Iden­tität ei­ner wach­sen­den Schweiz

Für die Zukunft gerüstet: das Projekt «Die Schweiz 2050»

Was bezweckt das vom SIA initiierte Forschungsprojekt «Die Schweiz 2050»? Ein Gespräch mit der Architektin und Urbanistin Ariane Widmer Pham, SIA-Vorstandsmitglied aus Lausanne.

Date de publication
31-03-2016
Revision
19-04-2017

SIA: Frau Widmer Pham, erklären Sie mir bitte in wenigen Sätzen Ziel und Zweck des Projekts «Die Schweiz 2050».
Ariane Widmer Pham: Es geht um die Schweiz von morgen und die Herausforderungen, die sich ihr stellen. Ein gross angelegtes Forschungsprojekt soll uns helfen, die Vision einer europäisch vernetzten Schweiz mit zehn Millionen Einwohnern zu erarbeiten.

SIA: Was soll am Ende des Projekts stehen?
Ariane Widmer Pham: Wir wollen zu einer ganzheitlichen, bebilderten Raumstrategie für die Schweiz 2050 kommen. Sie soll Daten, aber auch strategische Ziele aus territorialen Planungen, Städtebau, Landschaft, Verkehr, Infrastrukturplanung, Energie, Naturschutz zusammenführen, und auch «weiche» Faktoren aus dem Feld der Soziologie sollen einfliessen. Es geht also auch um Gesellschaftspolitik, um die Identität und das Selbstverständnis der Schweiz. Zugleich geht es aber auch um den Prozess, d. h. den Weg zu diesem Ziel: einen kontinuierlichen Austausch zwischen Forschung und Praxis, eine breit angelegte Mitwirkung und ein systematisches Vernetzen und Konsolidieren der Erkenntnisse.

SIA: Ausgangspunkt des Projekts war unter dem Begriff «Bauwerk Schweiz» jedoch die Infrastruktur der Schweiz, also das konkrete bauliche Vermächtnis des Landes – Gebäude, Bahntrassen, Brücken, Tunnel, Kraftwerke.
Ariane Widmer Pham: Ja, das ist richtig. Sie sprechen von der Initiative der Ingenieure Peter Matt und Fritz Hunkeler. Sie hatten 2010 die von Bundesämtern und Organisationen mitfinanzierte Dokumentation «Entwicklung Bauwerk Schweiz» angeschoben. Mit Blick auf die Erhaltung, Erneuerung und Weiterentwicklung des Bauwerks Schweiz haben Matt und Hunkeler eine Road-Map für die Aufgaben der nächsten 20 bis 40 Jahre er­arbeitet.

SIA: Inwiefern knüpfen Sie daran an?
Ariane Widmer Pham: Diese Vorarbeit ist für uns ein wichtiger Ausgangspunkt, jedoch haben wir uns bewusst entschlossen, das Thema weiter zu öffnen, also nicht nur die gebaute Struktur in den Blick zu nehmen, sondern den Lebensraum als Ganzes. Dieser erweiterte Fokus auf die Lebensqualität der zukünftigen Generationen entspricht den Zielsetzungen des SIA. Ich bin überzeugt, dass eine solche raumstrategische Recherche den effektiven Herausforderungen, die auf uns zukommen, nur gerecht werden kann, wenn die entsprechende Forschung sehr breit angelegt ist.

SIA: Gibt es die dafür benötigten Daten nicht bereits?
Ariane Widmer Pham: Es gibt sie schon – jedoch besteht die kommende Titanen­arbeit der Wissenschaftler darin, die Daten aus ganz verschiedenen Quellen abzurufen, auch aus Europa, zu sammeln und in einer Datenbank zusammenzuführen, um sie zu modellieren und dann über Szenarien auszuwerten: Katasterdaten, Verkehrsströme, GIS-Informationen, demografische Daten – es ist diese Vielschichtigkeit, die die Chance des neuen Informatiktools darstellt!

SIA: Weshalb gerade die Regionen Aarau/Olten und Metrobasel als erste Fallstudien?
Ariane Widmer Pham: Weil sie unserer Ansicht nach beispielhaft sind für die Räume der Schweiz – im Bereich Aarau/Olten grenzen zwei Kantone aneinander, zugleich ist der Übergang zwischen verdichtetem Agglomerationsraum und ländlicher Zone typisch für die Struktur des Schweizer Mittellands. Basel wiederum repräsentiert eine dynamische Grossstadt und zugleich die grenznahe Situation. Zu diesen ersten zwei «Bohrungen», wie wir sie nennen, sollen später weitere Räume hinzukommen, sodass am Ende alle Schweizer Raumtypo­logien repräsentiert sind.

SIA: Stichwort Planung und Daten: Die Schweizer Raumplanung arbeitet durchaus mit interdisziplinären Ansätzen und agiert auch interkantonal bzw. gemeindeübergreifend. Ist es sinnvoll, parallel zu den etablierten Einrichtungen neue Methoden und Werkzeuge ins Spiel zu bringen?
Ariane Widmer Pham: Wir sprechen bei «Die Schweiz 2050» ja von einem transdisziplinären Forschungsprojekt, nicht von einem Raumplanungs­instrument. Der Bund und die Kantone können im Rahmen ihrer Arbeit keine Forschung leisten. Ebenso fehlen die Evaluation und die Diskussion der Entwürfe. Das Projekt bietet allen Partnern, auch den SIA-Mitgliedern, die Chance, bestehende raumplanerische Instrumente zu testen sowie an der Entwicklung neuer Instrumente aktiv mitzuwirken. Sie erhalten Zugang zu den neuesten Forschungsergebnissen.

SIA: Inwieweit sollen diese Akteure miteinbezogen werden?
Ariane Widmer Pham: Wir wollen die Bundesämter und andere betroffene Gremien zeitgerecht mit ins Boot holen. Auch Experten der Kantone und die tripartite Agglomerationskonferenz sollen eingebunden werden. Entscheidend ist für mich, dass wir gemeinsam über das planerische Sektorendenken hinauswachsen und zunehmend auch ganzheitlich denken und agieren. Maria Lezzi, die Direktorin des ARE, hat sich dazu sehr ermutigend geäussert: Sie fand das schon 2005 vom ETH Studio Basel unter Federführung von Herzog & de Meuron veröffentlichte Werk «Die Schweiz – ein städtebauliches Portrait» ausgesprochen anregend – eben weil es stark mit assoziativen Bildern arbeitet, sich dokumentarisch und zugleich höchst kreativ dem Raum Schweiz nähert.

SIA: Das heisst, im Projekt verbindet sich ein kultureller und planerischer Ansatz mit einer gesellschaftspolitischen Dimension?
Ariane Widmer Pham: Ja, so ist es. «Die Schweiz 2050» soll und wird eben kein rein raumplanerisches Projekt sein. Die zentrale – politische, soziale, kulturelle – Frage des Unternehmens lautet: In welchem Land wollen wir 2050 leben? Um in einem lebenswerten, attraktiven Land zu leben, gilt es zunächst, eine Vision zu entwickeln. Sie wird uns zeigen, wie wir die Ressourcen der Gegenwart optimal mit den Möglichkeiten von morgen verbinden können.

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