Wie wol­len wir Kern­kraft­wer­ke rück­bau­en?

Die Tagung im Kernkraftwerk Leibstadt hat Akteure, Fachleute und Interessierte des Atomkraftwerk-Rückbaus zusammengebracht. Das erklärte Ziel der Veranstaltung: Kompetenzen aufbauen – denn bis jetzt wurde in der Schweiz noch kein Atomkraftwerk zurückgebaut.

Publikationsdatum
04-10-2018
Revision
18-10-2018

«Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kinder geliehen», sagte SIA-Vorstandsmitglied Daniele Biaggi an der Tagung «Ingenieurtechnische Herausforderungen beim Kernkraftwerk-Rückbau», die am 13. September 2018 im Kernkraftwerk Leibstadt stattfand. Der SIA als grösster Planerverein tue gut daran, sich um die Zukunft zu kümmern, meinte er weiter.

Am 20. Dezember 2019 wird abgestellt

Obwohl die Tagung in Leibstadt stattfand, liegt das Objekt der Diskussion woanders: nämlich in Mühleberg. Das Kernkraftwerk Mühleberg mit seinem Siedewasserreaktor und den zwei Dampfturbinengeneratoren soll am 20. Dezember 2019 abgeschaltet werden, sagte Joachim Dux, Teilprojektleiter Technische Stilllegung des Kernkraftwerks Mühleberg. Vor allem wirtschaftliche Gründe seien verantwortlich für die Stilllegung, erklärte er. «Der Rückbau ist das grösste Projekt seit dem Bau – und ein Pilotprojekt», so Dux.

Die Stilllegung dauert 15 Jahre und kostet 900 Millionen Franken. Er nahm den anwesenden Firmenvertretern allerdings die Hoffnung auf ein grosses Geschäft: «Rund 50 % des Volumens werden wir als Eigenleistung stemmen», sagte er. Es werden 200 000 t Bausubstanz anfallen, wobei un­gefähr 2 % radioaktiver Abfall sei, der im Zwischenlager für radioaktive Abfälle in Würenlingen deponiert werden muss. 

Dass es etablierte Techniken für den Kernkraftwerk-Rückbau gibt, zeigte Marlies Philipp auf. Sie arbeitet in der Kommunikation des Entsorgungswerks für Nuklearanlagen GmbH (EWN). Die heutige EWN betrieb bis 1990 das Kernkraftwerk Greifswald in Deutschland, dessen Rückbau nun 6600 Millionen Euro kostet. Das Geld kommt nicht wie in der Schweiz aus einem Fonds, den die Kraftwerkbetreiber äuffnen müssen, sondern vom Staat.

Mit ihren 20 Jahren Rückbauerfahrung konnte Marlies Philipp die Zuhö­rerinnen und Zuhörer fesseln. Es sei wichtig, auf die räumliche und zeitliche Trennung der Demontage- und Dekontaminationsarbeiten zu achten, um die Strahlen­belas­tung des Personals so gering wie möglich zu halten. Der Betreiber wird zum Rückbauer. «Gehen Sie auch mal den Weg zurück, wenn es nötig ist», ermunterte sie die Tagungsteilnehmenden – denn in Greifs­wald war zunächst die komplette, sofortige Demontage des Reaktors geplant. Nun wird erst 40 Jahre nach Abschaltung des Reak­tor­druckgefässes demontiert. Für die Einlagerung des Reaktors wurde der Bau eines Zwischenlagers nötig.

Ab 2050 sollte ein Tiefenlager bereitstehen

Die Frage nach den Zwischen- und Endlagern in der Schweiz beantworteten Thomas Fries und Livia ­Schälli von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, der Nagra. Wenn alles nach Plan läuft, so kann ab 2050 schwach- und mittelaktiver Abfall und ab 2060 hochaktiver Abfall in Tiefenlagern eingelagert und dann dauerhaft verschlossen werden. Bis dahin wird alles im Zwischenlager in Würenlingen deponiert. Die Frage eines Tagungsteilnehmers, warum überall nur über die Tiefenlager diskutiert wird und kaum jemand die Sicherheit des Zwischenlagers bespricht, konnte nicht abschliessend beantwortet werden.

Ablauf einer Stilllegung

Matthias Jaggi, Fachspezialist Kernenergierecht beim Bundesamt für Energie, zeigte sich noch immer überrascht, dass beim Stilllegungs­verfahren in Mühleberg keine Be­schwerde eingereicht wurde. Neben dem konkreten Ablauf eines solchen Verfahrens ging er auch auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Tiefenlager ein. Etwas Werbung machen durfte Mark Kritzmann, Leiter Rückbau bei Hochtief IKS Schweiz. Er zeigte die Vorteile auf, die eine logistische und bautech­nische Planung mittels 3-D-CAD-Modell beim Rückbau eines Kernkraftwerks hat. So können Fragen bereits am Mo­dell beantwortet werden: Wie kommt mein Material hinein und wieder her­-aus? Wo darf was und mit welchem Gewicht stehen? Vorausschauend ist der Energiedienstleister Axpo unterwegs.

So gab es ordentlich Gerüchte, als Axpo per Stellen­inserat einen Rückbauspezialisten für das Kernkraftwerk Beznau suchte. Benjamin ­Furrer von der Rückbau- und Materialfluss­planung bei dem Energiedienstleister erklärte dazu: «Obwohl Beznau 1 eines der ältesten Kernkraftwerke der Welt ist, ist noch kein Termin für die Abschaltung in Planung.» Aber Axpo möchte sich vorbereiten, um Lösungen bereits im Vorfeld zu suchen. Denn beim Bau der Anlagen sei oft nicht an den Rückbau gedacht worden. So gibt es in Beznau einen Kran für 100 t, aber der Reaktor wiegt 220 t. Furrer zeigte auf, in welchen Be­reichen er auf das Fachwissen von Ingenieurinnen und In­genieuren zurückgreifen möchte.

Ein langfristiges Projekt

Der Rückbau eines Atomkraftwerks ist ein langfristiges Projekt, stellte Patric Fischli-Boson, der Präsident der Berufsgruppe Ingenieurbau des SIA, klar. Sein zu Beginn der Tagung gemachtes Versprechen, mitzuhelfen, die Kompetenzen für einen Rückbau aufzubauen, hat er mit der Veranstaltung eingelöst.


Die Macht der Worte

Möchten Sie lieber «Strom aus Kernkraftwerken, die Atommüll verursachen» oder «Strom aus Sternenstaub, der dekontaminiertes Material hinterlässt» beziehen? Vermutlich wählen Sie den Sternenstaub. Ist ja auch ein wunder­bares Bild: Uran, entstanden beim Urknall aus Sternenstaub, fliesst als Strom aus der Steckdose.

An der Spezialführung, die die Betreiber für die Rückbauexpertin Marlies Philipp organisiert hatten, wurde der «Strom aus Sternenstaub» im Einführungsfilm mit gut gemachten Animationen und dramatischer Musik untermalt. Das Bild blieb haften. Und noch weitere Ausdrücke: So sprachen alle während der Tour durchs Kernkraftwerk von «kontaminiertem Material», kaum von «Atommüll». Erstaunlich, wie schnell das ging und die Intention der Betreiber funktionierte.

Auch wenn der «Strom aus Sternenstaub» nur ein Schmunzeln oder Stirnrunzeln auslöst, der Begriff bleibt haften. Wird weitererzählt – so wie eben jetzt. Und ich bin sicher, auch Sie werden das Bild nicht so rasch vergessen. Das ist die Macht gut gewählter Worte.
(Barbara Ehrensperger)

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