«Wach­sen­der Le­bens­raum Schule»

Interdisziplinäre Innenraumgestaltung

Wir unterhielten uns mit Caroline Spirig und Anika Müller von Raum­reaktion über ihre Erfahrung bei der Innenraumplanung von Schulhäusern und wollten wissen, was inter­disziplinäre Erkenntnisse zu gelungenen Räumen beitragen.

Date de publication
24-09-2024

Die Anforderungen an Schulhäuser verändern sich und neue Funktionen kommen hinzu. Neben dem normalen Schulunterricht gibt es dort auch Morgen- und Abendhorte, Mittags­tische und Räume für Ferienkurse. Auch didaktisch wandelt sich vieles, infolge dessen braucht es zum Beispiel Lernlandschaften und Gruppenräume. Caroline Spirig und Anika Müller befassen sich mit diesen Aufgaben anlässlich verschiedener Projekte. 

TEC21: Welche unterschiedlichen Ausgangslagen gibt es bei der Innenraumgestaltung von Schulhäusern?

Caroline Spirig: Jede Schule ist eine neue Herausforderung. Einerseits räumlich, mit den Gebäuden, dem Ort, manchmal dem Bestand oder im Neubau. Genauso entscheidend ist die Haltung derjenigen, die an den Veränderungen beteiligt sind. Jede Schule hat ihre Kultur, pädagogische Ausrichtung und Eigenheiten. Die Gemeinsamkeit der Bildungsstätten ist, dass viele architektonisch auf klassischen Frontalunterricht ausgerichtet sind und dies zunehmend einen zeitgemässeren Lehr- und Lernalltag behindert. 

Anika Müller: Private Institutionen haben gegenüber den öffentlichen Schulen kürzere Ent­schei­dungswege und oft auch finanziell mehr Spielraum. Die Haltung gegenüber Veränderung beobachte ich im privaten Schulsektor als fortschrittlicher. Die Zu­sammenarbeit mit der Alemannenschule in Wut­ösch­ingen, einer öffentlichen Schule in Süddeutschland, war bereichernd. Die Haltung des Bür­ger­­meis­ters, der Schulleitung und auch des Archi­tekten waren von einem visionären Denken und einem suchenden Geist geprägt. Das war wunderbar. So konnte die Schule pädagogisch und räumlich neue Wege einschlagen. Das geht nur, wenn Schulleitung und Politik an einem Strang ziehen und alle Beteiligten abholen. 

Und was ist Ihre Rolle in all dem? 

Müller: Als interdisziplinäres Team begleiten wir den langen und komplexen Prozess von der Machbarkeit über die Bedürfnisermittlung bis zur räumlichen Planung von Entwurf bis Ausführung. Unser Ziel ist es, die beste Lösung für die Endnutzer, die Schulleitung, Lehrpersonen und Schüler und Schülerinnen zu finden. Da in diesem Prozess die Bedürfnisse heterogen sind, hilft uns die Interdiszi­plinarität. Unsere Hintergründe aus Psychologie, Innenarchitektur und Produktedesign helfen uns, eine Problemstellung von drei Seiten zu beleuchten. 
Wir behalten den Überblick und gehen bewusst in die Vogelperspektive, um zu überprüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Das geschieht auch durch Workshops und Diskussionen mit allen Beteiligten. 

Spirig: Wichtig ist zu Beginn eine gute Bedarfsanalyse, das Zuhören und Verständnis der Ist-Soll-Situa­tion. Ich erfahre dann, dass mehr Gruppenarbeiten oder Rückzugsmöglichkeiten gewünscht sind, es aber keine geeigneten Orte dafür gibt. Die Schule wird immer mehr zum Lebensraum, gerade da, wo sie zur Tagesstruktur geworden ist. Diese neuen Bedürfnisse in einer Schule müssen räumlich und bei der Innen­architektur beachtet werden.

Mehr zum Thema in TEC21 21/2024 «Innenarchitektur interdisziplinär»

Wie können räumliche Faktoren das psychologische Wohlbefinden beeinflussen? Räume sind heute stark reglementiert und instrumentalisiert. Vielfach hängt das Wohlbefinden aber gerade von einer unangestrengten Ambiance ab und auch vom Belassen von nicht planbaren Zufälligkeiten.

Spirig: Aus einer ganzheitlichen Perspektive sind Umgebungsaspekte für das Wohlbefinden nicht wegzudenken. Fühlen sich Schüler und Lehrpersonen in einem Gebäude unwohl, in dem sie über Jahre Zeit verbringen, erfordert das eine Anpassungsleistung, deren Energie besser verwendet werden könnte. Erwiesenermassen tun uns natürliche Elemente gut. Echtes Holz wirkt optisch, haptisch und vom Geruch her beruhigender als Vinyl. Die Psyche ist im Organismus verkörpert und dieser wiederum untrennbar eingebettet in seine Umwelt. Unser Nervensystem nimmt Reize, die das Gefühl von Wohl- oder Unwohlsein erzeugen, blitzschnell auf. Unser Ziel ist es, durch die Räume ein Gefühl von Sicherheit und Wohlbefinden zu vermitteln. Das ist die Grundlage für ein Kind, um ins Lernen eintauchen zu können. 

Müller: Eine reglementierte Raumplanung ist wichtig, um effizient und nachhaltig planen zu können. Lernende brauchen Sicherheit und eine klare Raumstruktur. Nutzungskontext, Handlungsfelder und soziale Formen sind Parameter, die das Innen­leben der Raumhülle bestimmen. Das Unangestrengte und Nichtplanbare, Zufällige entsteht in der Interaktion zwischen Raum und Mensch. Gestalterische Elemente wie Licht, Farben und Oberflächen sind Instrumente, die das Wohlbefinden fördern oder hemmen können. Ich denke, dass beides, das Freie und Unangestrengte, aber auch das Strukturierte und Instrumentalisierte, Platz haben muss. Es ist ein bisschen wie in der Natur. Ein Waldspaziergang ist ein wunderschönes Erlebnis, weil es multifaktoriell ist. Der Weg gibt uns Sicherheit und Struktur. Der weiche Lichteinfluss der Morgensonne, das Rascheln der Blätter im Wind, die Abstufung der Grüntöne, der Rhythmus der Baumgruppen, der Waldboden, hie und da eine Baumlichtung, der Geruch – ein vielfältiges Sinneserlebnis.

Weitere Beiträge zum Thema «Innenarchitektur» finden sich in unserem digitalen Dossier.

Der Wald, der eine Vorbildfunktion hat, ist ein schönes Sinnbild. Das Resultat in der Gestaltung ist aber eine Imitation und künstlich erzeugt. 

Müller: Die Natur in den Raum zu bringen, heisst Naturelemente zu abstrahieren, sodass ihr positiver Effekt auch in Innenräumen erlebbar ist.

Spirig: Klar wäre es wunderbar, könnten Kinder und Menschen generell viel mehr Stunden draussen in der Natur verbringen. Das ist aber nicht die Realität. Wir verbringen die meiste Zeit in Innenräumen. Unsere Aufgabe ist es, mit den Möglichkeiten, die wir zur Hand haben, das Beste herauszuholen und Prioritäten zu setzen. 

Welche Rolle spielen Farben in Räumen?

Spirig: Eine sehr grosse! Wir sind visuelle Wesen und erkennen einen Raum unmittelbar über Farbdifferenzen, Kontraste und Reflexionsunterschiede. Und nicht ein einzelnes Element, sondern die Gesamtheit der Farbkombination hat für uns eine emotionale Bedeutung. Deshalb sind Farbkonzepte wichtig. Sie helfen uns, in Schulen Zonen zu de­finieren, geben im Lernalltag eine subtile Ordnung vor und unterstützen bei der Orientierung im Raum. 

Müller: Das Thema Farbe ist ein komplexes Feld und es werden zu schnell Pauschalaussagen gemacht. Farben sind symbolisch behaftet und werden kulturell unterschiedlich wahrgenommen. Trotzdem gibt es gemeinsame Nenner, die uns helfen, Farben sinnvoll einzusetzen. Es ist immer ein Mitei­nander, ein Ganzes, das wirkt. Je nach Nutzung sind die Bedürfnisse unterschiedlich – in einem Maker­-Space, wo praktisch gearbeitet wird und neue Ideen entstehen sollen, ist ein anderes Konzept gefragt als in einem Raum, in dem man fokussiert für sich arbeiten soll. 

Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Bauen im ­Bestand, das immer wichtiger wird?

Müller: Die Weiterentwicklung von Schulan­lagen umfasst ein architektonisches und soziales Ökosystem. Neben der Entwicklung von Neubauten muss auch der Bestand angepasst werden und mitwachsen. Die Wirtschaftlichkeit, Bildungsreformen, Pädagogik und die rechtlichen sowie technischen Rahmenbedingungen gilt es zu beachten. Früher hat man anders gebaut: Es gibt viele Zonen in Bestandsbauten, wie Korridore oder Foyers, die aktiviert wer­den müssen, oder es sind zusätzliche Brandab­schnitte nötig. Wir suchen Lösungen, wie man das mit den Bedürfnissen in Übereinstimmung bringen kann.

Spirig: Es kann bereits im Kleinen Grosses bewirkt werden. Wir hatten auch Projekte, bei denen man mit einem einzelnen Raum, einer Lernlandschaft, erst Erfahrungen machen wollte. Darauf aufbauend konnten wir dann weitere Räume umsetzen. Die Arbeit im Bestand ist herausfordernd und sicherlich komplex. Umso grösser ist unsere Freude, wenn wir Feedback von Lernenden und Lehrpersonen bekommen, wie sie die neuen Räume schätzen und wie gern sie in ihnen lernen und arbeiten. 

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