Für den «be­zahl­ba­ren» Wett­be­werb

Kommentar

Warum der Gang an die Urne am 9. Februar für Wohnungssuchende, aber auch für Architekturschaffende und -interessierte Pflicht ist. Ein Kommentar von Paul Knüsel, stv. Chefredaktor TEC21.

Date de publication
30-01-2020

Lage, Lage, Lage sind die drei wichtigsten Faktoren für das private Immobiliengeschäft. Der erste bestimmt die Kosten, die für das Bauland zu bezahlen sind. Der zweite wählt den Kreis derer aus, die sich um den Erwerb des Grundstücks bewerben können. Und der dritte definiert den Preis für das marktfeile Wohnangebot – und bestimmt abermals, welches Zielpublikum sich das leisten will oder kann. Das Geschäftsrisiko, eine Wohnüberbauung an guter, guter, guter Lage zu überdurchschnittlichen Preisen und mit hoher, hoher, hoher Rendite vermarkten zu können, ist gering. Im Gegenzug steigt die Wahrscheinlichkeit, dass solcher Wohnraum für Wenig- bis Normalverdienende unbezahlbar wird.

Auf welche Neubaugebiete trifft dies mittlerweile noch nicht zu? Boden, die natürliche Ressource für unser Bauen, ist ein endliches Gut. Die Umweltökonomie lehrt schon längst, dass der freie Markt mit einem haushälterischen Umgang überfordert ist. Die Gemeinwesen, obwohl sie von hohen Erträgen aus der Liegenschaftssteuer profitieren, sollen deshalb regulierend eingreifen dürfen – in der Schweiz und allen anderen westlichen Ländern.1

Die nationale Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» kommt am 9. Februar zur Abstimmung; unter anderem soll jede zehnte neue Wohnung von einer gemeinnützigen Bauträgerschaft erstellt werden. Oder Kantone und Gemeinden erhalten ein Vorkaufsrecht auf verfügbares Bauland. Zwar sind einige Städte bereits aktiv geworden, doch ohne übergeordneten Support und griffigere Instrumente sind viele kommunale Aktionen zur Wohnpolitik chancenlos.

Die Stadt Zug ist ein gutes Beispiel dafür: Weil der freie Markt am Zugersee nicht einmal mehr den Mittelstand bedienen kann, bejahte das Stimmvolk vor sechs Jahren «Wohnen in Zug für alle» deutlich. Seither verfasste die Exekutive erst eine Strategie, wie das im Zonenplan umzusetzen sei. Baukräne, die preisgünstige Wohnungen erstellen, sind aber noch lang nicht in Sicht.

Die Volksinitiative stellt eine soziale und volkswirtschaftliche Sachfrage. Doch daran sind auch architektonische und städtebauliche Anliegen geknüpft. Wie zum Beispiel: Es braucht nicht nur mehr Fläche für preisgünstigen, bezahlbaren Wohnraum in der Schweiz, sondern auch solchen, der viel zur Gemeinschaft und nachhaltigen Entwicklung des Siedlungsraums beitragen will.

Vor allem nicht renditeorientierte Entwickler und Bauträgerschaften, von der anonymen Stiftung bis zum überschaubaren Hausverein, engagieren sich sozial und ökologisch meistens mehr als gesetzlich nötig und verhindern so eine Degeneration von Quartieren zum trostlosen Schlaf- und Pendlerstandort. Stadt- und Gemeindebauämter sind des Öfteren überfordert, selbst solche Inputs zu setzen oder sie von privaten Investoren einzufordern.

Energieeffizientes, klimafreundliches Bauen? Die meisten Baugenossenschaften machen seit Jahrzehnten nichts anderes – dank ihrem Pioniergeist sprechen nun auch private Investoren davon.

Stadträume verdichten? Zürcher Wohnbaugenossenschaften treiben den Ersatzneubau von Wohnliegenschaften inzwischen derart voran, dass effektiv mehr Leute dort wohnen können, wo sie auch arbeiten – in der Stadt. Und auch für die dort wohnhafte Bevölkerung wird meistens vorbildlich gesorgt.

Hochwertige Aussenräume, Biodiversität im Siedlungsraum etc.? Klicken Sie sich durch die Wettbewerbsseite von espazium: Die grosse Mehrheit der Architekturwettbewerbe im Wohnungsbau wird von gemeinnützigen Bauträgerschaften – in der Regel gemeinsam mit kommunalen Bau- und Planungsämtern – organisiert und ausgelobt. Entsprechend liefern die Planenden keine 08:15-Entwürfe ab, sondern ästhetisch manchmal diskutable, aber immer überdurchschnittliche, auf den Standort bezogene Qualitäten.

Private und institutionelle Immobilieninvestoren sind darob hellhörig geworden und beginnen vereinzelt, sich an diesem Wettbewerb der hochwertigen und bezahlbaren Ideen zu beteiligen. Deshalb fördert ein Ja für die Volksinitiative am 9. Februar auch die Baukultur und die nachhaltige Entwicklung.

Dies ist eine persönliche Empfehlung von Paul Knüsel. Sie widerspiegelt nicht die gemeinsame Haltung der Redaktion und auch nicht jene des SIA.

Lesetipp: 
1Josh Ryan-Collins, Why can’t you afford a home? Wiley, 2019

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