Den To­ten eine Hei­mat

Islamischer Friedhof Altach (A)

Als Einwanderer brachten sie ihren Glauben mit, als Eingewanderte möchten sie nach dessen Geboten beigesetzt werden: Die Muslime in Vorarlberg haben seit 2012 ihren eigenen Friedhof – gesellschaftlich und gestalterisch einmalig.

Date de publication
28-10-2015
Revision
15-11-2015

«Der Islam ist Teil von Deutschland», stellte 2010 der damalige deutsche Bundespräsident Christian Wulff fest. Und trat damit zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit eine Debatte los, die auch fünf Jahre später noch nicht verebbt ist. Wie auch immer man zu diesem Thema steht, es ist Tatsache, dass Einwanderer ihren Glauben mit in die neue Heimat nahmen und den Islam in Westeuropa heimisch machten: zunächst «Gastarbeiter» aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien und der Türkei, dann Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten.

Viele dieser Migrantinnen und Migranten kehrten im Alter in die Heimat zurück, wo sie auch beigesetzt wurden, doch mittlerweile sind ihre Kinder und Enkelinnen oft Bürger des ehemaligen Gastlands – eine Rückkehr hiesse die Familie verlassen. Deswegen bleiben viele Muslime und Muslimas bis zu ihrem Tod in den Einwanderungsländern, und rund um ihr Ableben tobt eine Kontroverse um eine schickliche Ruhestätte, die neben theologischen Auslegungen und gesellschaftlichen Querelen auch gestalterische Fragen aufwirft.

In der Schweiz sind in grösseren Städten erste Grabfelder für Muslime eingerichtet worden, doch einen eigenen Friedhof nach islamischem Ritus gibt es hierzulande nicht. Ganz ähnlich sah es auch im österreichischen Bundesland Vorarlberg aus: Dort gab es in den 96 Gemeinden überhaupt keine Möglichkeit, den muslimischen Einwohnerinnen und Einwohnern eine Bestattung nach ihren religiösen Vorschriften zu gewähren. Deshalb wurden die meisten Toten repatriiert und beigesetzt (vgl. Kasten unten). 

Um den Vorarlberger Muslimen eine Bestattung vor Ort zu ermöglichen, wurde im Juni 2012 der erste islamische Friedhof des Landes mit Platz für 700 Gräber eröffnet. Die rituellen Vorgaben werden erfüllt: Es sind nur Erdbestattungen erlaubt, im umfriedeten Grabfeld werden nur Muslime beigesetzt, die Gesichter der Toten sind nach Mekka ausgerichtet. Die Grabesruhe ist jedoch nicht wie im Islam vorgeschrieben «ewig», da unbefristete Grabstätten österreichischem Recht widersprechen.

In einem jahrelangen partizipativen Prozess haben islamische Gemeinschaften zusammen mit dem Vorarlberger Gemeindeverband und der Landesregierung, unterstützt von der Katholischen Kirche und der Integrationsfachstelle «okay. zusammen leben.», eine salomonische Lösung gefunden: Der Friedhof ist ­kommunal getragen und kann deshalb für Muslime aus allen Gemeinden zur letzten Ruhestätte werden. So werden die Toten innerhalb der Umma – der Gemeinschaft der Gläubigen – und dennoch in der neuen Heimat beigesetzt.

Die Gemeinde Altach hat den Friedhof auf ihrem Gemeindegebiet aufgenommen. Die Gegend scheint traditionell ein gastlicher Ort zu sein, befindet sich doch in Hohenems, keinen Steinwurf entfernt, seit 1617 ein jüdischer Friedhof. Nach den Vorgaben für das Projekt hat das Architekturbüro von Bernardo Bader aus Dornbirn 2007 den Wettbewerb für den ersten islamischen Friedhof in Vorarlberg gewonnen.

Gemeinsame kulturelle Basis

Der Entwurf vereint den hohen Abstraktionsgrad der islamischen Kultur mit der handwerklichen Perfektion des Vorarlbergs: Der oft zitierte «Clash of cultures» führt in diesem Fall zu einem höchst produktiven Zusammenprall der Traditionen. Mit kühner entwerferischer Intelligenz verwandelt Bernardo Bader das lokal verankerte Fachwerk zu einem orientalischen Ornament – und stellt damit die Lesart der eigenen Tradition zur Disposition.Auf der Gegenseite bändigt er das oftmals verspielte Raumverständnis der islamischen Welt mit einer präzisen und dennoch vielgestaltigen Figur, die an die Aussegnungshalle in München-Riem (2000) von Meck Architekten erinnert.

Im Modell zeigt sich, wie sich Gebäude, Grabfeld und Umfassungsmauer zu einem Gesamtkunstwerk fügen. Selbst der Beton erfährt eine Verwandlung: Dank den verschieden ­starken Latten in der Schalung nimmt der eingefärbte Kunststein den Duktus des Holzes auf. Der Friedhof bietet ein Vexierspiel auf höchstem Niveau. Dieses Wechselspiel von Heimat und Herkunft findet im Gebetsraum eine sehr persönliche Note: Er wurde von Azra Akšamija gestaltet, einer Künstlerin und promovierten Architekturhistorikerin mit bosnischen Wurzeln, die in Vorarlberg aufgewachsen ist und am MIT in Boston lehrt.

Der Teppich wurde von Frauen aus Sarajevo geflochten, ein Vorhang mit eingewobenen und vergoldeten Schindeln zitiert die alpine Bautradition – gleichzeitig ist deren Anordnung eine abstrahierte Darstellung der beiden Worte «Allah» und «Mohammed». Kalligrafie, Konzept und Gestaltung gehen eine Einheit ein, die ohne den Einfluss der jeweils anderen Kultur undenkbar wäre. Zu Recht ist der Friedhof mit dem Aga Khan Award 2013 ausgezeichnet worden. 

Man mag einwerfen, dass der Ort nicht besonders besinnlich sei – der Friedhof liegt an einer viel befahrenen Route am Rand des Rheintals zwischen Tankstellen und Kreiseln. Und selbst nach drei Jahren ist lediglich ein Dutzend Gräber auf dem weiten Feld besetzt: Noch scheint eine Rückführung in die alte Heimat für viele Migranten unumgänglich zu sein. Doch der islamische Friedhof ist ein starkes Zeichen
für den gesellschaftlichen Wandel, und er zeigt, wie breit die gemeinsame kulturelle Basis der vermeintlich unterschiedlichen Traditionen ist.

So wie die Glaubensgemeinschaften der Minderheiten langsam aus den Hinterhöfen und Fabrikhallen heraustreten und sich ihren Platz in der hiesigen Baukultur suchen, werden auch deren Friedhöfe wohl einen Platz in der Gesellschaft ein­nehmen. Damit auch die Toten in der Wahlheimat ihre Ruhe finden.

Architektur: Bernardo Bader
Tragwerksplanung: merz kley partner ZT GmbH


Das gelobte Ländle, meine Heimat

Die Vorarlberger Künstlerin Nataša Sienčnik hat sich in ihrer Arbeit mit den Bestattungformen von Migrantinnen und Migranten im «Ländle» beschäftigt, wie die Einheimischen ihr Vorarlberg nennen. Sie erklärt den Hintergrund der Karte, die 2013 im vai (Vorarlberger Architektur Institut) ausgestellt wurde: Vorarlberg als traditionelles Einwanderungsland muss sich zunehmend mit einer älter werdenden Generation von Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus der Türkei auseinandersetzen. Bis zur Errichtung des islamischen Friedhofs in Altach kam für viele Anhänger der Glau­bensgemeinschaft nur eine Überführung der Toten ins vermeintliche Heimatland infrage, um eine Beisetzung entsprechend den islamischen Bestattungsregeln zu ermöglichen. Die finanziellen wie auch ideologischen Auswirkungen haben türkische Familien in Vorarlberg nachhaltig beeinflusst. Eine freiwillige bis unfreiwillige Segregation sowie unterschiedliche Bestattungspraktiken führten so zur Herausbildung unterschiedlicher Konzepte des letzten Friedens. Die Landkarte «Der Tod hat (k)einen Ort» (2008) versuchte, Berge zu versetzen, und positionierte Vorarlberg darum als Insel der Glückseligen vor die türkische Küste, um die Kulturen – zumindest symbolisch – ein Stück näher aneinander zu rücken. Mit der Errichtung des Friedhofs in Altach (2012) mag dies vielleicht gar nicht mehr notwendig sein. Denn die doch so willkommenen «Gastarbajteri» sind längst keine Gäste mehr, sondern gehören genauso zum Gedächtnis des Ländles wie ihre Nachbarn. Nataša Sienčnik

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