Bau­pio­niere aus dem ­Un­ter­grund

Pilzmyzelien könnten in der Zukunft des Bauens eine wichtige Rolle spielen. Organisches Restmaterial aus der Landwirtschaft lässt sich mit ihrer Hilfe zu biologischen Kompositmaterialien und sogar zu baulichen Strukturen ohne fossile Rohstoffe umwandeln. Erste Resultate liegen vor, doch stehen die Entwicklungen noch am Anfang.

Date de publication
02-09-2021

Das Grundrezept ist einfach: Pilzsporen auf einem Nährboden oder in einer ­Nährflüssigkeit anzüchten, mit organischem Substrat, zum Beispiel Holz, Stroh oder Hanf, vermengen und, sobald die Masse gut durchwachsen ist, alles ­mischen und in eine Form füllen. Einige Tage in der Dunkelheit stehen lassen, bis das Myzel die Form komplett durchwachsen hat; anschliessend das Pilzwachstum durch Erhitzen des Werkstücks auf 60–70 °C stoppen, denn dabei wird dem Organismus das Wasser entzogen, und er stirbt ab. Das Trocknen zum richtigen Zeitpunkt ist wichtig, damit das Element nicht weiterwächst und keine Fruchtkörper entstehen.

Bei dieser Zubereitung entsteht ein innovatives organisches Baumaterial, in dem das Myzel, das Wurzel­geflecht der Pilze, als natürlicher Leim um das Sub­strat wirkt. Seine Oberfläche ist weisslich, geruchs­neutral wie ein Stück Tofu und – bei gesundheitlich unbe­denklichen Pilzen – wie dieser sogar essbar. Die reinen Myzel-­Werkstoffe lassen sich zuschneiden, brechen, schleifen und färben. Es gibt sogar Pilze, die Pigmente produ­zieren.

Durch Pressen ­wird das Material komprimiert und so dichter und homogener. Bei dieser Bearbeitungsvariante ist das Substrat deutlicher sichtbar, und das Resultat gleicht einer Span­platte oder einem Korkwerkstoff. Das Material hat eine positive Ökobilanz, denn es enthält organische Substrate, die eine CO2-Senke darstellen. Das Myzel zersetzt das Substrat nur teilweise, dabei entsteht zwar wieder CO2, allerdings weniger, als darin gespeichert war.

Pilze anfüttern und trainieren

Doch vermeintlich einfache Dinge sind bekanntlich oft komplex. Angesichts der unüberschaubaren Vielfalt im Pilzreich – es soll mehr als 2.5 Millionen Arten geben, die wenigsten davon sind bekannt – ist solide Grundlagenforschung wichtig. Das ist ein immenses neues Forschungsfeld, so Mark Stüttler vom Mushroom Re­search Center Austria (MRCA) in Innsbruck. Das Myzel kann mit agrarindustriellen Reststoffen wie Stroh und Hanf, aber auch mit Altpapier, Textilien oder sogar toxischem Aushubmaterial «gefüttert» werden.

Die feinen Fäden, die nicht aneinander vorbei, sondern durcheinander hindurch wachsen, sind ständig auf der Suche nach Nahrung (Zucker, Elektro­lyte und Aminosäuren) und lassen das Material zu einer vernetzten Struktur wachsen. Zuerst muss man jedoch wissen, ­welches Substrat mit welchem Pilzstamm welches ­Ergebnis erzielt, und dann gilt es, die Mengenanteile, Temperatur, Feuchtigkeit, pH-Wert, Lichtverhältnisse, eventuelle zusätzliche Zuckerzugabe und die Wachstumszeit auszutarieren.

Ein Anfang und vielversprechende Ziele

Es gibt erste Möbel, Gebrauchsgegenstände und auch Baumaterialien auf dem Markt. Der norditalienische Anbieter Mogu stellt Boden- und Trittschallplatten her, die abrasions- und UV-resistent sowie feuerhemmend sind. Komplett natürlich und damit biologisch abbaubar sind sie leider nicht. Damit sie waschbar sind und lang halten, wird der Kern der Bodenplatten aus Myzel mit 2 mm bioPolymer1 beschichtet. Doch Mogu fertigt mit den Produkten jedenfalls ein Upgrade ­industrieller Agrarreststoffe.

Auch die Professur Nachhaltiges Bauen der KIT-Fakultät Architektur in Karlsruhe setzte für die NEST- Unit Urban Mining & Recycling (UMAR) der Empa in Dübendorf auf Isolationsplatten aus dem Myzel des Glänzenden Lackporlings und Sägespänen. Die mit Lehm verputzten Elemente sind kompostierbar.

Ziel ist, in Zukunft im grösseren Stil mit Myzelien zu bauen. Angestrebt wird eine Verwendung von Reststoffen aus der Agrar- oder der holzverarbeitenden Industrie, die täglich in riesigen Mengen anfallen. Sie nur zu kompostierten oder thermisch zu verwerten kommt einer Zerstörung von wichtigen Stoffen des bio­logischen Kreislaufs gleich, bei gleichzeitiger Freisetzung des gespeicherten CO2.

Vielversprechende Forschungsbereiche sind Bausteine und Materialien oder sogar ganze bauliche Strukturen. Holzwerkstoffplatten, die zum Beispiel mit Myzel anstatt mit Leim verklebt sind, ergeben ein zu  100 % biologisch abbaubares Material. Forschungen dazu ­laufen an der Professur Nachhaltiges Bauen am KIT in Karlsruhe. Ein umwelttechnisch nachhaltiges Ziel wäre, zement- durch myzelgebundene Baustoffe zu ­ersetzen; auch hier laufen Arbeiten am KIT. Eine solche breite Anwendung ist im Moment aber noch ­weit­gehend Zukunftsmusik.

Tragfähige Strukturen erarbeiten

Müssen Architekten oder Ingenieurinnen für diese ­Ent­wicklungen nun zu Pilzzüchtern werden? Mark Stüttler verneint, wirft aber ein, dass ein Verständnis Planender für die biologischen und materialtechnischen Zusammenhänge hilfreich ist, um etwas umzusetzen. Es muss in Zukunft auf jeden Fall ein interdisziplinärer Austausch zwischen Architektur, Ingenieurwesen und ­Mykologie entstehen.

Die Professur Nachhaltiges Bauen am KIT in Karlsruhe präsentierte mit der Block Research Group der ETH Zürich 2017 an der Seoul Biennale of Architecture and Urbanism ihren «MycoTree»: eine Struktur aus Pilzmyzel und Bambus. «Die Geometrie wurde mit Methoden grafischer Statik optimiert, um nur Druck­kräfte in das Material einzuleiten», erläutert Dirk Hebel vom KIT. Das Material wuchs in wenigen Tagen auf Farmen in Indonesien unter Anleitung des Industriepartners Mycotech. Dieser testete Rezepte in den Laboren des Future Cities Laboratory (FCL) in Singapur. Dabei galt es, die Substrate, ihre Korngrösse, den Wassergehalt und die Umgebungsbedingungen zu untersuchen. Messungen halfen dann, die ersten Testkörper zu optimieren und die Rezepturen anzupassen.

Doch auch Konstruktionen mit statisch geringeren Anforderungen sind denkbar: So kann man ­Bausteine aus Myzel als Ausfachungen in Holzrahmen verwenden. Hier ist ein konstruktiver Bauteilschutz, zum Beispiel durch Lehmputze oder einen baulichen Witterungsschutz, wichtig. Möchte man Elemente wie Fensterstürze aus einem Myzel-Werkstoff herstellen, dann muss das Bauteil ­Biegung, das heisst Zugkräfte aufnehmen können. In Karlsruhe laufen bereits Versuche mit Holz, Bambus, Hanf und anderen Gräsern als Armierung – dabei geht es um die Einbindung solcher Armierungsstrukturen ins Pilzmyzel, eine Forschungsfrage, die im Verbund mit anderen deutschen Universitäten und ­Unternehmen breit angelegt vorangetrieben wird.

Am Haus so normal wie auf der Pizza?

Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis Baustoffe aus Pilzen im grossen Stil zum Einsatz kommen, und dafür wird noch einiges an Forschungs- und Auf­klärungs­arbeit nötig sein. Dazu gehört auch, Pilze ­ausserhalb der Küche Akzeptanz zu verschaffen. Die scheinbar unkontrollierbar wuchernden Abbauorganismen ernähren sich von einem Wirt, durchwachsen ihn mit ihrem wurmförmigen Myzel und verdauen ihn schliesslich, was eine Grundvoraussetzung für unser Leben auf diesem Planeten darstellt. Allerdings weckt das schnelle Wachstum der unzähligen Pilzarten auch ­unangenehme Vorstellungen. Doch diese Verbindung zu Krankheit, Tod und Verwesung sollte auf jeden Fall um die ­herausragenden ökologischen Fähigkeiten ­der Pilze erweitert werden. Und vielleicht ist gerade die bei uns negativ konnotierten Vergänglichkeit der Dinge in gewissen Konsumsegmenten eine Chance für die Zukunft – angesichts des immensen Abfalls, den wir produzieren.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 25–26/2021 «Filz und Pilz am Bau».

Pilze und ihre Biologie

 

Nachdem Pilze wegen ihrer sesshaften Lebensweise von der Antike bis ins späte 20. Jahrhundert dem Pflanzenreich zugeordnet wurden, gelten sie heute aufgrund biochemischer und anatomischer Analysen als eigenes Reich und als enger mit Tieren als mit Pflanzen verwandt. Derzeit sind 120 000 Pilzarten bekannt und wissenschaftlich beschrieben. Das entspricht allerdings nur etwa 3–8 % der geschätzten globalen Vielfalt. Bei Pilzen handelt es sich also um eine ganze Spezies, die nicht annähernd erforscht ist.

 

Pilze vollziehen keine Photosynthese und sind aerob – atmen also CO² aus. Der Vegetationskörper der meisten Pilze besteht aus mikroskopisch feinen (2–10 μm), fädigen Hyphen, die 25 % unserer Biomasse ausmachen. Diese bilden ein weit verzweigtes Myzel, das sich in oder auf einem ­festen Substrat, beispielsweise Erdboden, Holz, anderem lebenden oder abgestorbenem organischen Gewebe ausbreitet. Das Myzel macht etwa 94 % des Pilzes aus, der Rest ist der Fruchtkörper, wie wir ihn aus dem Wald kennen oder in der Küche schätzen. Neben mehrzelligen Pilzen gibt es auch einzellige wie Hefe oder Schimmel.

 

Der Wasserverbrauch für die Pilzzucht ist, verglichen mit Rind- oder Milchwirtschaft, gering (Speisepilz 8 l/kg; Rindfleisch 15 000 l/kg). Auch das CO²-Äquivalent von Pilzen (3.45) ist gegenüber Weiderindfleisch (18.81) niedrig. Pilze haben die höchste biologische Effizienz – auf 1 t Stroh wachsen 1.5 t Frischpilze. Sie haben in den letzten Milliarden Jahren mit den Insekten im Boden den Humus gebildet. Weltweit werden ca. zwei Drittel des Kohlenstoffs in den Weltmeeren gespeichert, ein Drittel an Land. Von diesem wiederum werden ein Drittel von Pflanzen gespeichert und zwei Drittel von Pilzmyzelien.

Anmerkungen

1 Polyurethane aus giftigem Isocyanat werden zum Beispiel auf dem Bau als Klebstoff und Montageschaum eingesetzt. Wenn Polyurethan brennt, bildet sich hochgiftiges Diisocyanate. Einige Bestandteile, die Polyole, werden bisher petrochemisch hergestellt. Das Bio-PU besteht vor allem aus erneuerbaren und natürlichen Rohstoffen wie Pflanzen, Ölen und Kreide und verzichtet auf kritische Inhaltsstoffe wie Weichmacher, Lösungsmittel oder Chlor.

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