Von Welle und Klang

Elbphilharmonie Hamburg – Akustik

Die vom Wellenschlag geprägte Formensprache der Elbphilharmonie setzt auch im Innern des Konzertsaals Akzente. Aufwendige Computersimulationen und digitale Fertigung sollten den Klang optimieren. Dennoch weist die Akustik des Saals noch Schwächen auf.

Date de publication
24-03-2017
Revision
24-03-2017
Viola John
Redaktorin TEC21 / Konstruktion und nachhaltiges Bauen

Wie bringt man einen Konzertsaal, der räumlich und formal alles andere als konventionell zu nennen ist, optimal zum Klingen? Vor dieser Frage stand der japanische Akustiker Yasuhisa Toyota, als er den Auftrag zur Ausgestaltung des grossen Konzertsaals der Elbphilharmonie in Hamburg erhielt. Seine Antwort darauf: ein «demokratischer» Aufbau. Die Besucherränge, die rund um die Bühne und das Orchester angeordnet sind, steigen in dem verwinkelten Saal terrassenartig wie ein Weinberg an. Dadurch soll jedem einzelnen Zuhörer ein gleichermassen gutes Klang­erlebnis beschert werden, während er gleichzeitig dem Geschehen auf der Bühne räumlich näher rückt.

In keinem vergleichbar grossen Konzerthaus der Welt sitzen die ­Besucher so dicht am Orchester, die maximale Entfernung zur ­Bühne beträgt 30 m. Ca. 2100 Personen fasst der Saal, der höchste Platz liegt 17 m über dem Parkett. Der Grosse Saal ist als Haus im Haus konzipiert und akustisch vom restlichen Gebäude abgekoppelt. Die Saalwände sind zweischalig: Sie bestehen aus einer äusseren und einer inneren Betonschale, die einander nicht berühren. Der gesamte Saal ist zudem an seiner Unter­seite durch mehr als 300 Stahlfedern vom rest­lichen Gebäude abgekoppelt (vgl. «Kraftfluss für die Musik»).

Ein von der Decke in den Raum ragender Akustikpilz sorgt im Zusammenspiel mit der von Yasuhisa Toyota vorgesehenen «weissen Haut» aus Akustikpaneelen an Wänden und Decke für die gezielte Streuung des Schalls (vgl. Abb. 3). Die «weisse Haut» besteht aus 10.000 individuell CNC-gefrästen Gipsfaser­platten, deren Oberfläche eine wellige Struktur aus schalldiffundierenden Zellen bildet und so die ebenfalls von Wellen geprägte Formensprache der Elbphil­harmonie aufgreift. Das unregelmässige Muster der Paneele wurde von Architekt und Informatiker Ben­jamin S. Koren über Algorithmen in aufwendigen Computersimula­tionen entwickelt (vgl. Kasten unten).

Acht Jahre Arbeit und 18.000 Zeilen Programmiercode stecken im digitalen Planungsprozess. Je nach ihrer Lage im Konzertsaal und in Abhängigkeit davon, wie viel Schall von ihnen reflektiert werden soll, wurden die Akustikpaneele in ihrer Stärke und die schalldiffundierenden Zellen in Form, Grösse und Tiefe rechnerisch angepasst. Die einzelnen Zellen variieren daher in ihrem Durchmesser von 4 bis zu 16 cm. Für die Werks- und Montageplanung der Paneele arbeitete das beauftragte Ausbauunternehmen eng mit Korens Planungsbüro zusammen, das ein Softwareprogramm zur ­Automatisierung der 3-D-Planung und der digitalen Produktion entwickelte. Im Werk wurden die Platten mittels einer Fünfachs-Fräsmaschine gefertigt. Die raue Haptik der Oberfläche ­erreichte man, indem das dreidimensionale Schalldiffusionsmuster unter Verwendung eines Kugelfräsers in parallelen Spuren und mit grossen Achsabständen in die Platten gefräst wurde.

Schon das Optimum?

Seit dem Eröffnungskonzert in der Elbphilharmonie tauchen in den Medien auch Berichte von enttäuschten Konzertbesuchern auf, die das von Yasuhisa Toyota angestrebte «demokratische» Klangerlebnis vermissen. Im Saal scheint es bessere und schlechtere Plätze zu geben. Zudem wird gern betont, dass der Saal eher für die leisen Töne geeignet sei und den Zuhörer bei allzu lauten Stücken akustisch schnell überfordere. Das klang­liche Optimum ist noch nicht überall erreicht. Nach Einschätzung von Benjamin S. Koren ist dies jedoch kein Grund zur Beunruhigung, ist doch ein nachträgliches Nachrüsten der akustischen Komponenten eines neuen Konzertsaals eher die Regel als die Ausnahme (vgl. Kasten unten). Auch Yasuhisa Toyota räumte bereits ein, dass die Akustik im Saal zukünftig immer wieder nachjustiert werden müsse.1 So bleibt die Elbphilharmonie noch eine Weile «work in progress», um ihr Ziel zu erreichen: eines der besten Konzerthäuser der Welt zu werden.

Anmerkung
1 Horst Hollmann: «Wie gut ist die Akustik der Elbphilharmonie wirklich?», NWZ Online, 17.2.2017.


«Der Klang hängt nicht nur von der Akustik ab»

Benjamin S. Koren ist Architekt und Informatiker und Geschäftsführer der Firma One to One, die die «weisse Haut» der Elbphil­harmonie umgesetzt hat.


TEC21: Herr Koren, welcher Aspekt ist in der Elbphilharmonie prägender für die Akustik: die Raumgeometrie, die Ausrichtung der Zuhörer auf das Orchester oder die Paneele der «weissen Haut»?
Benjamin S. Koren: Alle Faktoren spielen eine grosse Rolle. Im Allgemeinen versucht der Akustiker, den Zuhörer mit dem Klang zu umhüllen. Die Raumgeometrie leitet den reflektierenden Schall in die richtige Richtung, die Ausrichtung der Zuhörer beinflusst die Wahrnehmung des Direktschalls, die weisse Haut streut den Schall der hohen Frequenzen, um den Zuhörer mit Klang zu umhüllen. Da ein Konzert ein audiovisuelles Erlebnis ist, spielt aber nicht nur der Klang, sondern auch die visuelle Wahrnehmung des Raums, die Architektur, eine grosse Rolle.


TEC21: Nach den ersten Konzerten gab es in der Presse immer wieder Berichte darüber, dass die Akustik nicht von jedem Sitzplatz aus optimal sei. Inwieweit war dies in den Simula­tionen vorab einschätzbar? Wie exakt kann man heute in Akustiksimula­tionen das tatsächliche spätere Klangbild vorhersagen?
Benjamin S. Koren: Wir waren für die akustischen Messungen nicht verantwortlich, sodass ich hierzu leider nicht allzu viel sagen kann. Unsere Arbeit bestand darin, die Vorgaben des Akustikers, was das schalldiffusierende Muster und deren Paneelisierung anbelangt, pro­grammier­technisch umzusetzen. Unbestritten ist, dass die Akustik an unterschiedlichen Sitzplätzen anders ist. Das beste Beispiel ist der offensichtliche Unterschied im Klang, wenn ein Zuhörer direkt vor dem Orchester oder hinter diesem sitzt. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass die Akustik an einem Platz schlecht ist, sondern sie ist eben anders. Während der Messungen hat der Akustiker versucht, die Akustik auszugleichen, damit sie im Raum möglichst gleichmässig ist, aber auch um schwerwiegende Probleme wie etwa Echos oder Hot­spots zu vermeiden – was, soweit mir bekannt ist, auch gelungen ist. Die Durchführung der Messungen erfolgte zum einen am Computer, aber auch an einem Modell im Massstab 1 : 10. Durch den Mix an Methoden, analog und digital, kann der Akustiker sehr genau arbeiten. Allerdings wurde z. B. im physischen Modell nicht jeder einzelne der ca. 2100 Sitzplätze getestet, sondern nur etwa 30 Sitzplätze verteilt im Raum. Dennoch sind sich doch die meisten Kritiker einig: Der Saal hat generell einen sehr brillanten Klang.


TEC21: Was ist in der Planung besonders gut gelaufen, und was hätten Sie gern noch verbessert?
Benjamin S. Koren: Von unserer Seite können wir uns nicht beklagen, die Planung ist super gelaufen, was aber auch eine sehr enge Zusammenarbeit mit allen Beteilitgen vorausgesetzt hat, z. B. mit den Archi­tekten und mit dem Ausbauunternehmen. Die Begeisterung hat schnell angesteckt, sodass alle hochmotiviert waren, diesen doch sehr besonderen, aber auch komplexen Saal mit hoher Qualität umzusetzen. Dafür spricht zum Beispiel die niedrige Fehlerquote bei der Herstellung der einzigartigen Paneele oder die Präzision, mit der die Paneele montiert wurden. Mit einer Fugenbreite von 5 mm schwankt diese zwischen
+1 mm und –1 mm. Das ist enorm präzise – und vor allem nicht selbstverständlich. Diesbezüglich höre ich immer wieder grosses Lob, insbesondere von Fachleuten, die den Saal besucht haben.


TEC21: Gibt es Bestrebungen, zukünftig noch an einer Verbesserung der Akustik «im laufenden Betrieb» zu feilen?
Benjamin S. Koren: Mir ist bekannt, dass der Akustiker bereits einige Tipps gegeben hat und dass das «Nachrüsten» eines Saals gang und gäbe ist. Allerdings hat der Dirigent Thomas Hengelbrock auch angemerkt, dass ein neuer Saal immer erst «eingespielt» werden muss. Das bedeutet: Der Klang hängt nicht nur von der Akustik ab – wenn auch unstreitig ein grosser Teil davon –, sondern auch von den Spielgewohnheiten der Musiker und nicht zuletzt vom Repertoire.

Das Interview führte Viola John.

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