Das­selbe in grün, nur zwei Eta­gen mehr

Ersatzneubauten Siedlung «Grossalbis», Zürich Friesenberg

Die historische Gartenstadt gerät unter Erneuerungs- und Verdichtungsdruck. EMI Architekten gewinnen einen Wettbewerb im Zürcher Friesenbergquartier. Doch die Ordnung ihres Entwurfs ist dieselbe wie im fast hundert Jahre alten Bestand.

Date de publication
07-04-2021

Die Justiz schreibt an der inländischen Architekturgeschichte mit: Anfang Oktober verbot das Bundesgericht, den Kern der grössten Gartenstadt der Schweiz zu verändern. Zwei Gründersiedlungen am Stadtzürcher Friesenberg wurden zum nationalen Baukulturerbe erklärt, sie seien deshalb vor Abbruch zu schützen. Das öffentliche Interesse an einem Erhalt sei erheblich grösser als der Wunsch zur baulichen Verdichtung, befanden die Bundesrichter – nicht ohne die Reihenhaussiedlung zuvor selbst in Augenschein zu nehmen.

Das Urteil hat weitreichende Folgen: Anstelle der Baudenkmäler wären wuchtigere Neubauten gedacht gewesen. Auf einen solchen Ersatz hatten sich die Fa­mi­lienheim-Genossenschaft als Grundbesitzerin der weitläufigen Gartenstadt und die Stadtregierung im Rahmen eines Masterplans zur Quartiererneuerung verständigt. Dagegen legte die Regionalsektion des Heimatschutzes jedoch Einspruch ein. Vom Umbau der fast hundertjährigen Gartenstadt seien «architektur- und sozialgeschichtlich bedeutende» Einheiten zu verschonen, bestätigte das Gericht. Aber wie geht es nun weiter mit dem Plan, ein über 50 ha grosses, lockeres und durchgrüntes Wohnquartier nach innen zu ent­wickeln? Immerhin möchte der Masterplan die jetzige Zahl von rund 2300 Wohneinheiten um über 30 % erhöhen.

Ersatz für drei Reihenhauszeilen

Fast mitten im weitläufigen Standort am Fuss des Uetlibergs bereitet die Genossenschaft eine nächste Verdichtungsetappe vor. Die betreffende Siedlungseinheit ist zwar ebenfalls knapp 90 Jahre alt, wird aber weniger als baukulturelle Preziose denn als charmanter Wohnstandort von über 70 Familien geschätzt. Vor eineinhalb Jahrzehnten wurden die drei hangparallelen Zeilen aus zweistöckigen Reihenhäusern letztmals saniert; in zusätzlicher Eigenregie haben viele Bewohner den engen Grundriss auf den Dachstock aus­gedehnt.

Der Quartier-Masterplan würde neuerdings eine viergeschossige Bebauung erlauben. Im Herbst  2020 fand der Architekturwett­bewerb zum Ersatzneubau seinen ­Abschluss: mit der Wahl eines Vorschlags, der die homogene Ausgangsstruktur und das Siedlungsbild praktisch unverändert übernimmt.

Der Siegerentwurf «Im Friesenberg» stammt von Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten; er setzt buchstäblich und städtebaulich genau so an, wie sich das lockere Gefüge aus «Haus mit Garten» heute präsentiert. Die Abweichung vom bestehenden Fussabdruck ist minimal: Die Zeilen sind wie bisher in der Mitte durchbrochen, aber im Vergleich zum Bestand etwas breiter und vor allem um zwei Stockwerke erhöht. Selbst der Wechsel in der Materialisierung – vom beigen Wandputz zur geglätteten Holzfassade – erhält in der Visualisierung einen milden Ausdruck. Das Preisgericht befand als überzeugend, wie «selbstverständlich der Städtebau und der leise architektonische Ausdruck zum Genossenschaftsbestand im Friesenbergquartier passt». Auch das bisher geschätzte «bodennahe Wohnen» wird im vorgeschlagenen Ersatzprojekt fortgeführt. Insgesamt soll sich die Baumasse im Vergleich zu heute verdoppeln. Deshalb freut die Jury, wie «der ­Eindruck von zu hoher Dichte» vermieden wird.

Horizontal abgetrennte Durchmischung

Was «Im Friesenberg» Neues zu bieten hat, wirkt wenig augenfällig, aber auch etwas aufgesetzt. So schafft die Aufstockung Platz für ein diversifiziertes Wohnangebot, wobei die Durchmischung horizontal gewichtet wird. Die Maisonettewohnungen im Sockel der zwei strassenabgewandten Zeilen sind auf Familien zugeschnitten; die Geschosswohnungen darüber sind derweil für Alleinstehende oder Paare reserviert. Gemeinschaftliche Dachterrassen laden zur Kompen­sation der «abgehobenen» Lage. Die Erschliessung erfolgt über aussen liegende Treppen und Laubengänge, wobei die Jury nicht stört, dass mit gewissen Einblicken in die Privatsphäre zu rechnen ist.

Die Genossenschaft lud zwölf Architekturbüros zum Wettbewerbsverfahren ein. Organisation und Vorprüfung wurden selbst durchgeführt und nicht, wie in gemeinnützigen Kreisen üblich, der städtischen Baubehörde übertragen. Dessen ungeachtet war das Programm ambitioniert und vielfältig zusammengestellt. Unter anderem waren die Ansprüche an ein «2000-Watt-kompatibles» Bauen zu erfüllen oder der Schutz vor Verkehrslärm zu verbessern. Die Hauptfrage für den Ersatzneubau aber lautete, wie eine historische gewachsene Gartenstadt «zeitgemäss zu interpre­tieren» sei. Das Spektrum der möglichen Antworten fiel breiter aus, als die Auswahl der fünf rangierten Vorschläge vermuten lässt.

Urbane Strategien waren chancenlos

Drei strategische Ansätze stechen heraus. Am besten schnitten diejenigen ab, die wie der Sieger eine «Wohngarten»-Variation mit hangparallelen Reihen nachzeichneten, wie etwa die Ränge zwei («Weites Land_», Scheidegger Keller Archi­tekten) und vier («Città dei Fiori», Atelier Abraha Achermann). Keine Punkte sammeln konnten dagegen Vorschläge mit einem urbaneren Muster, die die Gartenstadt-Idee mit Blockrand- oder punktförmigen Mehrfamilienhaustypologien zu ergänzen wagten. Auch Versuche, die Monotonie der Zwischenräume zugunsten städtebaulicher Akzente zu durchbrechen, waren auf verlorenem Posten.

Ein dritter Ansatz schliesslich legte den Finger auf den wunden Punkt, der auch im Quartier-Masterplan als verbesserungswürdig thematisiert wird: Rund um eine Gartenstadt steht die Zeit nicht still; vom Verkehrsunbill der Moderne bleibt nicht einmal das Friesenbergquartier verschont. Was wäre die beste Strategie, um den Raum entlang einer lärmigen Hauptverkehrs­achse aufzuwerten und differenziert zu gestalten, wie es der überge­ordnete Plan empfiehlt? «Wind of Change» (Boltshauser Architekten, 5. Rang) und «JIM» (Studio Trachsler Hoffmann, 3. Rang) formen den Ersatzstandort lärmschutztauglich um: entlang der Strasse ein Wohnbauriegel und dahinter Reihen­häuser mit unterschiedlicher Höhe und sogar vertikal zum Hang. Doch auch diese Änderungen am Ausgangsprinzip fanden beim Preis­gericht kein Gefallen; zudem hält es die «Vision, die Strasse als urbanes Rückgrat» zu verstehen, als nicht erstrebenswert, was eigentlich im ­Widerspruch zur übergeordneten Erneuerungsplanung steht.

Die Kosten müssen sinken

Ansonsten hält die Familienheim­genossenschaft ihren Kurs, die Grossalbis-Siedlung gemäss der ­Vereinbarung mit der Stadtbehörde zu erneuern. So schafft es das ausgewählte Projekt, den Wohnraum quantitativ zu verdichten. Dank ­Verdoppelung der Baumasse wird zum einen das spezifische Flächenangebot erhöht, und zum anderen steigt die Zahl der neuen Wohnungen von 74 auf über 110. Was aber das Ziel betrifft, diese im preisgünstigen Segment zu halten, erkennt die Jury noch Verbesserungsbedarf: So empfiehlt der Wettbewerbsbericht eine Überarbeitung des Siegerprojekts – und dabei ungewohnt deutlich ein Rationalisierungsprogramm, etwa mit einer Standardi­sierung von Bauteilen.

Pläne und Jurybericht zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Auszeichnungen

1. Rang / 1. Preis: «Im Friesenberg»
Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten, Zürich; Hoffmann & Müller Landschaftsarchitektur, Zürich
2. Rang / 2. Preis: «Weites Land»
Scheidegger Keller Architekten, Zürich; Ganz Landschaftsarchitekten, Zürich; Monotti Ingegneri Consulenti, Locarno; Güntensperger Baumanagement, Zürich; Wirkungsgrad Ingenieure, Rapperswil-Jona; Pirmin Jung Schweiz, Rain; Karin Gauch & Fabien Schwartz, Zug
3. Rang / 3. Preis: «JIM»
Studio Trachsler Hoffmann, Zürich; S2L Landschaftsarchitekten, Zürich; Waldhauser + Hermann, Münchenstein; Schnetzer Puskas Ingenieure, Bern; Caretta Weidmann Baumanagement, Zürich
4. Rang / 4. Preis: «Città dei Fiori»
Atelier Abraha Achermann, Zürich; Meta Landschaftsarchitekten, Basel
5. Rang / 5. Preis: «Wind of Change»
Boltshauser Architekten, Zürich; Maurus Schifferli, Landschaftsarchitekt, Bern; Waldhauser + Hermann, Münchenstein; Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel; Basler & Hofmann, Zürich; IBG Engineering, Winterthur; Makiol & Wiederkehr, Beinwil am See

FachJury

Marc Loeliger, Architekt, Zürich (Vorsitz); Marco Graber, Architekt, Zürich; Tanja Reimer, Architektin, Zürich; Gianluca De Pedrini, Architekt, FGZ Baukommission, Zürich; Michael Meier, Architekt, Zürich (Ersatz); Stefan Rotzler, Landschaftsarchitekt, Zürich; Rahel Lämmler, AfS Stadt Zürich

SachJury

Karin Schulte, FGZ-Präsidentin; Sandra Schweizer, Architektin, FGZ-Präsidentin Baukommission; Martin Schweizer, FGZ-Geschäftsführer; Patrick von Planta, Architekt, FGZ-Finanzkommission (Ersatz); Isabelle Duner, Landschaftsarchitektin, FGZ-Aussenraumkommission

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