Denkmalpflege und Humanität gleichzeitig berücksichtigen soll. Für diese Quadratur des Kreises führte der Kanton Zürich einen selektiven Studienauftrag durch, an dem fünf renommierte Teams teilnahmen.

Architektur hinter Gittern

Gefängnisbau war lange schambehaftet; kaum ein Architekt schmückte sich damit, Zellentrakte zu entwerfen. Zu restriktiv die Vorgaben, zu vorbelastet die Symbolik. Heute dagegen spricht man bei der Gefängnisarchitektur von Atmosphäre, Orientierung – ja, sogar von Wohnlichkeit. Im Jurybericht liest man von Farbkonzepten, Oberlichtern, Sichtachsen und Biodiversität. Die Inneneinrichtung der Zellen wird diskutiert, als handle es sich um Wohnungen von Studierenden.

Und damit ist der Standpunkt klar: Hinter Gittern soll nicht nur Sicherheit herrschen, sondern es soll auch ein Mindestmass an Würde und Alltagstauglichkeit geben. Die Gefängnisarchitektur ist eine Bauaufgabe geworden wie andere auch. Natürlich bleibt der Widerspruch: Eine Zelle ist kein Rückzugsort nach Wahl, sondern ein erzwungener Raum. Jede architektonische Geste, die Behaglichkeit verspricht, bleibt durchzogen von der Tatsache, dass man sie nicht verlassen darf. Aber dass man heute überhaupt darüber spricht, ist ein Fortschritt. 

Eine solide, bequeme Wahl

Alle fünf Entwürfe erfüllten die Vorgaben, alle mit Mängeln. Mal war es der Brandschutz, mal die Sicherheit und mal das Raumprogramm. In der engeren Wahl blieben drei Projekte, von denen letztlich die ARGE Penzel Valier und Drees & Sommer überzeugte. Die Neubauten sind geschickt entlang der bestehenden Achsen platziert, die Freiräume gut gefasst. Ein Wandelgang verbindet die Areal­teile. Die Organisation ist klar und die Innenräume sind wohnlich gestaltet. Die Jury lobte den Grünraum, der dem Areal eine neue Mitte gibt. Weiterhin fraglich bleiben dafür der Brandschutz, das Aufzugskonzept und die Umsetzung der Re-Use-Fassade. Das Projekt wirkt städtebaulich souverän, funktional und ist atmosphärisch stark.

Dennoch, die Jury hat es sich zu einfach gemacht und kritische Punkte in die nächste Projektphase vertagt. Ein Wettbewerb oder ein Studienauftrag darf aber mehr sein als die Suche nach der geringsten Reibung. Er könnte zeigen, wie man auch bei einem Gefängnis radikal über Raum, Sicherheit und Würde nachdenkt. Der Entscheid ist solide, gut – aber eben bequem. 

Hohe Mauern in der Stadt

Regensdorf ist ein Reagenzglas für die Agglomeration der Zukunft. Im Süden wächst der neue Stadtbaustein und im Norden verdichtet sich die Strafvollzugsanstalt. Das Gefängnis liegt durch die rege Bautätigkeit nicht mehr abgekoppelt am Ortsrand, sondern wird mehr und mehr Teil der Stadtlandschaft. Im Zwhatt entwirft man flexible Lofts und Freiräume für Begegnungen, hier modulare Zellentrakte und beaufsichtigte Spazierhöfe. Beide Programme nutzen ähnliche architektonische Instrumente und verfolgen doch gegensätzliche Ziele.

Man kann es als zivilisatorischen Fortschritt lesen, sich aber auch fragen: Verwischt die Architektur die Tatsache, dass es hier um Freiheitsentzug geht? Werden Strafanstalten damit nicht zu sehr normalisiert? Die «neue Haftästhetik» versucht sich im Balanceakt zwischen Humanisierung und Verharmlosung. Im Sinne der Machbarkeit und der Gesamtsicht hat die Jury richtig entschieden. Doch damit darf die Diskussion nicht enden.

Architektur hinter Mauern ist keine neutrale Bauaufgabe. Sie ist ein politisches Statement – ob man will oder nicht. Wer für die Haft baut, entscheidet mit, wie eine Gesellschaft Strafe versteht: als reine Verwahrung, als Chance auf Wiedereingliederung oder als Mischung aus beidem. Am Beispiel der JVA Pöschwies zeigt sich, dass man Gefängnisse heute gestalten und nicht nur abschliessen will. Doch reicht «gute Architektur» aus, um das Paradox von Strafe und Würde zu lösen?
 

Projekte Engere Auswahl
 

Gewinnerteam ARGE Penzel Valier und Drees & Sommer Schweiz
Penzel Valier, Zürich mit Drees & Sommer Schweiz, Zürich; Maurus Schifferli, Landschaftsarchitekten, Bern; Gruner, Basel; Siplan, Bern; Gartenmann Engineering, Zürich; Reflexion, Zürich


Team Itten + Brechbühl
ARGE Hildebrand Studios (federführend), Zürich mit Itten + Brechbühl, Zürich; Hootsmans Architectuurbureau, Zürich; WaltGalmarini Zürich; Chaves Biedermann, Frauenfeld; PZM, Zürich; HKG Consulting, Aarau; Künzler & Partners, Biel


Team ARGE D. Jüngling und A. Hagmann Architekten, bernath + widmer Architekten
ARGE D. Jüngling und A. Hagmann Architekten, Chur mit bernath + widmer Architekten, Chur; Walter Dietsche Baumanagement, Chur; Ribi + Blum, Zürich; Uniola, Zürich; Amstein + Walthert, Chur; Balzer Ingenieure, Chur; Gasser Bauphysik Consult, Schaan (FL); Ulrich R. Graf, Solothurn


Fachjury


David Vogt, stv. Kantonsbaumeister, Hochbauamt (Vorsitz); Andrea Seelich, Architektin und Kriminologin, Prag; Markus Bollhalder, Architekt, St. Gallen/Zürich; Ursina Fausch, Architektin, Zürich; Werner Binotto, Architekt, Altstätten; Roger Strub, stv. Abteilungsleiter, Kantonale Denkmalpflege, Amt für Raumentwicklung (Ersatz)


Sachjury
 

Andreas Naegeli, Direktor, JVA Pöschwies; Christian Schoepp, Portfoliomanager, Immobilienamt; Karl-Heinz Eberle, Projekt­koordinator Bauten, Direktion der Justiz und des Innern; Mirjam Schlup, Amtsleiterin Justizvollzug und Wiedereingliederung; Daniel Noger, Bau- und Werk­vorstand, Regensdorf (Ersatz)


Veranstalterin

Baudirektion Kanton Zürich vertreten durch Hochbauamt, Zürich


Auftraggeberin

Direktion der Justiz und des Inneren, Justizvollzug und Wiedereingliederung
 

Weitere Informationen, Pläne und Bilder zur JVA Pöschwies finden Sie auf competitions.espazium.ch.

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