Zwei Drit­tel der Ar­chi­tek­tur­bü­ros set­zen nach wie vor nicht auf BIM

An einem heissen Sommertag hat die Berufsgruppe Technik (BGT) des SIA zur jährlichen BIM-Fachtagung in die Pädagogische Hochschule (PH) Zürich geladen. Rund 300 Teilnehmende aus den unterschiedlichsten Planungsbereichen waren dem Ruf gefolgt.

Publikationsdatum
30-07-2019
Luca Pirovino
Dipl. Kultur-Ing. ETH/SIA, MAS Energie-Ing., Verantwortlicher Themenfeld Energie und Berufsgruppe Technik (BGT)

Der Fokus des SIA richtet sich im Jahr 2019 auf das Thema «Zukunftsfähige Leistungs- und Honorarordnungen». Die BIM-Fach­tagung «Projektabwicklung im Wandel» vom 27. Juni 2019 widmete sich ebenfalls diesem Thema und erörterte Fragen zur Zusammen­arbeit, zu den Rollen und den Leistungsanpassungen innerhalb von Projekten, die Building Information Mo­delling anwenden.

Die Fachtagung war in vier Themenblöcke unterteilt. Namhafte Referentinnen und Referenten gaben sich die Klinke in die Hand. Podiumsteilnehmende stellten sich den Fragen der Wissenshungrigen. Die Podiumsleitung hatte Peter Scherer von der FHNW inne, und Marco Waldhauser, Präsident BGT, führte durch den Tag.

Das Tablet ist auf der Baustelle angekommen

Zeljko Savic, Inhaber des gleichnamigen Büros und BIM-Berater für Architekten, startete sein Referat kernig: Er könne seine Aussage nicht mit einer wissenschaftlichen Studie beweisen, aber seine langjährige ­Erfahrung zeige, dass zwei Drittel der Architekturbüros die BIM-Methode nach wie vor nicht ­anwenden würden. Wer meint, die Schuld dafür trage die ausführende Bauindustrie, die ohne ausgedruckten Plan nicht arbeiten könne, wird von Alessandro Walpen, BIM-Verantwortlicher der Marti AG, eines Besseren belehrt.

Für seine Firma sei es am effizientesten, wenn der Polier auf der Baustelle die korrekte Auslegung der Armierungseisen mit einem Tablet kontrollieren könne. Wenn etwas nicht klar sei, könne man schnell reinzoomen, das Detail im Bild prüfen. Zudem sei es vor­teilhafter, Arbeitsabläufe digital zu überprüfen, um sicherzustellen, dass mit dem aktuellsten Plan gearbeitet werde. Am Anfang brauche es für die Beteiligten zwar eine gewisse Gewöhnung, aber der Frust sei jeweils gross, wenn auf einer anderen Baustelle wieder mit herkömmlichen 2-D-Plänen gearbeitet werden müsse.

Was haben Kaninchen und Ochse mit BIM zu tun?

Warum hat es BIM so schwer, sich in der Bauindustrie und bei den ­Planern durchzusetzen? Müssten die Planer nicht unternehme­rischer als bisher denken? Effi­zienter zu werden, um mehr zu ­verdienen und in der Entwicklung primär eine Chance statt eine Gefahr zu sehen? In der Podiumsdiskussion meinte Mode­rator Peter Scherer, im Moment wirke es eher so, als ob der Architekt vor BIM erstarre, wie das Kaninchen vor der Schlange. Bei der ­Vielzahl der Softwarevarianten und den undefinierten Prozessen stehe der Architekt viel mehr wie der ­Ochse vor dem Berg, konterte Daniel Jaeglé, Associate bei Graber Pulver Architekten.

BIM-Koordinator: nur eine temporäre Erscheinung?

Dabei wäre – gemäss Marco Flury, Bauingenieur und BIM-Koordinator bei Emch + Berger WSB – der Architekt aufgrund seiner Funktion als Gesamtprojektleiter geradezu prädestiniert, die Funktion des BIM-­Koordinators zu übernehmen. Überhaupt: Die im Moment überall entstehenden Stellen für BIM-Koordinatoren könnten eine temporäre Erscheinung sein, hätte denn der Architekt den Willen, den Lead trotz der Digitalisierung zu behalten.

Apropos Lead: Kommissionen seien naturgemäss träge, sagte Patrick Gartmann, Präsident SIA 103 Ordnung für Leistungen und Honorare der Bauingenieurinnen und Bauingenieure. Es sei somit falsch, Innovation von Ordnungsgremien zu erwarten, die per Definition den aktuellen Stand der Technik abbilden würden und die nicht primär die Entwicklung von Zukunftsszenarien zu ihrer Hauptaufgabe zählten.

Ähnlichkeiten erkennen, standardisieren, automatisieren

Allgemein gilt die Bauindustrie als eine der am wenigsten innovativen Branchen. Gemäss einer Studie von McKinsey & Company hat sich in den USA seit 1940 die Produktivität in der Bauindustrie aufgrund mangelnder Innovation nur um wenige Prozente erhöht. Im Vergleich dazu hat sich die Produktivität der Landwirtschaft in der gleichen Zeit mehr als versechzehnfacht.

Da stellt sich die Frage: Steht uns die grosse ­Produktivitätssteigerung in der Bauindustrie noch bevor? So sehen es die meisten Referierenden der Tagung. Dazu gehört auch Piero Knecht, Beauftragter «Digitale Prozesse» beim SIA. Laut Knecht gehe es bei der Digitalisierung vor allem darum, Ähn­lichkeiten zu erkennen, zu standardisieren und zu automatisieren. Die Herausforderungen seien überall dieselben, diese seien in der Schweizer Baubranche mit der starken Fragmentierung zwischen Planung, Ausführung, Bauherrschaft und ­Betreiber be­sonders gross. Beim SIA leitet Knecht ein Projekt, bei dem es darum geht, die Fragmentierung in den Leistungs- und Honorarordnungen zu minimieren und ­Redundanzen sowie Inkohärenzen zu beseitigen.

Die Zukunft liegt in den statistischen Daten

Welche Rolle will der SIA in Zukunft wahrnehmen? In welcher Form soll er Informationen und Daten anbieten? Und welche Kooperationen will er dazu eingehen und welche Ver­einbarungen will er treffen? Das sind die Fragen, die es im Lauf dieses Jahres zu diskutieren gilt.

Ein möglicher zukünftiger Partner des SIA ist die Schweizerische Zentralstelle für ­Baurationalisierung CRB. Deren Geschäftsführer Michel Bohren hielt ein feuriges Abschlussreferat. Er sei sich bewusst, dass es in Zukunft die Phase der Ausschreibung, wie man sie heute kenne, nicht mehr geben werde. Dies sei für CRB von existenzieller Natur: Entweder passe man sich den neuen Bedingungen an und nutze diese für sich, oder man werde dereinst vom Markt verschwinden.

Für Bohren überwiegen die Chancen klar, er sieht die Zukunft vor allem in statistischen Daten zu Mustern, Trends, Häufigkeiten und Abhängigkeiten. Mittels modernster Technologien sollen diese Nutzerdaten analysiert und ausgewertet werden und somit eine Analyse von Verhalten und Trends ermöglichen. Ziel ist es, den Anwender bei Entscheidungen mit Vorschlägen zu unterstützen und dadurch seine Arbeitsabläufe zu beschleunigen.

Wäre es somit nicht auch für die zwei Drittel der Architekturschaffenden, die sich noch nicht mit der BIM-Methode auseinandergesetzt haben, höchste Zeit, sich der Effizienzsteigerung der eigenen Prozesse anzunehmen? Die Chancen stehen gut, damit den erodierenden Planungshonoraren entgegenzutreten.

Oder wie es Tagungsteilnehmer Jörg-Martin Hohberg formulierte: «Wer dem Bauherrn mehr anbietet, soll dafür auch mehr verlangen.» Ein BIM-Modell, das nicht nur während der Bauphase kostspielige Bauschäden verhindert, sondern auch in der Betriebsphase einen hohen Nutzen hat, ist definitiv ein Mehrwert, auf den kein Bauherr mehr verzichten will.

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