Nicht ganz dicht
Verkehrsflächen machen hierzulande mit gut 30 % den zweitgrössten Anteil an Siedlungsflächen aus. Während sich aber die Gebäudeareale zunehmend nach innen entwickeln, tut sich die Verkehrsplanung mit Verdichtungsüberlegungen schwer. Warum eigentlich?
Der Zürcher Letten, entlang der ehemaligen Strecke der rechtsufrigen Zürichseebahn, und die mehreren Dutzend Bögen des Lettenviadukts der ehemaligen Zürichseebahn und des noch in Bahnbetrieb befindlichen Wipkinger Viadukts demonstrieren anschaulich, wie sich urbane Infrastrukturen um- bzw. mehrfach nutzen und dabei zugleich verdichten lassen1. Diese Multifunktionalität ist zwar nicht neu – mit der aktuellen Nutzung wurde sie aber öffentlich programmiert.
Während die grössten Schweizer Städte seit nunmehr knapp 20 Jahren gegen die Zersiedlung und für die Reduktion des Wohnflächenkonsums kämpfen, nimmt sich die Verkehrsplanung nur zögerlich gleichgearteten Themen an. Dabei kennt die Schweiz seit Jahren zahlreiche Ansätze (Autoverlad, rollende Landstrasse, Doppelstockbrücken), um Verkehrsinfrastrukturen für verschiedene Zwecke zu nutzen
Die Krux mit der Zuständigkeit
Gemäss statistischem Atlas der Schweiz belegen Verkehrsinfrastrukturen gesamthaft gut 30 % aller Siedlungsflächen und bieten damit grundsätzlich grosses Potenzial für eine Um- oder eine Mehrfachnutzung.
Allerdings fällt auf, dass Bahninfrastrukturen im Vergleich zur Strasseninfrastruktur nur ein bescheidenes Potenzial zur Verdichtung aufweisen: Lediglich 10 % der total rund 950 km2 an Verkehrsflächen sind durch die Bahn belegt. Die überwiegende Mehrheit von 88 % besteht aus Autobahnen (7 %) sowie kantonalen und kommunalen Strassen (81 %).
Auffällig sind zudem die individuell unterschiedlichen planungsrechtlichen Gegebenheiten bei der Mehrfachnutzung von Verkehrsinfrastrukturen. Zur Veranschaulichung dienen zwei Stadtzürcher Beispiele: die in Realisierung befindliche Einhausung Schwamendingen und der Seebahnpark in den Quartieren Wiedikon und Aussersihl als relativ chancenlose Projektidee.
Erste Ideen einer Einhausung der Autobahn A1 in Schwamendingen basieren auf einer Volksinitiative aus den späten 1990er-Jahren. Da die gesetzlichen Lärmgrenzwerte überschritten waren und damals noch die Kantone für die Nationalstrassen auf ihrem Hoheitsgebiet zuständig waren, stiess die Forderung auf grosse Solidarität in der lokalen und regionalen Bevölkerung. Diesen initialen Rückenwind geniesst das Projekt bis heute. Zusammenfassend gab es also zwei Schlüsselaspekte, die das Projekt vorantrieben: Erstens die unbestrittene Sanierungspflicht aufgrund der überschrittenen Lärmgrenzwerte und zweitens die damalige Zuständigkeit durch eine lokale Planungsbehörde.
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Anders bei der Idee zum Seebahnpark. Inhaltlich will das Projekt den Bahneinschnitt zwischen dem Bahnhof Wiedikon und dem ehemaligen Güterbahnhof bei der Einfahrt in den Zürcher Hauptbahnhof mit einer Parkanlage überdecken. Konzeptionell an sich vergleichbar mit der Einhausung Schwamendingen – nur liegen auf dem betroffenen Bahnabschnitt die Lärmwerte innerhalb der gesetzlichen Grenzwerte. Auch ist einzig die SBB als Infrastruktureigentümerin für etwaige Sanierungsmassnahmen verantwortlich. Und solange keine gesetzliche Pflicht besteht, werden diese aus eigener Initiative wohl weder eine Überdeckung in Betracht ziehen noch finanzieren.
Die Rolle der Raumplanung
Auch die langfristige Raumentwicklungsstrategie des Kantons Zürich aus dem Jahr 2014 attestierte den beiden, auf den ersten Blick ähnlichen Standorten gleichermassen hohes Potenzial für eine Mehrfachnutzung. Allerdings liegen die Lärmemissionen der Seebahnstrasse, die den Wiediker Bahneinschnitt auf der Höhe der umliegenden Quartiere parallel begleitet, noch über den Emissionswerten der Bahn, sodass mit der Überdeckung allein keine wesentliche Entlastung erzielt würde.
So berief sich auch der Regierungsrat des Kantons Zürich im vergangenen Jahr bei einer zum Seebahnpark gestellten Kantonsratsanfrage trotz grundsätzlichem Wohlwollen auf die gesetzlichen Grundlagen, die die Eigentümerin einer Verkehrsinfrastruktur lediglich verpflichtet, die für den sicheren Betrieb und für die Einhaltung der geltenden Vorschriften erforderlichen Anforderungen zu erfüllen und zu finanzieren.
Diese Haltung mit Verweis auf den gesetzlichen Rahmen ist zwar verständlich – sie legt aber über eine Vielzahl von raumplanerischen Ideen a priori ein bürokratisches Feigenblatt. Dabei kennt das Raumplanungsgesetz mit dem Mehrwertausgleich oder der freiwilligen Mehrwertbeteiligung durchaus dienliche Instrumente, um solche Vorhaben zumindest teilweise mitzufinanzieren. Diese bieten den Raumplanungsbehörden immerhin eine Chance, um im Planungsprozess eine aktivere Rolle einzunehmen.
Dichte trotzdem in Sicht?
Das Thema der Verdichtung scheint also in der Verkehrsplanung noch nicht ganz angekommen zu sein. Dies obwohl über kurz oder lang kein Weg daran vorbeizuführen scheint. Zumindest hat das Bundesamt für Umwelt die verdichtete beziehungsweise die gebündelte Nutzung von Verkehrsinfrastrukturen als raumwirksame Aufgabe definiert. Mit dem aktualisierten Landschaftskonzept Schweiz formuliert es behördenverbindliche Ziele für die qualitätsorientierte Entwicklung der Landschaft.
Allerdings umfasst diese Behördenverbindlichkeit lediglich die Verkehrsinfrastrukturen im Eigentum des Bundes; also eine Teilmenge der Bahninfrastrukturen und die Nationalstrassen. Gemäss den eingangs genannten Zahlen sind das demnach weniger als 17 % aller durch Verkehrsinfrastrukturen belegten Flächen. Es bleibt also zu hoffen, dass dieses Gebot auch bis in die kantonale und die kommunale Siedlungspolitik durchdringen wird.
Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 20/2021 «Graues Potenzial».
Anmerkung
1 «Im Viadukt» erhielt 2011 vom SIA eine «Umsicht»-Anerkennung für Projekte, die in hervorragender, innovativer Weise zur zukunftsfähigen Gestaltung des Lebensraums beitragen.