Glaub­haft na­ch­hal­tig geht an­ders

Ausbau Bahnhof Wädenswil; Einstufiger Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

Im Zuge des zweiten Ausbauschritts ihres strategischen Entwicklungs­programms planen die SBB den 125 Mio. Fr. teuren Ausbau des Bahnhofs Wädenswil. Das städtebaulich überzeugende Siegerprojekt hinterlässt dabei unverschuldet Fragen bezüglich der hehren Nachhaltigkeitsziele der SBB.

Date de publication
09-03-2023

Im Juli 2022 veröffentlichte das amerikanische Space Telescope Science Institute die ersten Bilder eines neuen Weltraumteleskops. Das Instrument für Infra­rotastronomie soll unter anderem nach den ersten leuchtenden Objekten und Galaxien suchen, die nach dem Urknall entstanden sind und Exoplaneten auf mögliche Eignung als Lebensraum erforschen. Die rund 25-jährige Entwicklung des Tele­skops liessen sich die beteiligten Weltraumagenturen rund 10 Milli­ar­den US-Dollar kosten – «Rocket Science» der technologischen und finanziellen Spitzenklasse.

Warum dieser Exkurs? Ganz einfach: Er stellt die astronomischen Investitionen von 13 Milliarden Fr. des Bundes und der SBB in den zweiten Ausbauschritt des strategischen Entwicklungsprogramms (STEP AS 2035) in einen globalen Kontext. Ziele des Programms sind die Verdichtung des Taktfahrplans (Halb- bis Viertelstundentakt) auf den Fern­ver­kehrsstrecken, die Anbindung neu­­er Haltestellen an den Fernverkehr, einzelne Fahrzeitverkürzungen, eine bessere Erschlies­sung der Flughäfen und ein Güter-Expressnetz. So liefert STEP AS 2035 zwar keine neuen Erkenntnisse in Bezug auf die Entstehung und ­Weiterentwicklung von Galaxien, Schwar­zen Löchern, Sternen und Planetensystemen, aber es schafft die Randbedingungen, damit im Jahr 2040 in der Schweiz rund zwei Millionen Menschen pro Tag mit der Bahn fahren können.

Beinahe unbedeutend wirken in diesem Kontext die rund 125 Millionen Fr., die die SBB im Rahmen von STEP AS 2035 für den Ausbau des Bahnhofs Wädenswil ver­anschlagen. Bedeutend ist hingegen, wie halbherzig die SBB dabei mit ihren hochgesteckten Konzernzielen punkto Nachhaltigkeit umgeht.

Betriebliche und ­stadträumliche Defizite

Die Geschichte des Bahnhofs Wädens­wil geht zurück auf die ­Inbetriebnahme der linksufrigen Zürichseebahn der Schweizerischen Nordostbahn (NOB). Die ersten Bahnhofsanlagen in Wädenswil entstanden bereits in den Jahren 1874/75 und damit vor der Verstaatlichung und Integration der NOB in die SBB – ein heute noch erhaltener, aber nicht mehr für Bahnzwecke, sondern als BMX- und Skaterhalle genutzter, hölzerner Güterschuppen zeugt davon. Die aktuellen Wädenswiler Publikumsanlagen wuchsen organisch aus einem in den frühen 1930er-Jahren erbauten und immer wieder renovierten Aufnahmegebäude, das zusammen mit dem Güterschuppen mittlerweile im kantonalen Inventar der Denkmalschutz­objekte mit regionaler Bedeutung verzeichnet ist. Zuletzt entstand 2011 das wellenförmige Schutzdach des Busbahnhofs und 2013 wurden die Nebenanlagen und Bahnzu­gänge (Treppen und Perrons) umgestaltet. Baulich ist der Bahnhof Wädenswil also noch gut in Schuss, es mangelt vorrangig an den programmnotwendigen Kapazitäten für STEP AS 2035.

Demzufolge sind die Ziele des jüngsten Vorhabens eine Kapazitätssteigerung für den Personen- und Güterverkehr sowie der Publikumsanlagen, die Erfüllung des Behindertengleichstellungsgesetzes und eine Optimierung der Umsteigebeziehungen zwischen den Linien der SBB und der Südostbahn (SOB, Linie Wädenswil-Einsiedeln). Baulich bedingt dies eine Anpassung der Gleisanlagen, eine Verlängerung, Verbreiterung und Erhöhung der ­bestehenden Perron­anlagen, eine zusätzliche Personenunterführung und den Ausbau der SOB-Anlagen. Eigentlich Leistungen, die auch mittels einer (Generalplaner-)Leistungsofferte hätten beschafft werden können. Da aber die SBB im Rahmen des Projekts eine hohe gestalterische Qualität der Bahn­anlagen und deren Integration in das stadträumliche und seeufernahe Umfeld anstreben und mit den neuen Anlagen eine Verschiebung des Güterschuppens unausweichlich ist, entschieden sie sich, einen einstufigen anonymen Pro­jektwettbewerb im selektiven Verfahren durchzuführen. Und weil in Wädenswil – wie an so vielen Haltestellen entlang der linksufrigen Zürichseelinie – der Bahnhof und vor allem die Seestras­se den Ortskern vom Seeufer trennen, ist dieses Vorgehen zumindest aus städteplanerischer Sicht nachvollziehbar.

Was zählt

Nach dem Eingang von insgesamt neun Bewerbungen selektierte die Veranstalterin in der Präqualifikation fünf Teams für den Projektwettbewerb. Die entsprechenden Beiträge beinhalteten zwar allesamt Abweichungen zu den Vorgaben des Wettbewerbsprogramms und der Wettbewerbsunterlagen. In einer vertieften Auseinandersetzung mit den fünf Projekten stufte das Preisgericht diese Abweichungen allerdings als unwesentlich ein und liess alle Beiträge zur Preiserteilung zu. Neben den Themen Ingenieurbau (Gewichtung 30 %), Wirtschaftlichkeit (Gewichtung 15 %) und dem Honorar (Gewichtung 15 %) beurteilte das Preisgericht insbesondere den städtebaulichen Beitrag, die Architektur, die Freiraumplanung und die Denkmalpflege (Gesamtgewichtung 40 %). Dabei schloss es aufgrund Schwächen bezüglich mehrerer Kriterien drei Projekte von der Rangierung aus. Mit den beiden verbliebenen Projekten setzte es sich vertieft auseinander.

In der äusseren Erscheinung enttäuschte, dass die gemäss Wettbewerbsprogramm explizit formulierten ökologischen Nachhaltigkeitsziele bezüglich Kreislaufwirtschaft, Reduktion des Hitzeinsel-­Effekts, Förderung der Biodiversität und Einsatz erneuerbarer Energien eine nur untergeordnete Rolle bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit spielten. Der «Beitrag zur Klimaneutralität, Energieeffizienz und Einsatz erneuerbarer Energien» wurde lediglich als eines von fünf Subkriterien des gesamthaft mit 15 % ohnehin schon schwach gewichteten Beurteilungskriteriums «Wirtschaftlichkeit» bewertet.

Überzeugende ­städtebauliche Qualitäten

Das Projekt «zickzackzug» auf dem ersten Rang überzeugte die Jury dann auch vor allem hinsichtlich Städtebau, Freiraumplanung und Architektur. Das Projekt organisiert den stadtseitigen Bearbeitungsperimeter zwischen Güterschuppen und Bushof überzeugend und schafft neue Räume für den Langsamverkehr und eine verbesserte Aufenthaltsqualität. Den schützenswerten Güterschuppen verschiebt das Projekt unaufgeregt nach Südosten und sorgt so für die notwendige Fläche für das neue Gleis 8 der SOB.

Der Vorschlag für die neuen Perrondächer ist hingegen prägend und sorgte für intensive Diskussionen und auch Kritik seitens der Jury: Eine hohe Rahmenkonstruktion mit Stahlstützen, Holzträgern und hölzernen Hohlraumauskragungen. Zwar würdigte das Preisgericht die eigenständige und identitätsstiftende Erscheinung, es hinterfragte aber die Funktionalität – die Unterkante des Dachrands liegt mehr als 4.5 Meter über dem Perron und läuft Gefahr, die Wartenden nur ungenügend vor Witterungseinflüssen zu schützen – und die konstruktive Ausbildung mit Systemzwängungen. Zudem äus­serte die Jury Bedenken hinsichtlich der Zugänglichkeit für Unterhalts- und Instandsetzungsarbeiten an der neuen Konstruktion und bezüglich des denkmalpflegerischen Umgangs mit einzelnen Elementen des geschützten Aufnahmegebäudes. Lob hingegen erhielt die neue Personenunterführung punkto architektonischer Ausbildung und Konstruktion; ihre Lage sei logisch, erlaube eine einfache Orientierung und trage den Anforderungen an Dauerhaftigkeit und Unterhalt Rechnung.

Neben der Verwendung von Holz für die Perrondächer setzt sich das Projekt allerdings nur marginal mit der Aufgabenstellung in Sachen Nachhaltigkeit auseinander: Ein paar Bäume entlang der Seestrasse, hie und da ein «Pocket Park» zur Ver­sickerung, Photovoltaikpaneele auf den hölzernen Perrondächern, dafür aber viel Beton für die Bahnhofsvorzone. Auf das Verdikt der Jury hatte dieser Umstand aber wenig Einfluss: Sie überzeugte das klare Gesamtkonzept und die deutliche Aufwertung des Bahnhof­gebiets. Anregungen, das Projekt müsse sich in den anstehenden Planungsphasen noch vertieft mit den formulierten Nachhaltigkeitsthemen auseinandersetzen, fasste sie keine.

Konkurrenz mit Schwächen

Auch das zweitrangierte Projekt «Lightwalk» schlägt eine vergleichbare Richtung wie das Siegerprojekt ein: Alle zu berücksichtigenden bestehenden und neuen Elemente des Bahnhofs fügt es nach Ansicht der Jury zu einem Gesamtkonzept mit verbesserter Aufenthaltsqualität zusammen. Die Perrondächer (reine Stahlkonstruktion) sind vergleichsweise aber weniger prägend und konstruktiv nicht überzeugender als beim Siegerprojekt. Auch setzt «Lightwalk» wohl zu stark auf dato nicht gesicherte Umstände: Die in der neuen Personenunterführung untergebrachte Velostation ist im Rahmen des ausgeschriebenen Vorhabens nicht finanziert und hinterlässt bei der Jury Fragen bezüglich der Machbarkeit der Gesamtanlage bei einer oberirdischen Veloparkierung. Ebenso mangelt es der Unterführung an Erfüllung der Norm-Lichtmasse, und die erforderlichen Anpassungen hätten nach Einschätzung der Jury wesentliche Auswirkungen auf die gesamte Konstruktion und Architektur.

In der Summe war «Lightwalk» zu wenig überzeugend, um dem einzigen Konkurrenten in der zweiten  Bewertungsrunde den Rang abzulaufen. Immerhin würdigte die Jury hier den Umgang mit Nachhaltigkeitsthemen.

Warum wirklich nachhaltig, wenn es auch anders geht

Fassen wir also zusammen: Der Bund und die SBB öffnen ihr grosses Portemonnaie, um flächendeckend das Angebot auf stark überlasteten Strecken zu verbessern. Neben den Step-­AS-2035-Gross­projekten (Brüttener-­Tunnel, Ausbau Bahnhof Stadelhofen, Zimmerberg-Basistunnel II, Ausbau Jurasüdfusslinie und Direktverbindung Neuenburg–­La-Chaux-de-Fonds) plant sie praktisch flächendeckend an Strecken und Haltestellen, um den Taktfahrplan und den Güterverkehr zu verdichten. Laut SBB geht es bei diesem Programm um nicht weniger als die nachhaltige Weiterentwicklung des öffentlichen Verkehrs und Übernahme von Verantwortung für die Schweiz. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob ein reiner Ausbau der Bahninfrastruktur tatsächlich der nachhaltigen Weiterentwicklung des öffentlichen Verkehrs dient. Das ist selbstredend eine Grundsatzfrage – eine aber, die man ansatzweise am Beispiel des durchgeführten Wettbewerbs in Wädenswil durchaus stellen darf. Der Bund und die SBB sehen in baulichen Massnahmen offenbar die einzige Möglichkeit, den Bahnverkehr zu stärken, und schliessen dagegen beispielsweise effizienzsteigernde Massnahmen durch Automatisierung des Betriebs und die Ausnutzung von Chancen der Digitalisierung in einem verkehrsträgerübergreifenden Mobilitätssystem aus. Auch aufgrund von Umständen wie der vermehrten Telearbeit, die sich während der Pandemiejahre 2020 und 2021 entwickelt und nun auch zu einem gewissen Teil etabliert hat, sehen sie anscheinend keinen Anlass, die Inhalte ihres Ausbauprogramms zu überdenken. Vielmehr nehmen sie dafür die gigantischen Herausforderungen des Bauens unter Betrieb, immer komplexere Netzabhängigkeiten, immense Kosten, den diffizilen Umgang mit Kulturgütern und nicht zuletzt die weitere Verbauung der natürlichen Umwelt in Kauf. Sie schaffen dadurch ein Projektportfolio, dessen Bearbeitung viel personelle Ressourcen mit entsprechendem Fachwissen erfordert – wohlgemerkt in einer Zeit, in der Planungsberufe hierzulande ganz weit oben auf dem Fachkräftemangel-Index rangieren.

Die gemäss Programm zum vorliegenden Wettbewerb formulierten Nachhaltigkeitsziele wirken dadurch wie ein Feigenblatt, das von den grossen Fragen ablenkt. Dass beide rangierten Projekte kaum einer tatsächlich nachhaltigen Weiterentwicklung des öffentlichen Verkehrs dienen, ist wahrlich nicht deren Schuld. Sie selbst und insbesondere auch einzelne nach dem ersten Bewertungsdurchgang ausgeschiedene Projekte setzten sich durchaus im Rahmen der Vorgaben mit dem Thema auseinander. Das Projekt «Lux» beispielsweise lieferte einen detaillierten Vorschlag zum Umgang mit Nachhaltigkeitsthemen und vertiefte sich ernsthaft in die Aspekte der Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität sowie den Umgang mit wertvollen Naturgütern.

Es grenzt tatsächlich an Ironie, wenn bei Wettbewerben zu Projekten aus STEP AS 2035 keines der stimmberechtigten Jurymitglieder ausgewiesene Nachhaltigkeitsexpertin ist. Im vorliegenden Fall wurde dem insgesamt achtköpfigen Preisgericht lediglich eine entsprechende Fachexpertin (d. h. eine von total 19 Expertinnen und Experten!) beratend zur Seite gestellt. Doch auch dem Preisgericht ist höchstens vorzuwerfen, es habe den gemäss Programm gesetzten Nachhaltigkeitszielen zu wenig Beachtung geschenkt; für seine Zusammensetzung trägt es ja selbst keine Ver­antwortung.

An die SBB aber richtet sich die Frage, weshalb sie – neben unbestritten erforderlichen und gezielten Infrastrukturausbauten – lieber immer mehr Holz, Stahl und Beton verbaut, anstatt Verkehrseffizienzmassnahmen anzudenken. Schon klar: Die Inhalte eines derart weitreichenden und mit immensen Mitteln alimentierten, strategischen Entwicklungsprogramms lassen sich nicht einfach so umstülpen. Aber dennoch wäre ein wenig mehr Ernsthaftigkeit im Umgang mit den selbst gesetzten Nachhaltigkeitszielen in den einzelnen Projekten wünschenswert.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 7/2023 «Energiewende am Kipppunkt».

-> Jurybericht auf competitions.espazium.ch.

Auszeichnungen

1. Rang, 1. Preis: «zickzackzug»
Gruner Schweiz, Zürich; Boegli Kramp Architekten, Fribourg; Klötzli Friedli Landschaftsarchitekten, Bern; Sauber + Gisin Engineering, Zürich

2. Rang, 2. Preis: «Lightwalk»
Dürig, Zürich; AFRY Schweiz, Zürich; B+S, Bern / Zürich; Kuhn Landschafts­architekten, Zürich; Reflexion, Zürich; Amstein + Walthert, Zürich

Fachjury

Daniel Baldenweg, Bauingenieur (Vorsitz); Lorenzo Giuliani, Architekt; Rita Newnam, Leiterin Planen und Bauen Stadt Wädenswil; Beat Meier, Bauingenieur; Thomas Glauser, SBB Infrastruktur, Projektleiter Archi­tektur; Reto Gadola, SBB Fachstelle Denkmalpflege; Manuel Höfliger, SBB Infrastruktur, Teamleiter Ausbau- und Erneuerungsprojekte

Sachjury

Felix Bissig, SBB Infrastruktur, Leiter Projektmanagement Ost

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