Fich­ten in Be­dräng­nis

Waldwirtschaft vor grossen Herausforderungen

Wie stark wird sich die Klimaveränderung auf den Wald auswirken? Trockenheit und Käfer setzen den Bäumen zu. Alarmismus wie seinerzeit beim Waldsterben wäre falsch. Doch die Holzwirtschaft muss sich darauf einstellen, dass im Schweizer Wald künftig weniger Fichten wachsen.

Publikationsdatum
13-03-2014
Revision
18-10-2015

Dem Wald geht es ja ganz gut – diesen Eindruck erhält, wer gelegentlich einen Waldspaziergang unternimmt. Doch seit einigen Jahren mehren sich die Zeichen, dass sich im Ökosystem Wald einiges verändert. Ueli Meier, der Kantonsförster beider Basel und Präsident der Kantonsoberförsterkonferenz, denkt dabei unter anderem an die mehrwöchige Trockenheit im Frühling 2011. In seinem ganzen Berufsleben habe er so etwas noch nie erlebt. In den letzten sechs Jahren habe man ausser 2013 infolge des aussergewöhnlichen Waldbrandrisikos immer wieder über ein Feuerverbot im Freien diskutiert, und zum Teil sei ein solches auch erlassen worden. Und das jüngste Beispiel: ein Borkenkäferbefall an Fichten Anfang dieses Jahres. Seit dem Sturm «Lothar» 1999 bereite der Borkenkäfer Probleme, sagt Meier. Dass er aber bereits im Januar zuschlage, sei neu. 

Wechsel der Baumarten

Derzeit ist nicht absehbar, wie dramatisch sich der Klimawandel auf die Stabilität, Vitalität und Zusammensetzung der Waldbestände auswirken wird. Doch man muss sich damit auseinandersetzen, denn Bäume wachsen langsam und werden alt. Die heutigen Keimlinge oder jungen Bäumchen müssen dem Klima auch in hundert Jahren standhalten. Für die Schweiz könnte sich bis 2100 eine mittlere Erhöhung der durchschnittlichen Jahrestemperaturen von 2 bis 5°C gegenüber heute ergeben.1

Bei den Niederschlägen sind die Veränderungen noch relativ unsicher; gegen Ende des 21. Jahrhunderts könnte es aber vor allem im Sommer trockener werden. Für den Wald bliebe dies nicht ohne Folgen, denn in den gemässigten Zonen ist der Wald im Sommerhalbjahr auf eine ausreichende Wasserversorgung angewiesen.

In Lugano ist die durchschnittliche Jahrestemperatur 3°C und in Genua 6°C höher als in Zürich. Während auf der Alpennordseite Buchen und Fichten heimisch sind, wachsen am Mittelmeer immergrüne Steineichen und am Luganersee Edelkastanien und Palmen. Letztere breiten sich im Tessin immer mehr in den siedlungsnahen Wäldern aus; ebenso der hartnäckige Götterbaum, eine invasive gebietsfremde Art, die von der Abnahme der Winterfröste profitiert.

Langfristig wird sich die Baumartenzusammensetzung verändern. In einem etwas mediterraneren Klima auf der Alpennordseite zieht sich die an ein eher kühles und feuchtes Klima angepasste Fichte tendenziell in die Berge zurück. Die Buche dürfte ebenfalls in etwas höhere Lagen wandern, während sich Stiel- und Traubeneiche in den tieferen Lagen vermehrt durchsetzen könnten. Die Ergebnisse des Landesforstinventars, das die Bäume im Schweizer Wald periodisch erfasst, zeigen diese Entwicklungen bereits deutlich auf. 

Wie gross ist die Anpassungsfähigkeit 

Die Frage ist nicht, ob in einem wärmeren Klima Wald gedeihen kann, sondern wie abrupt sich der Wandel vollzieht. Bei diesem Prozess dürften vor allem auch Extremereignisse wie Dürreperioden, Stürme, Kalamitäten durch Schadorganismen und möglicherweise auch Waldbrände den Takt angeben. Der Klimawandel beschäftige auch die Waldeigentümer, bestätigt Markus Brunner, der Direktor von Waldwirtschaft Schweiz, dem Dachverband der Waldbesitzer. Die konkreten Auswirkungen seien aber noch unsicher, entscheidend sei etwa, wie stark sich die einzelnen Baumarten anpassen könnten.

Die Frage der Anpassungsfähigkeit interessiert auch Ueli Meier. So sei denkbar, dass einzelne Individuen einer Baumart mit den veränderten Klimabedingungen besser umgehen können als andere. Um eine Anpassung zu ermöglichen, sei deshalb darauf zu achten, dass die genetische Vielfalt der Baumpopulationen möglichst gross sei, sagt Meier.

Hohe Erwartungen setzt die Forstpraxis in das mehrjährige Forschungsprogramm «Wald und Klimawandel» des Bundesamts für Umwelt (Bafu) und der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL)2. Das Programm startete 2009 und dauert noch bis 2015. Im Zentrum stehen die Fragen, wie sich der Klimawandel auf Waldprodukte und Waldleistungen auswirken wird und mit welchen Anpassungsmassnahmen sich diese Leistungen sichern lassen.

Auf der politischen Agenda

Auf politischer Ebene sollen in den nächsten Monaten bereits erste Weichen gestellt werden. Im Rahmen der Waldpolitik 2020legte der Bundesrat im August 2011 die waldpolitischen Ziele fest. Zu den fünf Schwerpunkten gehört auch die Herausforderung des Klimawandels. 

Der Sektor der Waldwirtschaft ist zudem im ersten Teil der Strategie des Bundesrats zur Anpassung an den Klimawandel berücksichtigt. Dabei wurden folgende Handlungsfelder definiert: 

kritische Schutzwälder: Dazu zählen Wälder mit verminderter Stabilität und einer ungenügenden Anzahl junger Bäume, die an die Stelle absterbender alter Bäume treten können (gemäss Landesforstinventar rund 68.000ha Wald)  Baumbestände mit hohen Nadelholzanteilen in tieferen Lagen: Solche Bestände sind empfindlich gegenüber Windwurf, Trockenheit und Borkenkäferbefall und sollten in Mischwälder überführt werden (gemäss Landesforstinventar rund 50.000ha Wald)  klimasensitive Waldstandorte: Dies betrifft zu Trockenheit neigende Standorte oder Standorte mit hohen Anteilen an dürrem Holz in Risikogebieten für Waldbrände (gemäss Schätzungen sind 50.000ha Wald davon betroffen)

Um die waldpolitischen Ziele umzusetzen, schlägt der Bundesrat vor, das Waldgesetz zu ergänzen. So sollen die Massnahmen im Wald zur Anpassung an den Klimawandel vom Bund auch finanziell unterstützt werden können. Laut Rolf Manser, Chef der Abteilung Wald beim Bafu, kommt die überarbeitete Gesetzesvorlage voraussichtlich noch dieses Jahr ins Parlament. Der Vorschlag sei grundsätzlich positiv aufgenommen worden. Mit den Kantonen hätten jedoch einige Differenzen ausgeräumt werden müssen, sagt Manser. Diese befürchten, dass vor allem im Bereich der Jungwaldpflege künftig deutlich höhere Kosten auf sie zukommen. Aktuell betragen die jährlichen Bundesbeiträge für die Jungwaldpflege rund 11 Mio. Fr. und für die Schutzwaldpflege rund 60 Mio. Fr., während die Kantone Beiträge in derselben Grössenordnung beisteuern. 

Den Spielraum für Nadelholz nutzen

Für kontroverse Diskussionen sorgt die in der Anpassungsstrategie des Bundes angestrebte Überführung nadelholzreicher Wälder in Mischwälder im Mittelland. Der Fichtenanteil ist dort deutlich höher, als er von Natur aus wäre. Nun schlägt das Pendel zurück, der Anteil der Fichte in den Wäldern des Schweizer Mittellandes nimmt seit Jahren ab. Mit rund einem Drittel am Holzvorrat ist die Fichte derzeit aber immer noch die häufigste Baumart im Mittelland, gefolgt von der Buche mit 25%.4 Die Fichte war lange der «Brotbaum» der Forstwirtschaft und ist immer noch das am meisten nachgefragte Bauholz. Angesichts dieser Entwicklungen macht sich die Holzwirtschaft zunehmend Sorgen, wie sie künftig ihren Holzbedarf decken kann.

Markus Brunner zeigt dafür Verständnis. Auch sei zu berücksichtigen, dass das Nadelholz für die Forstbetriebe wesentlich ertragreicher sei als das Laubholz. Ausgehend von einer gesamtheitlichen Ressourcensicht fordert er deshalb dreierlei: Im Mittelland sei an geeigneten Waldstandorten und in jeweils angepassten Baumartenmischungen auch weiterhin der Spielraum zugunsten des Nadelholzanbaus zu nutzen. In den Voralpen und Alpen, wo Nadelholz natürlicherweise dominiert, sich heute viele vorratsreiche, überalterte Bestände befinden und wo die Fichte auch in einem wärmeren Klima gute Wuchsbedingungen vorfindet, müsse die Erschliessung für die Holznutzung verbessert werden. Und die Option eines vermehrten Anbaus von langjährig erprobten Gastbaumarten wie der Douglasie sei ins Auge fassen, so Brunner.

Die Förster orientieren sich beim Entscheid der Baumartenwahl unter anderem an den sogenannten Waldstandortskarten. Für die einzelnen Standorte, die sich bezüglich der Wasser- und Nährstoffversorgung unterscheiden, gibt es Empfehlungen für geeignete Baumarten sowie maximale Nadelholzanteile. Diese Empfehlungen sollen nun gestützt auf aktuelle Forschungsergebnisse von den Kantonen angepasst werden. Für die Fichte wäre auch eine Verkürzung der Produktionszeit von heute über 100 Jahren auf vielleicht 80 Jahre denkbar. Dadurch würde sich das Risiko von Sturm- und Folgeschäden verringern. 

Gesucht: neue Laubholzanwendungen

Dennoch wird im künftigen Schweizer Wald in tieferen Lagen deutlich mehr Laubholz wachsen als heute. Gefragt sind deshalb neue Laubholzanwendungen. Der Aktionsplan Holz des Bundes setzt hier denn auch einen Schwerpunkt. Der Holzbau erlebt aktuell einen Boom, doch Laubholz spielt bisher kaum eine Rolle. Bauten, bei denen Laubholz verwendet wurde, liessen sich an einer Hand abzählen, sagt Christoph Starck, der Direktor von Lignum. Angesichts der langfristigen Entwicklung des Holzangebots im Schweizer Wald bereitet ihm der Umstand einige Sorgen, dass die Holzwirtschaft heute nahezu gänzlich auf die Verarbeitung von Nadelholz ausgerichtet ist.

Doch gerade beim Buchenholz gibt es auch ermutigende Entwicklungen. In der Nordwestschweiz ist die Idee für ein Verarbeitungszentrum für Buchenholz weit gediehen. Das Projekt sieht vor, in Kombination mit einem bestehenden Sägewerk im Kanton Jura ein neues Leimholzwerk zu erstellen. Gemäss einer Projektstudie des Waldwirtschaftsverbands beider Basel sollen als Hauptprodukte grossflächige Konstruktionsplatten und Brettsperrholzplatten sowie Träger und Balken aus Brettschichtholz in Buchenholz hergestellt werden.

Für Aufsehen sorgte in den letzten Monaten ein aus Buchen hergestelltes Furnierschichtholz der deutschen Firma Pollmeier. Eben ist in Thüringen eine neue Produktionsanlage erstellt worden. Weil aus Buchenholz gefertigte Bauteile über bessere Festigkeitseigenschaften als Nadelholz verfügen, könnten solche Neuentwicklungen laut Starck vor allem im mehrgeschossigen Holzbau zum Einsatz kommen. Vielleicht gelingt dem Laubholz der Durchbruch beim Konstruktionsholz schneller, als wir denken. 

Anmerkungen

  1. Szenarien zur Klimaänderung in der Schweiz 2011
  2. www.wsl.ch > Wald und Klimawandel
  3. www.bafu.admin.ch > Waldpolitik 2020
  4. Schweizerisches Landesforstinventar, Ergebnisse der dritten Erhebung 2004–2006 

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