Haute Cou­ture in Holz

Rahmen aus vertikalen und horizontalen Schalungen, ausgefacht mit zweierlei Schindeln: Die Architektin Aita Flury hüllte zwei Neubauten für ein bestehendes Schulhaus in Aarau in ein massgeschneidertes Kleid aus Lärchenholz.

Date de publication
18-08-2022

Es ist die textil anmutende Hülle, die fein changierende Lärchenholzfassade, die die Neubauten des Dreifach-Kindergartens (KiGa) und der Familien- und schulergänzenden Tagesstrukturen (FuSTA) in Aarau Rohr auszeichnet. In einem eher undefinierten Umfeld bilden sie eine Adresse und verweisen auf die Geschichte des Orts: Das ehemalige Dorf Rohr, heute ein Stadtteil von Aarau, war bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Landwirtschaft geprägt. Die Hinterdorfstrasse, an der die Neubauten liegen, führt aus dem Ortsteil hinaus, die dörfliche Struktur ist hier in Teilen noch zu erkennen. Vereinzelte alte Scheunen in Holzkonstruktion erzählen von dieser Geschichte.

Doch während diese Nutzbauten in traditionellem Zimmermannshandwerk erstellt sind, folgt das Bauen mit Holz heute anderen Regeln. Die weit vorangeschrittene Vorfertigung, die den Fokus in der Konstruktion von der «Konfiguration der Teile hin zum konfigurierten Material» verschoben hat, ermöglicht uns einerseits eine präzise Planung und witterungsunabhängige Fertigung, gleichzeitig erfordert sie das Denken und Arbeiten im System. Das Entwerfen mit diesen Parametern beeinflusst auch den Ausdruck der Bauten.

Ausloten der Materialeigenschaften

In Aarau hat die Architektin Aita Flury eine Fassadenkonstruktion realisiert, die sich über diese Abhängigkeit hinwegsetzt und eine lebendige, warme und dauerhafte Hülle für die Bauten schafft. Der Fokus liegt auf dem Ausloten materieller Ausdrucksqualitäten. Die Raumwirkung entsteht durch den bewussten Umgang mit dem linearen Baustoff Holz und dessen Konstruktionsbedingungen – Holz als architektonisches Instrument mit kulturgeschichtlicher Bedeutung. Die Gliederung der Fassaden sorgt nicht nur für Massstäblichkeit, sie verortet den Neubau und ermöglicht Identifikation.

Das Thema des Füllens referenziert einerseits auf die Fassade des bestehenden Schulhauses, bei der eine Tragstruktur aus Stahlbeton mit Backstein ausgefacht ist, und andererseits auf die der alten Turnhalle, die ebenfalls vom Thema der Füllungen lebt. Bei den Neubauten bildet eine Nut- und Kammschalung das rahmende Element, gleichzeitig erzeugt sie den strukturierenden Rhythmus der Fassaden. Die Füllungen bilden Schindelfelder, die hölzerne Hülle ist in dauerhaftem Lärchenholz ausgeführt.

Die Neubauten ergänzen die bestehende Anlage des Stäpflischulhauses und reagieren in ihrer Disposition auf dessen leicht zueinander versetzte Volumen. Gemeinsam mit den Schulbauten bilden sie einen durchlässigen Hofraum. Zwei Gartenhäuser im Westen und Osten definieren den Aussenraum des Kindergartens innerhalb dieses Hofbereichs. In ihrer Materialisierung nehmen die Lärchenholzfassaden zudem Bezug zu den alten Nutzbauten in der näheren Umgebung.

Lärchenholzschindeln
Schindeln aus Lärchenholz sind eine sehr widerstandsfähige Verkleidung. Sie werden nicht behandelt, die Harze der Lärche schützen natürlich vor Fäulnis. Hinzu kommt, dass Lärchenbäume vor allem in grossen Höhenlagen gedeihen und dadurch in der Regel sehr langsam wachsen. Dieses sogenannt feinjährige Holz ist gegenüber Witterungseinflüssen extrem widerstandsfähig. Die maschinengespaltenen Lärchenschindeln werden mit einem Faden zu sogenannten «Blätz» zusammengeheftet. Damit kann jeweils ein ca. 80 cm breiter Streifen Schindeln montiert werden.

Das fein austarierte Spiel zwischen Schindelflächen und rahmenden Nut- und Kammschalungen erinnert an Einlegearbeiten im Möbelbau. Zwei unterschiedliche Formen – maschinengespaltene Elementschindeln als Rundschindeln an den Stirnfassaden und als Glattschirmschindeln an den strassen- und gartenseitigen Fassaden – betonen die städtebaulichen Hierarchien. Gleichzeitig unterstreicht die stofflich anmutende Hülle aus Lärchenholz die von ihr gefasste räumliche Ordnung der beiden Bauten. Die Reihung der drei Kindergärten und deren überhöhte Haupträume sowie die als Kopfbau positionierte Tagesbetreuung erinnern an das Kindergartenhaus Wiedikon in Zürich von Hans Hoffmann und Adolf Kellermann (1928–1932).

Differenzierte Konstruktion

Die einfachen, kubischen Baukörper von Kindergarten und FuSTA sind fein moduliert. Die Rahmung aus Nut- und Kammschalung betont die Gebäudekubatur und macht die Schnittidee der unterschiedlichen Raumhöhen insbesondere beim Kindergarten ablesbar. Die den Baukörper rhythmisierenden eingezogenen Loggien sind ganz mit Schindeln ausgekleidet und vervollständigen die hölzerne Hülle. Beim zweigeschossigen Volumen der FuSTA betonen die scheinbar durchlaufenden Verkleidungen der Fensterpfosten und Regenfallrohre die Vertikale der Eingangsfassade. Die Nut- und-Kamm-Schalung markiert die Geschossigkeit und ist zugleich als Attika zu lesen. Bei den eingeschossigen Fassaden des Kindergartens sind die Fensteröffnungen zur Hofseite und die die Eingänge aufnehmenden Loggien präzise eingeschrieben. Figürliche Halbreliefs aus Holz – eine Arbeit des Zürcher Künstlers Severin Müller – begleiten als integrale Elemente der Gebäudehülle die umlaufend mit Schindeln ausgekleideten Eingänge.

Das Thema der Füllung, das es Flury ermöglichte, die Fassaden hierarchisch zu gliedern, erforderte besonderen Planungsaufwand, da für die Holzverkleidungen verschiedene Unterkonstruktionen und damit Fassadenaufbauten erforderlich waren. Die Schindelfelder sind nicht hinterlüftet, während die rahmenden Nut- und-Kamm-Schalungen als hinterlüftete Konstruktion ausgeführt sind. Hinzu kommt, dass die hinterlüftete Unterkonstruktion selbst nochmals wechselt, da vertikale Schalungen einen Kreuzrost benötigen, horizontale dagegen mit einer senkrechten Lattenunterkonstruktion auskommen. Somit sind in jedem Fassadenfeld die Übergänge und Anschlussdetails eigens entwickelt, um den Schichtenaufbau abstimmen zu können.

Die präzise Konstruktion aller Fassadenebenen bedingte eine ausserordentliche Planungsdisziplin, gerade auch, um die weiteren, den Ausdruck mitprägenden Elemente wie Metalllisenen, Kunst am Bau, metallene Fenstergewände und Aussentüren passgenau in die Fassaden zu integrieren.

Dieser Artikel ist erschienen in «Fassaden | Façades | FacciateZeitgenössische Bauten in der Schweiz».

Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem digitalen Dossier.

Anmerkung

 

1 Mario Rinke, Martin Krammer, Architektur fertigen. Konstruktiver Holzelementbau, Zürich 2021, S. 8.

Kiga + FuSTA, Hinterdorfstrasse 2a/2b/2c/4, Aarau

 

Bauherrschaft
Stadt Aarau

 

Architektur
Aita Flury Architektin ETH SIA BSA, Zürich

 

Tragkonstruktion
Pirmin Jung Schweiz, Rain

 

Fassadenplanung
Aita Flury Architektin, Zürich; Pirmin Jung Schweiz, Rain

 

Fassadenbau
PM Mangold, Ormalingen

 

HLKS-Planung
Abicht Aarau, Aarau

 

Bauphysik
Pirmin Jung Schweiz, Rain

 

Landschaftsarchitektur
Müller Illien, Zürich

 

Kunst am Bau
Severin Müller, Zürich

 

Facts & Figures

 

Wettbewerb 1. Preis
2015

 

Planung
2015–2020

 

Fertigstellung
2020

 

Grundfläche (SIA 416)
Geschossfläche: 1551 m2; Nutzfläche: 1060 m2

 

Volumen (SIA 416)
6629 m2

 

Baukosten
(BKP 2) ca. 7 Mio CHF, (BKP 1–9) ca. 8.2 Mio CHF

 

Fassadenmaterial
verschiedene Lärchenschindeln; Horizontal- und Vertikalschalungen; Fenster in Holz/Alu; Fensterzargen und Lisenen in Alu pulverbeschichtet

 

PV-Anlage auf dem Dach
Öko-/Energie-Label: Minergie-Eco

 

Auszeichnungen
«Bau der Woche», Swiss Architects 2020

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