«Dif­fe­ren­zierte Kri­tik lässt sich durch ma­the­ma­tische Tüf­te­lei nicht er­set­zen»

Leserbrief

In den letzten Monaten entflammte in der Schweiz eine Diskussion um den (offenen) Wettbewerb. Bauingenieur Dr. Massimo Laffranchi antwortet auf einen Leserbrief in TEC21 50–51–52/2019.

Date de publication
20-02-2020

Der Beitrag von Donald Jacob «Aktuelle Verfahren sind volkswirtschaftlicher Blöd­sinn» (TEC21 50–51–52/2019) wirft einige begründete Fragen nach den (Wettbewerbs-)Verfahren auf. Leider liefert die darin erörterte Analyse keine echten Verbesserungsvorschläge und stellt eher einen Rundumschlag zum Wettbewerbsverfahren dar. Die Diskussion über die Wettbewerbskultur und die bes­ten Formen für die Durchführung von Wettbewerben ist dennoch sehr wichtig, weshalb der genannte Beitrag einen Kommentar verdient.

Zum offenen Wettbewerb

Die pauschale Aussage, wonach ein offener Wettbewerb mit vielen Teilnehmern keine adäquate Jurierung ermögliche und zudem durch Subjektivität und eine von Leitfiguren geprägten Gruppendynamik im Preisgericht massgeblich beeinflusst werde, ist eine Darstellung, die eher dem Unmut des Verfassers als einer objektiven Betrachtung entstammt. Gerade für faire und anonyme Verfahren ist der offene Wettbewerb als Beschaffungs­form für grössere oder komplexe Aufgaben prädestiniert.

Aufgrund der hohen Anzahl an Beiträgen zu folgern, solche Verfahren seien wirtschaftlich unsinnig, greift zu kurz. Was volkswirtschaftlich sinnvoll ist, sollte eher auf­grund der Investitionsgrösse, der Nutzungsdauer des Bauwerks und dessen städtebaulicher Tragweite beurteilt werden.

Der offene Wettbewerb bietet die grösstmögliche Variantenvielfalt und das Fairnessprinzip der Anonymität. Er bietet weiter sowohl jungen als auch erfahrenen Teilnehmern, die die Hürde einer Präqualifikation nicht überwinden würden, die Möglichkeit, sich mit brillanten Ansätzen zu profilieren. Es ist un­bestritten, dass die Qualität der ­eigenen Leistung durch die Konkretisierung von Entwürfen im Konkurrenzverfahren positiv beeinflusst wird. Die Kritik des Preisgerichts und der Vergleich mit anderen Beiträgen sind Erfahrungen, die jeden Teilnehmer weiterbringen.

Richtig ist, dass aktuell die Tendenz herrscht, bei Wettbewerben eher zu viele und zu detaillierte Unterlagen, Darstellungen und nicht selten auch arbeitsintensive Modelle zu verlangen. Das unerklärte Ziel des Auftraggebers ist dabei, eine detailliertere Prüfung der Beiträge (der engeren Auswahl) durchführen zu können und somit über zusätzliche Anhaltspunkte für die Beurteilung zu verfügen. Vor dieser Tendenz muss gewarnt werden. Wenn die Beiträge bei offenen Wettbewerben den Detaillierungsgrad eines Vorprojekts erreichen oder übertreffen, dann geht neben den Ressourcen der nicht vom Erfolg gekrönten Teilnehmer auch der ursprüngliche Geist des Wettbewerbs verloren.

Für die Festlegung eines vernünftigen Leistungsausmasses durch die Einschränkung der abzugebenden Unterlagen auf das Essenzielle für die Beurteilung der Beiträge ist das Preisgericht verantwortlich. Es muss daher in erster Linie an die (Fach-)Preisrichter appelliert werden, die gestellte Aufgabe mit dem Umfang der Abgabe und dem Beurteilungsverfahren abzustimmen, bevor das Wettbewerbsprogramm verabschiedet wird.

Dem vorgeschlagenen Losverfahren, um eine Reduktion der eingereichten Beiträge und die gelegentliche Chance zur Teilnahme für jeden zu erreichen, stehen die Inter­essen sowohl des Auftraggebers als auch der (virtuosen) Bewerber entgegen. Es fragt sich, welche Bau­herrschaft das Feld der möglichen Lösungen und die Chancen nach herausragenden Beiträgen freiwillig und zufällig reduzieren möchte.

Wenn sie eine Reduktion der Teilnehmer akzeptiert oder anstrebt, dann hat sie verständlicherweise das Recht, dies durch eine Selektion von Qualität und Potenzial der Bewerber zu tun, womit wir beim selektiven Wettbewerb landen. Andererseits ist nicht einzusehen, aus welchem Grund den Bewerbern mit Ideen und Talent die Teilnahme verwehrt werden soll. Es scheint absonderlich, angesichts der vom Verfasser monierten Zufälligkeit in der Beurteilung des Preisgerichts eine absolut zufällige Auswahl der Teilnehmer vorzuschlagen.

Zum selektiven Wettbewerb

Der Wettbewerb mit Selektion (Prä­qualifikation) hat sich insbesondere bei komplexen interdisziplinären Aufgaben oder bei Aufgaben mit besonderen Anforderungen etabliert. Die Selektion entspricht dem Bedürfnis des Auftraggebers, bei jedem potenziellen Sieger(-team) über eine ausreichende Fachkompetenz zu verfügen.

Die Kritik, wonach die Selektion oft mehr durch das Bestreben der Bauherrschaft nach Sicherheit in der Kompetenz als durch die Bewertung von Qualität und Innovationspotenzial des Bewerbers erfolgt, ist berechtigt. Auch in diesem Fall muss an die Verantwortung des Preisgerichts, insbesondere der Fachpreisrichter, appelliert werden. Es ist an erster Stelle zu hinterfragen, ob die gestellte Aufgabe wirklich eine Selektionsphase erfordert und welche Fachplaner bei interdisziplinären Aufgaben tatsächlich nötig sind. Aktuell wird die Selektion leider oft auch bei weniger komplexen Aufgaben durchgeführt, was zu bedauern ist.

Wird die Reduktion der Teilnehmer als sinnvoll erachtet, so bestünde auch die Möglichkeit, sie in anonymer Form durch eine erste Bearbeitungsstufe mit minimaler Abgabe (Entwurfsskizze) durchzuführen, um damit nur die aussichtsreichsten Konzepte in der zweiten Stufe weiterzuent­wickeln. Dies wäre dann ein zweistufiges Wettbewerbsverfahren. Von dieser Option, die unter Gewährleistung der Anonymität eingelöst werden kann, wird zu wenig Gebrauch gemacht.

Um zu vermeiden, dass sich ein Spezialistentum bildet und sich immer wieder die gleichen Teilnehmer für bestimmte Aufgaben qualifizieren, wäre eine Auswahl zu begrüssen, die sich auf das Innovationspotenzial des Bewerbers anstatt auf seine Referenzen bei ähnlichen Aufgabenstellungen stützt. Mit dem gleichen Ziel kann auch der Ausschluss von Mehrfachbewerbungen bei den Fachplanern in Erwägung gezogen werden. Einerseits gibt es für die üblichen Disziplinen in der Regel eine ausreichende Anzahl kompetenter Fachleute, andererseits reduziert die Parallelbearbeitung durch den gleichen Fach­planer die Vielfalt der Lösungsansätze. Die Parallelbearbeitung stellt zuletzt ein latentes Risiko für die Unabhängigkeit der Beiträge dar.

Zur Beurteilung der Wettbewerbsbeiträge

Den Forderungen nach einer schlüssigen Argumentation für die vom Preisgericht getroffenen Entscheide und nach einer nachvollziehbaren Kritik zu den eingereichten Beiträgen kann beigepflichtet werden. Der Vorschlag eines standardisierten Verfahrens mit Bewertungsmatrix und «Hierarchisierung» (Gewichtung) der Beurteilungskriterien setzt implizit voraus, dass alle in die ­Beurteilung eingeflossenen Aspekte durch in Zahlen quantifizierbare Grössen erfasst werden können.

Bekanntlich lassen sich Entwurf, Funktionalität oder Gestaltungsqualität jedoch weniger durch Zahlen als durch eine Fachdiskussion und den Vergleich der Beiträge erkennen, die qualitativ relativ zueinander eingestuft wer­den können. In erster Linie sind die Kritikfähigkeit und -bereitschaft des Preisgerichts in Bezug auf alle von ihm vorgegebenen Beurteilungskriterien gefragt.

Die differenzierte und mit Bedacht geführte Kritik lässt sich durch mathematische Alchimie nicht ersetzen, eine absolute Objektivität ist ohnehin nicht erreichbar. Der Ausdruck einer Diskussion in Matrizenform anstelle eines schlüssigen Kommentars ist der Wettbewerbskultur ausserdem nicht zuträglich. Die Gesamtbetrachtung in der Entscheidungsfindung geht durch die Zerstückelung in Teilbetrachtungen und das anschliessende Zusammenfügen eher verloren.

Das Beurteilungsergebnis ist und bleibt zwangsläufig bis zu einem gewissen Mass von der Zusammensetzung und von den Kompetenzen des Preisgerichts abhängig. Dies ist den Teilnehmern im Übrigen bestens bekannt und beeinflusst deren Entscheid zur Teilnahme mit.

 

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