Goldz­wie­beln und Lär­chens­chin­deln

Das neue Gemeinschaftshaus des Klosters St. Ursula in Brig sollte ein Schindeldach bekommen. Das Büro Walliser Architekten arbeitete dafür bis ins praktische Detail mit Holzbau Weger zusammen. Sinn für Tradition und Handwerk spielte eine tragende Rolle fürs Gelingen.

Date de publication
10-06-2020

Fliegt man auf Google Earth über Brig, dann trifft man am Rand des Zentrums auf die rötlich-goldenen Zwiebeldächer der drei Türme des würdigen und zugleich extravaganten Stockalperpalasts. Kaspar von Stockalper begann im Jahr 1651 in dem damals weitgehend von landwirtschaftlichen Bauten geprägten Brig mit dem Bau des Schlosses. Er, der sechs Sprachen beherrschte, hatte nicht nur Sinn für Architektur, sondern auch für Bildung. So rief er zehn Jahre nach Baubeginn die Schwestern des Ursulinenordens in die Stadt, damit sie die Mädchen des Orts unterrichteten. Die Nonnen wohnen seither im Kloster oberhalb des Schlosses.

Die Nähe zu so viel Tradition und Geschichte verpflichtet bis heute. Es erstaunt daher nicht, dass Leentje und Damian Walliser, die Architekten des neuen Gemeinschaftshauses des Klosters, mit traditionellen Materialien arbeiten wollten.

Lärche statt Schiefer

Die Architekten studieren die traditionelle Walliser Baukultur seit vielen Jahren. Sie schauen sich aber auch Bauten in anderen Landesteilen an. «Natürlich haben wir die Bündner Kapelle Sogn Benedetg von Peter ­Zumthor in Sumvitg (vgl. TEC21 20/2019) besucht und die Waldhütte Tegia da vaut von Gion A. Caminada in Domat/Ems», erzählt Leentje Walliser, die die Bauleitung des Gemeinschaftshauses übernommen hatte. Bei Gelegenheit geben die Architekten ihre Passion für traditionelle Bauweisen in Workshops oder bei Besichtigungen auch an Studentinnen und Studenten weiter.

Die Absicht von Leentje und Damian Walliser, das Haus mit zehn 6  ½- bis 2  ½-Zimmer-Wohnungen, Gemeinschaftsraum, Waschküche, Garage und Kellern durch Bauweise und Materialien in der Region zu ­verankern, unterstützte die Bauherrschaft der Ursulinen jederzeit. Schieferplatten für das Dach wären nahe­liegend gewesen, doch sind die lokalen Stein­brüche ­heute ausser Betrieb, und importiertes Mate­rial kam nicht infrage.

Bald schon fiel ihre Wahl darum auf Holz. Schindeln wurden zum Thema, weil die Architekten im Jahr 2014 beim Um- und Anbau des Belwalder Gitsch Hüs in Zenhäusern / Grengiols bereits praktische Erfahrung mit der Technik gemacht hatten. Sie arbeiteten damals mit Ulrich Weger zusammen, der bekannt ist für sein profundes Wissen über das Handwerk.

Kostbare Handarbeit

Früher, erzählt der Schreinermeister, wurden im Wallis alle Dächer in höher gelegenen Regionen mit Holzschindeln eingedeckt. Entsprechend weit verbreitet ist die Lärche als Rohstoff in den örtlichen Wäldern. Ziegeldächer bewähren sich bis auf eine Höhe von 1000 m ü. M. Über dieser Grenze aber türmt sich der Schnee manchmal in kurzer Zeit meterhoch auf den Dächern, sodass unter seinem Druck viele Ziegel bersten. Darum waren Schindeln bis vor einigen Jahrzehnten die traditionelle Eindeckung.

Seither jedoch wurden sie zusehends von neuen Materia­lien verdrängt, um Dorfbrände zu verhindern. Zwischenzeitlich kam die Technik nur noch an Objekten wie Alphütten oder ­Kirchtürmen zum Einsatz. Erst seit der Überarbeitung der Brandschutznorm im Jahr 2015 ist eine brennbare ­Dachschicht wieder erlaubt.

Eine Eindeckung mit Holzschindeln setzt jedoch eine nicht brennbare Brandschutzplatte in der Hinterlüftungs­ebene voraus. Weiter muss für die Feuerwehr der Zugang zu den Dachflächen gewährleistet sein. Wenn man diese und weitere Massnahmen bei der Dachkonstruktion mitrechnet, kostet ein Quadratmeter Schindeln 250 bis 280 Franken. Wem das zu teuer ist, der kann günstigere, nicht brennbare Faserzementplatten verwenden, so Ulrich Weger. Dafür hält eine Dachdeckung aus Brettschindeln im trockenen Alpenklima über 60 bis 80 Jahre hinweg Wind und Wetter stand; es gibt sogar noch ältere, gut erhaltene Beispiele.

Eine ausführlichere Version dieses Artikels finden Sie in TEC21 17–18/2020 «Schindeln: Tradition mit Zukunft».

Das Forstrevier Forst Goms und zwei Schindelverarbeiter haben eine Kooperative gegründet. Zwei Forstwarte stellen nun die Schindeln vor allem im Winter her, wenn sie im Wald wenig zu tun haben. So entsteht eine Wertschöpfungskette mit Forst, Hersteller und Verleger, die Arbeitsplätze garantiert, ein traditionelles Handwerk erhält und sogar weiterentwickelt. Erhalt und Sanierung von alten, aber auch das Verlegen von neuen Schindeldächern tragen zur Authentizität der Bergdörfer bei – was auch den Empfehlungen des schweizerischen Heimatschutzes entgegenkommt.

Kosten senken, Horizont erweitern

Das Dach des Gemeinschaftshauses war ein besonders grosser Auftrag für Schindelmacher und Dachdecker. Fünf Wochen lang wurden etwa 42 000 Schindeln ausgelegt und befestigt, bis die 650 m2 gedeckt waren, erinnert sich Weger. Im Vorfeld löste die Idee, die grosse Dachfläche mit den Schindeln zu belegen, ein paar ­Kontroversen in der Gemeinde aus. Doch der Stadt­architekt von Brig, Roland Imhof, setzte sich stark dafür ein. Tatsächlich brachte die Menge der benötigten Schindeln die Region ein wenig an den Anschlag. Die Reserven waren im darauffolgenden Jahr knapp, nicht nur wegen des Auftrags, sondern auch, weil nur wenige geeignete Lärchen gefällt werden konnten.

Auf die Frage, wie aufwendig die Detailarbeiten für das Dach gewesen seien, antwortet Leentje Walliser, dass die Architekten beim Kamin selber Hand angelegt hätten und aufs Dach gestiegen seien – «das erweitert die Perspektive für unsere Aufgaben». Diese Vorgehensweise hat sogar Tradition, wenn auch aus anderen Gründen: Um die Kosten zu senken, arbeiteten früher zwar nicht die Architekten, oft aber die Bauern als Besitzer der Landwirtschaftsbauten beim Dachdecken mit.

Lokales Handwerk modern umgesetzt

Das Gemeinschaftshaus ist ein Holzskelettbau. Zwischen den Holzstützen sind Ständerwände aus Fichte eingebaut, die jetzt hinter der Lärchenverkleidung nicht mehr sichtbar sind. Der mittige, aussteifende Kern, die Mantelmauern und der Sockel sind aus Beton und die Decken ein Holz-Beton-Verbundsystem. Die Innenraumdämmung, bis auf wenige Ausnahmen aus Walliser Schafwolle, ist möglich, weil das Material den Brand­schutzanforderungen entspricht.

Bei vielen Details bezogen sich die Architekten auf lokale Vorbilder. Die Fensterläden funktionieren ohne Metallteile mit Holzsteckverbindungen, wie jene an Landwirtschaftsbauten der Region. Die inneren Decken waren möglich durch das Engagement der Zimmerleute. Aus Zeitgründen verwendet man für grössere Spannweiten heute meist Leimbinder. Beim Gemeinschaftshaus aber kamen mit Holz verdübelte Brettschichtholzbalken zum Einsatz.

Die Lauben an den Längsseiten des Baus stehen mit dem Schindeldach in Verbindung. Die horizontalen, schräg nach aussen verlaufenden Stäbe, die zwischen die tragenden Aussenstützen eingesetzt sind, haben die Architekten einer Variante der Walserhäusern abgeschaut. Die Walser, ursprünglich aus dem Wallis, passten nach ihrer Auswanderung unter anderem nach Norditalien die Bauten dem feuchteren Klima im Süden an und ergänzten sie mit Lauben. Am Gemeinschaftshaus der Ursulinen schützen sie im trockenen Alpenklima nun im Sommer vor allem gegen Sonne und Hitze.

AM BAU BETEILIGTE

Bauherrschaft
Kloster St. Ursula, Brig

Architektur
Walliser Architekten, Brig; Sona, Porto (Portugal)

Ausführung Holzbau
Noll Holzbau, Brig

Bauphysik
Weber Energie und Bauphysik, Bern

Statik Holzbau/Brandschutz
Makiol Wiederkehr, Beinwil am See

Schindeldach
Holzbau Weger, Münster

Holz
Sägerei Zanella, Turtmann

Dämmung Wolle
Fisolan, Engistein

Baujahr
2017–2019

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