Weg am Was­ser

Bis Mitte 2011 war es nicht möglich, die Rheinschlucht zwischen Ilanz und Reichenau durchgängig zu bewandern. Wer nicht im Zug oder mit dem Schlauchboot unterwegs war, musste ab und zu den Vorderrhein verlassen, weil natürliche Hindernisse oder Kunstbauten den Weg unterbrachen. Nun helfen neue Bauwerke, die Schlucht zu Fuss erlebbar zu machen.

Publikationsdatum
31-01-2012
Revision
01-09-2015

Die bis zu 400 m tiefe und rund 13 km lange Rheinschlucht (rätoromanisch Ruinaulta) zwischen Ilanz und Reichenau wird auch als «Swiss Grand Canyon» bezeichnet. Ihren Ursprung hat die Ruinaulta im Flimser Bergsturz, der vor über 10 000 Jahren das Gebiet mit einer Masse von etwa 13 km3 zuschüttete. Nach und nach grub sich der Vorderrhein durch dieses Material, heute präsentiert sich hier eine ausserordentlich schöne Schluchtlandschaft mit vielfältiger Flora und Fauna.

Touristische Bedeutung

Während die Ruinaulta früher ein wirtschaftliches Hindernis darstellte, ist sie heute Attraktion und Touristenmagnet. Vertreter und Vertreterinnen der umliegenden Gemeinden haben dafür ein Konzept erarbeitet, das den Spagat zwischen Naturschutz und Erholungsaktivitäten ermöglicht. Regelte man dies nicht, würden die zugänglichen Uferpartien und Erholungsplätze übernutzt und die Tier- und Pflanzenwelt geschädigt. Von diesem Standpunkt aus gesehen könnte man argumentieren, dass ein durchgehender Wanderweg die Belastung der Landschaft noch erhöht. In der Regel schätzen und bewahren Wandersleute jedoch den Raum, der ihre Aktivität und Erholung erst ermöglicht.Aktuell sind einige neue Bauwerke innerhalb des Wanderwegnetzes entstanden. Der Bonaduzer Bauingenieur Walter Bieler hat die folgenden drei Kunstbauten entworfen und deren Ausführung begleitet.

Auf das Wasser sehen

Eine spektakuläre Aussicht in den unteren Bereich der Ruinaulta ermöglicht die Aussichtsplattform «Zault». Der Standort zwischen steil abfallender Schluchtflanke und der ausgestellten Linkskurve der Versamerstrasse zwischen Bonaduz und Ilanz ist ein beliebter Aussichtspunkt. Die neue Gestaltung mit Wendelweg und schlichtem Stahlgeländer lädt zum Verweilen ein. Die Topografie wird geschickt genutzt, sodass sich das Konstrukt angenehm zurückhaltend präsentiert und der Aussicht den Vorrang gibt. 

Über das Wasser gehen

Hat man die Aussicht von «Zault» aus genossen, ermöglicht der nächste Kunstbau das Gehen über dem Wasser. Nahe dem Bahnhof Trin-Station überspannt die Hängebrücke «Punt Ruinaulta» den Vorderrhein. Der Hochwasserstand liegt rund einen halben Meter höher als die Gleise der Rhätischen Bahn (RhB) und des Terrains, wodurch die notwendige lichte Höhe relativ gross ist. Mit dem über der Gehfläche liegenden Tragwerk verhinderte der Bauingenieur aufwendige Rampenbauwerke, die zum Beispiel mit einer Balkenbrücke für die Überwindung der Höhendifferenz notwendig gewesen wären. Die Widerlager der leichten Hängebrücke – die Eigenfrequenz der vertikalen Schwingungen beträgt 1.7 Hz – ragen in Rohbeton aus den Uferbänken. Sie wirken stark und widerstehen offensichtlich den Seilkräften. Wandernde betreten die Brücke durch diese Baukörper hindurch, was ein pragmatisches wie sinnvolles Nutzungsprinzip kombiniert. Ebenso schlicht präsentiert sich die Brückenplatte mit quer verlegten Lärchenhölzern. Schlitze zwischen den Kanthölzern sorgen dafür, dass Regenwasser rasch abfliesst und das Holz schnell trocknet. Nur die beiden Hauptträger sind mit einer Schalung vor der Witterung geschützt. Die schrägen Seilebenen und der in der Gehfläche eingesetzte Vierendeel-Träger aus Holz gewährleisten die Stabilität. Die breiten, an den Längsseiten angeordneten Holzkästen kombinieren auf dauerhafte Art Konstruktion, Verkleidung, konstruktiven Holzschutz und Sicherheitsaspekte.

Neben dem Wasser gehen

Formal auf der Linie von «Zault» und «Punt Ruinaulta» liegt der dritte in der Ruinaulta neu eröffnete Kunstbau: der Viaduktsteg. Diese Wanderhilfe bietet eine sichere Passage entlang der RhB-Linie. Früher bedienten sich Wagemutige der Trassees und des Tunnels der Bahn, um Wege zu erschliessen oder abzukürzen, was mit Gefahren für Leib und Leben verbunden war. Der neue Steg ist 1 m breit und an die bestehenden Kunstbauten der RhB angehängt. Die Gehflächen bieten Platz zum Verweilen und Beobachten von Natur und Eisenbahntechnik.

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