«Jede Steuer­re­form sollte ei­nen Bei­trag zum Kli­ma­ziel leis­ten»

Am 28. September 2025 stimmt die Schweiz über die Abschaffung des Eigenmietwerts ab. Wie eng diese Steuerfrage mit der Baukultur und den Klimazielen zusammenhängt, erklären Caspar Schärer und Jakob Schneider im Podcast von Countdown 2030.

Date de publication
15-09-2025

Caspar Schärer ist Publizist und war bis Ende August 2025 Generalsekretär des Bunds Schweizer Architektinnen und Architekten BSA. Seither ist er beim Schweizerischen Städteverband tätig. Jakob Schneider ist Mitglied der Geschäftsleitung bei Salathé Architekten in Basel. Er engagiert sich in der Berufsgruppe Architektur im Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA und ist Mitinitiant von Countdown 2030. Das Interview führten Sarah Barth und Conrad Kersting.

Dieses Interview beruht auf der vierten Folge des gleichnamigen Podcasts von Countdown 2030. Hören kann man den Podcast beispielsweise auf Apple oder Spotify .


Conrad Kersting: Caspar, wie sieht deine Welt 2030 aus?

Caspar Schärer: Meine Welt wird wahrscheinlich in der Schweiz sein, hier bewege ich mich schon einige Jahrzehnte. Wahrscheinlich wird es einiges heisser sein. Das wird unsere Politik und unser Handeln zunehmend prägen und wir müssen herausfinden, wie wir damit umgehen. Ich denke, das wird schwierig.


Sarah Barth: Jakob, was ist der Eigenmietwert?

Jakob Schneider: Der Eigenmietwert ist ein Betrag, den Eigentümerinnen und Eigentümer so versteuern müssen, als würden sie ihre eigene Wohnung vermieten. Eingeführt wurde er vor über 70 Jahren, um eine Gleichbehandlung von Mietenden und Eigentümerinnen und Eigentümern zu schaffen.


Conrad Kersting: Das heisst, wenn ich in einer Wohnung lebe, die mir gehört und die auf dem freien Markt zum Beispiel für 2000 Franken vermietet werden könnte, zahle ich auf diesen Betrag eine Steuer?

Jakob Schneider: So ungefähr, ja. Ist aber im Detail etwas komplizierter.


Conrad Kersting: Es gibt aber auch steuerliche Vorteile, die Wohneigentum mit sich bringt.

Caspar Schärer: Ja, einerseits können die Hypothekarzinsen von den Steuern abgezogen werden. Was uns in der Bauwirtschaft mehr interessiert: Auch Sanierungen der selbstbewohnten Liegenschaft sind steuerlich absetzbar.

Jakob Schneider: Dafür gibt es einen jährlichen Pauschalabzug von 10–20 % des Eigenmietwerts. Grössere Umbaumassnahmen können Eigentümerinnen und Eigentümer vollumfänglich abziehen.


Sarah Barth: Das heisst, wer die alte Ölheizung ersetzt, kann die Kosten dafür von der Steuer abziehen?

Jakob Schneider: Ja, deshalb müssen 20 bis 40 % der Eigentümerhaushalte praktisch keinen Eigenmietwert begleichen.


Conrad Kersting: Das klingt alles logisch. Warum gibt es trotzdem seit Jahren Widerstand gegen den Eigenmietwert? 

Caspar Schärer: In wirtschaftsliberalen Kreisen wurde der Eigenmietwert immer als etwas Unnatürliches angesehen, weil man ein Einkommen berechnet, das nicht in einem Lohnausweis steht. Und diese Berechnungen sind natürlich angreifbar. SP-Nationalrätin Jacqueline Badran hat kürzlich darauf hingewiesen, dass der Eigenmietwert keineswegs ein fiktives Einkommen ist, wie es die Ja-Kampagne behauptet. Er ist ein Naturaleinkommen und damit ein sehr reales Einkommen. Das zu präzisieren finde ich wichtig.


Conrad Kersting: Können wir das Ganze in einem Modell durchspielen? Wie hoch ist der Steuerbetrag für einen durchschnittlichen Eigentümerhaushalt? 

Jakob Schneider: Die Berechnung geschieht spezifisch für jede Eigentümerschaft und variiert stark je nach Kanton. Aber man kann von etwa 3'000 bis 3’500 Fr. pro Jahr ausgehen, das sind ungefähr 2–4 % des Jahreseinkommens eines typischen Eigentümerhaushaltes. Ein Rechenbeispiel: Eigentümerinnen und Eigentümer verbrauchen im Durchschnitt 60 m2 Wohnfläche. Multipliziert mit 200 Fr./m2 macht der Eigenmietwert etwa 12'000 Fr. aus. Bei einem Grenzsteuersatz von 30 % zahlt man 3'600 Fr. Steuern. Wer dann Kosten für Hypothekarzinsen und Umbauten abzieht, zahlt noch ungefähr 2’800 Fr. Für den Bund und die Kantone macht das über alle Steuerpflichtigen einen Ertrag von total eineinhalb bis zwei Milliarden. 


Sarah Barth: Die öffentliche Hand profitiert aktuell also massiv vom Eigenmietwert. Wie sollen diese Einnahmen bei einem Wegfall kompensiert werden? 

Caspar Schärer: Kantone können neu eine Objektsteuer auf Zweitliegenschaften erheben. Zudem fallen mit dem Eigenmietwert auch die Abzugsmöglichkeiten für Sanierungs- und Unterhaltskosten sowie für die Hypothekarzinsen weg. Dennoch bedeutet die Abschaffung des Eigenmietwerts Mindereinnahmen in Milliardenhöhe für die Bundeskasse.


Sarah Barth: Der Bund Schweizer Architektinnen und Architekten BSA ist Mitglied bei Bauenschweiz, einem Dachverband mit rund 80 Mitgliederverbänden aus der ganzen Baubranche. Dieser Dachverband hat Mitte August die Nein-Parole kommuniziert und warnt in einer Medienmitteilung vor einem Sanierungsstopp. Was waren eure Überlegungen zur Vorlage?

Caspar Schärer: Der Verband ist sehr heterogen und es war nicht einfach, eine konsolidierte Meinung zu finden. In diesem Fall gab insbesondere der Wegfall der Abzüge für Erneuerung und Unterhalt den Ausschlag für die Nein-Parole. Ehrlicherweise spielte da auch das Eigeninteresse der Firmen eine Rolle. Aber in den letzten Jahren hat Bauenschweiz – oder zumindest gewisse Teile davon – realisiert, dass Nachhaltigkeit zentral ist. Ich glaube, der Bauwirtschaft ist einigermassen bewusst, was mit dem Klimawandel auf sie zukommt. Man kann die Massnahmen für die Ertüchtigung der Gebäude, sei es eine andere Heizung oder eine bessere Dämmung, auch in diesem übergeordneten Sinn als Beitrag zum Klimaschutz verstehen. Dieses Argument hat stark zur Meinungsbildung beigetragen, besonders bei den Verbänden, die nicht direkt vom Auftragsvolumen abhängig sind.


Conrad Kersting: Jakob, du siehst bei der anstehenden Abstimmung noch weitere Schnittmengen mit der Bauwende.

Jakob Schneider: Pro Jahr stehen den Eigentümerinnen und Eigentümern bei einer Abschaffung des Eigenmietwerts mehrere tausend Franken zusätzlich zur Verfügung. Das könnte den Wohnflächenverbrauch beeinflussen. Wohne ich allein oder suche ich eine Person zur Untermiete? Ziehe ich in eine kleinere Wohnung? Fällt der Eigenmietwert weg, sinkt der Anreiz, die Wohnfläche zu reduzieren.


Conrad Kersting: Weil der Eigenmietwert ausgerechnet wird anhand einer marktüblichen Miete pro Quadratmeter? 

Jakob Schneider: Genau. Wenn wir einen bescheidenen Mehrverbrauch von 1.5 m2 pro Eigentümerin annehmen, dann kommt man landesweit auf über 5 Mio. m2 zusätzliche Wohnfläche. Das entspricht, je nach Belegungsdichte, einer Stadt der Grösse Luzerns. Dieser Flächenbedarf könnte in den nächsten zehn Jahren entstehen. In einer Zeit, die kompakter und klimafreundlicher bauen sollte, müssen wir auch diese Komponente beachten. 

Caspar Schärer: Weil der Eigenmietwert eher wohlhabende Haushalte betrifft, funktioniert der Lenkungseffekt aber nicht so stark. Es kommt dann oft nicht darauf an, ob man 3500 Fr. mehr oder weniger im Jahr ausgibt und schon gar nicht, ob man 1.5 m2 einspart und deswegen sogar umzieht. Wer seine Hypothek amortisiert hat, wohnt in der Eigentumswohnung mit oder ohne Eigenmietwert sehr preiswert. Würde man umziehen und eine Wohnung mieten, bekäme man weniger Fläche für viel mehr Geld. Dieser negative Anreiz hält viele Leute in ihren Wohnungen und Häusern.


Sarah Barth: Eigentümerinnen und Eigentümer verbrauchen im Durchschnitt deutlich mehr Wohnfläche als Mieterinnen und Mieter und sind tendenziell vermögender. Der Eigenmietwert ist so gesehen auch eine Umverteilungsmassnahme.

Caspar Schärer: Steuerliche Anreizsysteme sind oft praktisch, weil sie sehr direkt wirken. Aber sie haben auch einen eigenartigen Beigeschmack, weil sie mit dem Einkommen oder dem Vermögen zu tun haben. Durch die Anreizsysteme wird die Steuer – aus liberaler Sicht – mit zusätzlichen Themen angereichert. Das ist nicht die reine Lehre, aber ich glaube, wir müssen diese Steuerungsinstrumente weiter nutzen.


Conrad Kersting: Die Personen oder Haushalte, bei denen die Belastung durch den Eigenmietwert tatsächlich zu einer Reduktion der Fläche führt, sind – innerhalb der privilegierten Gruppe der Eigentümerinnen – eher jene mit einem niedrigeren Einkommen.

Jakob Schneider: Ja, es betrifft vorwiegend ältere Personen, die ihre Hypothek amortisiert haben und entsprechend weniger Abzüge machen können. Trotzdem wohnen sie heute sehr preiswert. Und sie haben meist den Handlungsspielraum zu entscheiden, ob sie wirklich allein in ihrer 6-Zimmer-Wohnung leben wollen.


Sarah Barth: Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt zu sprechen kommen. Im Gegensatz zu Bauenschweiz ruft der Gewerbeverband seine Mitglieder auf, ein Ja in die Urne zu legen. Eines seiner Argumente ist, die Abschaffung des Eigenmietwerts gebe den Eigentümerinnen und Eigentümern mehr Geld, das diese unter anderem in Bauprojekte investieren könnten. Ist das aus eurer Sicht ein zutreffendes Argument?

Caspar Schärer: Ich kann nicht für den Gewerbeverband sprechen. Oft gibt es Übereinstimmungen zwischen Bauenschweiz und dem Gewerbeverband, aber in diesem Fall nicht. Ich kann mir vorstellen – das ist Spekulation – dass der Gewerbeverband die wirtschaftsliberale Seite höher gewichtet als Vor- und Nachteile für die einzelnen Mitglieder. Ich wage jedoch zu bezweifeln, dass freie Ressourcen ins Bauen investiert werden. Wahrscheinlich werden diese in eine Kreuzfahrt investiert oder ein Auto. Was mich hingegen schon immer gestört hat, ist, dass das Bauen nur dank eines Steuerabzugs möglich sein soll. Aber mit diesem Widerspruch muss ich leben. 

Jakob Schneider: Ich denke auch, dass diese Annahme auf einem Missverständnis beruht. Wenn wir den Überlegungen zum Flächenverbrauch folgen, kann es tatsächlich sein, dass mehr neu gebaut werden müsste. Gleichzeitig besteht schon heute eine Wohnungsknappheit und es wird trotzdem nicht einfach entsprechend mehr gebaut.


Conrad Kersting: Zusammengefasst heisst das, dass bei einer Abschaffung zwar mehr Finanzspielräume da sind, aber die Anreize, die mit dem Wegfall der Steuer entstehen, begünstigen eher den Neubau?

Caspar Schärer: Genau, Sanierungen sind teilweise kompliziert und es gibt viele Regulierungen. Einige denken sich dann: Reissen wir das Ganze ab, dann haben wir mehr davon. Wenn jetzt auch noch der Sanierungsanreiz wegfällt, könnte das diesen Entscheid noch weiter erleichtern.


Sarah Barth: Dazu hat Raiffeisen Schweiz eine Studie publiziert. Gemäss der Bank verlieren renovationsbedürftige Altbauten bei einer Abschaffung des Eigenmietwerts massgeblich an Attraktivität. Daraus schliessen sie, dass immer mehr sanierungsbedürftige alte Häuser nach dem Kauf abgerissen und durch einen Neubau ersetzt würden. Dies, weil die Unterhaltskosten nicht mehr absetzbar wären und ein Neubau weniger Unterhalt benötigt. Daraus schliesst die Raiffeisen, dass die Abschaffung des Eigenmietwerts zu mehr Ersatzneubauten führen würde.

Caspar Schärer: Das ist ein interessanter Zusammenhang. Die Berechnung kommt von einer Bank und Banken sind mit den Abzugsfähigkeiten der Hypothekarzinsen auch Teil des Spiels. Es gibt kaum ein Land, das so hoch hypothekarverschuldet ist wie die Schweiz, weil es diese Abzüge gibt. In der Schweiz lastet auf 80 % der Einfamilienhäuser eine Hypothek, in Deutschland sind es nur 30 %. Das zeigt: Die steuerlichen Anreize beeinflussen die Entscheidungen individueller Personen massgeblich.


Conrad Kersting: Was wäre aus eurer Sicht eine bessere Lösung als das aktuell gültige Gesetz?

Caspar Schärer: Wollen wir eine Schweiz voller leerer Einfamilienhäuser, die zu gross sind für ihre Bewohner, oder eine Architektur, die kompakt, flexibel und gemeinschaftlich ist? Das ist eine baukulturelle Frage. Die Steuerpolitik ist ein Instrument, das die Baukultur stärker beeinflusst, als man gemeinhin annimmt. Wahrscheinlich reicht der Hebel des Eigenmietwerts aber nicht aus. Man müsste weitere Anreize respektive Abzüge einführen, zum Beispiel wenn man Wohnfläche für andere schafft oder das Einfamilienhaus zu einem Mehrfamilienhaus umwandelt.

Jakob Schneider: Man könnte den Eigenmietwert anpassen, modernisieren und gezielt die Energie- oder eben die Wohnflächensuffizienz fördern, zum Beispiel eine hohe Belegung belohnen und die heutigen Abzugsmöglichkeiten für Unterbelegung abschaffen. Ein kompletter Systemwechsel, wie ihn die Vorlage vorsieht, scheint mir riskant und wird uns klimapolitisch Jahre kosten. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Ziel klar: Wir müssen global bis 2030 klimaneutral werden und jede Steuerreform sollte einen Beitrag dazu leisten.


Sarah Barth: Zum Schluss: Jakob, was wirst du stimmen? 

Jakob Schneider: Ich bin selbst Eigentümer und würde von der Abschaffung des Eigenmietwerts dennoch nicht profitieren. Aber ich sehe es auch als meine Pflicht, das Gemeinwohl zu beachten. Deshalb überwiegen für mich die gesellschaftlichen Vorteile bei einem Nein.


Sarah Barth: Jakob stimmt Nein. Caspar, was stimmst du? 

Caspar Schärer: Ich stimme sowohl aus persönlichen wie übergeordneten politischen Interessen Nein. 

Interview: Sarah Barth, Conrad Kersting

Text: Mirjam Kupferschmid

Technik, Grafik: Allegra Stucki

Schnitt: Nola Bally, Jessica Reust

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