Wie viel Schutz ist an­ge­mes­sen?

Jedes Jahr schlagen Hagelschäden an Gebäuden in der Schweiz ­durchschnittlich mit über 50 Millionen Franken zu Buche. Im Projekt «Hagelklima Schweiz» hat der SIA mit Partnern aus dem öffentlichen und privaten Sektor unter der Leitung von MeteoSchweiz ­nationale Karten zur Hagelgefährdung erarbeitet. 

Date de publication
08-07-2021
Dörte Aller
Meteorologin, SIA-Verantwortliche Klima / Natur­gefahren

Hagel gilt als Naturgewalt, der man ausgeliefert ist. Das muss aber nicht zwangsläufig so sein: Bei Gebäuden hängt der Schaden, den Hagel verursachen kann, von der Dicke des Baumaterials und der Konstruktionsart ab. Welchen Hagelschutz Gebäude benötigen, richtet sich nach der Hagelkorngrösse und wie oft man damit rechnen muss. Dazu gibt es jetzt neue Grundlagen: Im Rahmen des Projekts «Hagelklima Schweiz» haben verschiedene Partner aus dem öffent­lichen und privaten Sektor unter der Leitung von MeteoSchweiz neue Hagelgefährdungskarten erarbeitet, die als nationale Referenzen gelten.

An der Erstellung der neuen Karten hat sich auch der SIA beteiligt, damit sie für die Baupraxis anwendbar sind. Die bisherigen Grundlagen zur Beurteilung des Hagelrisikos beruhten auf veralteten Datensätzen, verwendeten unterschiedliche Methoden und ­waren dadurch nur bedingt untereinander vergleichbar.

33 Hageltage pro Jahr

Die neuen Hagelgefährdungskarten zeigen, dass in der Schweiz durchschnittlich mit 33 Hageltagen pro Jahr zu rechnen ist. Besonders im Südtessin, Emmental, Entlebuch und Napfgebiet sowie entlang des Juras gibt es Regionen, in denen es häufig hagelt. Weitere Auswertungen zeigen, dass mit Hagelkörnern von 2 cm Durchmesser fast überall in der Schweiz alle zehn Jahre zu rechnen ist. Alle 20 Jahre treten Hagelkörner mit 3 cm Durchmesser und in einigen Gebieten alle 50 Jahre sogar mit 4 cm auf.

Nur in Teilen des Wallis und Graubündens sowie in inneralpinen Gebieten hagelt es seltener so grosse Körner. Berechnungen zeigen, dass während der Lebensdauer eines Gebäudes von 50 Jahren eine Wahrscheinlichkeit für Hagelkörner von über 3 cm Durchmesser von 90 % besteht. Die neuen Erkenntnisse bestätigen deshalb grundsätzlich die Empfehlung auf der Website «Schutz vor Naturgefahren», Bauteile mit mindestens Hagelwiderstand HW 3 auszuwählen.

Bauteile im Hageltest

Um die Hagelwiderstandsfähigkeit von Bauteilen und -materialien zu eruieren, werden sie in Labors getestet. Zu den Prüfkriterien gehören je nach Produkt Wasserdichtheit, Lichtdurchlässigkeit, Lichtabschirmung, Mechanik und Aussehen. Bei den Versuchen werden die Elemente der Gebäudehülle mit verschieden grossen Eiskugeln beschossen.

Die Bauteile und -materialien sind in Hagelwiderstandsklassen von HW 1 bis HW 5 eingeteilt. Ein Hagel­widerstand von HW 3 bedeutet ­beispielsweise, dass das Produkt einem Hagelkorn von 3 cm Durchmesser und einer Masse von 12.3 g bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 86 km/h ohne Schaden standhalten kann. Die geprüften Produkte sind online im Hagelregister aufgeführt.

Wärmedämm-Verbundsysteme können bereits durch 2 bis 3 cm grosse Hagelkörner beschädigt werden. Der Hagelwiderstand von Kunststoffen, beispielsweise von Lichtkuppen, kann innerhalb weniger Jahre abnehmen. Sonnenschutzelemente wie beispielsweise Lamellenstoren sind noch empfindlicher: Da reichen schon Hagelkörner von 1 bis 2 cm, um das Aussehen der dünnen Bleche zu beschädigen. Lamellenstoren lassen sich mit dem Storen-Steuerungssystem «Hagelschutz – einfach automatisch» der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen einziehen. Fensterglas hält mehr aus als Lamellen­storen. Im Hageltest zeigt sich: Heutige Standardverglasungen halten mindestens 3 cm grosse Hagelkörner aus.

Hagel in der Norm

Die Norm SIA 261/1 Einwirkungen auf Tragwerke – ergänzende Bestimmungen fordert einen Schutz gegen die alle 50 Jahre auftretenden Hagelkörner bei normalen Gebäuden (Bauwerksklasse I). Vergleicht man die bestehende Karte in der Norm mit den neuen Erkenntnissen, fällt auf, dass auch in der Westschweiz mit Hagelkörnern von 3 cm Durchmesser zu rechnen ist. Zudem gibt es neu auch einige Gebiete mit
4 cm. Die Normenkommission SIA 261 prüft nun die neu vorliegenden Grundlagen und wird allfällige Anpassungen der Norm SIA 261/1 vorschlagen. Die Karte der Hagelzonen in Anhang G1 der Norm bleibt vorerst unverändert gültig.

Für Planende lohnt es sich, gemeinsam mit den Bauherrschaften den angemessenen Hagelschutz der Gebäude während ihrer ganzen Lebensdauer sicherzustellen und so direkte und indirekte Schäden und Umtriebe zu vermeiden – auch als Beitrag zum nachhaltigen Bauen und zur Klimaanpassung. Die Dokumentation SIA D 0260 Entwerfen und Planen mit Naturgefahren im Hochbau zeigt phasenspezifisch, wie es funktioniert.

Weitere Informationen


Standortabfrage und Schutzmassnahmen:
www.schutz-vor-naturgefahren.ch


Karten der Hagelgefährdung 
10-, 20- und 50-jährlich
(im Suchfeld «Hagel» eingeben): maps.geo.admin.ch


Hagelklima Schweiz:
www.hagelklima.ch


Hagelgeprüfte Baumaterialien: www.hagelregister.ch


Storen-Steuerungssystem
«Hagelschutz – einfach automatisch» der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen:
www.vkg.ch/naturgefahren


SIA-Seite Naturgefahren:
www.sia.ch/naturgefahren


SIA-Dokumentation D 0260 Entwerfen und Planen mit Naturgefahren im Hochbau (2019):
shop.sia.ch/dokumentationen


SIA 261/1 Einwirkungen auf Tragwerke – ergänzende Einwirkungen (2020):
shop.sia.ch/normenwerk

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