Vom Du­ett zur Tri­lo­gie

Brücke Eglisau; einstufiger, anonymer Projektwettbewerb

Aus dem Wettbewerb für die neue Rheinbrücke bei Eglisau ging die Eingabe von Calatrava Valls siegreich hervor. Es zeigte sich, wie wichtig kontextuelles Entwerfen in der Ingenieurbaukunst ist.

Publikationsdatum
28-01-2021

Ein wahrlich ernst zu nehmender Kontext! Ein Landschaftsbild von nationaler Bedeutung (Untersee – Hochrhein) und ein Baudenkmal (Eisenbahnbrücke Eglisau) als einer der prominentesten Vertreter des gemischten Mauerwerk- und Stahlbrückenbaus aus dem 19. Jahrhundert.1 In diesem Umfeld soll eine neue Brücke über den Rhein für die Umfahrung von Eglisau eingebettet werden. Die kantonale und die eidgenössische Kommission für Natur- und Heimatschutz meldeten Bedenken an. Denn die geplante Strecke tangiert bei der Rheinquerung Schutzgebiete und -objekte in einem Ausmass, das die Bewilligungsfähigkeit bislang grund­sätzlich infrage stellte. Deshalb war die Eidgenössische Na­tur- und Heimatschutzkommission (ENHK) in die Vorbereitung der Planungsarbeiten involviert. Sie begutachtete 2013 die Situation, die im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) mit der Nummer 1411 regis­triert ist. Die Landschaft, die Sicht auf das geschützte Ortsbild inklusive der 100-jährigen Strassen­brücke und die Ausstrahlung der historischen Eisenbahnbrücke, so befand sie, dürften durch die neuen Infrastrukturbauten nicht beeinträchtigt ­werden. Eine planerische Herausforderung, die eine sensible He­ran­gehens­weise bedingte.

Zeigen statt verstecken

Eglisau erstickt im Durchgangsverkehr. 22 000 Fahrzeuge pro Werktag – insbesondere auch Lastwagen – ­quälen sich durch die Kleinstadt. Während der Verkehrsspitzen ist es fast unmöglich, aus dem älteren Stadtteil Eglisaus herauszufahren, da man sich kaum in den Verkehr einflechten kann. Eine Umfahrung gliche einem Befreiungsschlag. Doch dieses seit den 1970er-Jahren geplante Projekt harzt – Motionen, Gutachten und erfolglose Abstimmungen warfen die Planung immer wieder zurück.

Eigentlich wäre eine Unterquerung des Rheins mittels eines Tunnels die gemäss ENHK schonendste Lösung – man erachtete sämtliche Brückenvarianten als schwerwiegende Beeinträchtigung der Schutz­objekte bzw. Schutzziele. Da die Kosten der Tunnellösungen aber mit ca. 800 Mio. Fr. in einem Missverhältnis zum Verkehrsaufkommen und dem durch die Umfahrung erzeugten Nutzen gestanden hätten, verfolgte man trotzdem die Überquerung des Rheins mittels Brückenschlag parallel und in ausreichendem Abstand zur historischen Eisenbahnbrücke. Dafür lobte der Kanton Zürich, vertreten durch das Amt für Verkehr (AFV), einen Projektwettbewerb mit Präqualifika­tion aus. Den Auslobern war klar, dass «eine Brückenquerung schwere negative Auswirkungen auf die durch technische Eingriffe kaum belastete Flusslandschaft und die angrenzenden Wälder entfalten und damit zu einer schweren Be­einträchtigung des BLN-Objekts Nr. 1411 führen würde». Deswegen müsste die neue Brücke «sorgfältig gestaltet sein und sich gut in die Umgebung einfügen. Sie sollte Teil einer spannenden Brückenlandschaft sein und den Eisenbahn­viadukt und die bestehende Stras­senbrücke stimmig ergänzen.» Mit dem durchgeführten Wettbewerb scheint nun trotz allen Bedenken eine Lösung vorzuliegen, die sämtlichen Vorgaben gerecht wird.

Hoch, tief oder mittel

Zu studieren und einzugeben waren eine auf den Brückenschlag abgestimmte Linienführung, eine angemessene Höhenlage und ein damit korrespondierendes Tragwerkskonzept – ein hoher Freiheitsgrad, der ein breites Spektrum an Lösungsvorschlägen erbrachte und damit einen umfassenden Variantenvergleich ermöglichte.

Für die Präqualifikation (Phase 1) mussten die Bewerber eine Projektanalyse schreiben, eine Entwurfsidee für die Brücke und die Linienführung der Umfahrungsstrasse ausarbeiten. Es galt darzustellen, wo die Strasse offen geführt werden kann und wo Kunstbauten und allfällige Tunnelstrecken erforderlich sind. Die Anschlussknoten der Umfahrungsstrasse an das bestehende Strassennetz mussten aufgezeigt werden. Zu Phase 1 wurden 13 Präqualifikationsbeiträge eingereicht. Zwei Eingaben schloss man aus dem Verfahren aus, weil sie vorsahen, den Rhein über die bestehende Strassenbrücke bzw. über den bestehenden Eisenbahn­viadukt zu queren. Das Preisgericht war der Meinung, dass es sich dabei um ­gravierende Verletzungen des Wettbewerbsprogramms handelte.

Die verbliebenen elf Teilnehmerteams liessen sich bezüglich Höhenlage in drei Gruppen einteilen: Tief- (bis 20 m über dem Mittelwasserstand), Mittel- (bis 30 m über dem Mittelwasserstand) und Hochlage (bis 50 m über dem Mittelwasserstand). Mindestens ein Projekt aus jeder Gruppe liess das Preisgericht schliesslich in der Phase 2 des Wettbewerbsverfahrens weiterverfolgen. «Egli-Ring» – die über sieben Felder durchlaufende Fachwerkkonstruktion aus hochfestem Beton ohne Fugen, mit externer Vorspannung und semi-integralen Widerlagern. Ein innovatives Projekt, das hinsichtlich statisch-konstruktiver und gestalterischer Ausgestaltung im ersten Durchgang der Phase 2 aber ausschied. «Kadenz» – der sorgfältig gestaltete, gevoutete Dreifeldträger in Tieflage mit Bezug zu den bestehenden Brücken und ausgewogenen Spannweitenverhältnissen. «MA 646» – die grosszügige, sorgfältig konstruierte, konventionelle Spannbetonbrücke. «Weiter_Bauen_2» – das zeitgemässe Bauwerk mit einem oben liegenden Bogen aus Stahl, einer Betonfahrbahnplatte für die Hauptspannweite und anschliessenden Vorlandbrücken in Stahlbeton.

Die vier teilnehmenden Teams hatten auf Basis des Prä­qualifika­tionsbeitrags ein reduziertes Vorprojekt nach SIA-Teilphase 31 auszuarbeiten. Der Pro­jekt­peri­meter beinhaltete das Brückenbauwerk von Widerlager bis Widerlager. Zusätzlich waren beidseitig jeweils 10 m der anschliessenden ­Zufahrtsstrassen zu integrieren, um die Übergänge des Brückenbauwerks zu den Strassen aufzuzeigen. Schlussendlich war das Vorprojekt zu «Weiter_Bauen_2» siegreich.

Schlankes Tragwerk

«Weiter_Bauen_2» hat eine Gesamtlänge von rund 500 m. Im Bereich der Rheinquerung ist die horizontale Linienführung gerade, in den Vorlandbereichen geht sie in leichte Kurven über. Der Rhein wird mit einer Bogenspannweite von 165 m überquert. Während die Projektierenden in der Präqualifikation den Bogen noch über der Fahrbahn führten, ordnen sie ihn nun unter der Fahrbahn an. So ist er vor direkter Witterung geschützt, und eine Korrosionsschutzerneuerung kann ohne grosse Verkehrsbehinderungen erfolgen. Es entsteht ein für die Brückenentwässerung vorteilhaftes Gefälle von 2.3 % nach Süden.

Die Bogenhälften sind in zwei Elemente aufgelöst und als Doppelbögen aus variabel hohen und rechteckigen Stahlkastenprofilen konstruiert. Die beiden Hälften sind leicht geneigt und vereinigen sich unten im Kämpferbereich, wo sie jeweils in den einzelnen Hauptpfeiler übergehen. Der Übergang ist kompakt ausgebildet – übertrieben kompakt nach Ansicht des Preisgerichts. Etwas grosszügigere Abmessungen wären für die Abtragung der quer auf die Brücke wirkenden Windbelastung von Vorteil. Eine qualitativ einwandfreie Ausführung garantiert eine dauerhafte, funktionale und robuste Brückenkonstruk­tion.

Federleicht wie die Fluglinie eines Hüpfenden fügen sich an die Hauptspannweite zwei halbe Bögen als Randfelder an. Sie lassen das Brückentragwerk geschickt und fast unbemerkt zum Rahmen werden, der es in Längsrichtung stabili­siert und womit die Biegemomente in der Hauptspannweite vermindert sowie die statische Höhe des Überbaus schlanker gestaltet werden kann. Dieser besteht aus einem konstant hohen Hohlkasten aus Stahl und einer darüber im Verbund wirkenden Fahrbahnplatte in Stahlbeton. Die Werkleitungen und die Sammelleitung der Entwässerung befinden sich ausserhalb des Hohlkastenträgers unterhalb der Platte.

An die Rahmenkonstruktion als Kernstück des Bauwerks mit «Kämpfern» auf einzelnen Hauptpfeilern an der Uferkante schliessen Vorlandbrücken in Form von Durchlaufträgern an – auf der Südseite vier Felder und auf der Nordseite ein Feld. Die eher kurzen Spannweiten ermöglichen einen schlanken, leichten Überbau und damit relativ geringe Stützenlasten sowie eine kostengünstige Flachfundation der drei Pfeiler der südlichen Vorlandbrücke und der Widerlager an den Brücken­enden. Nur die zum Hauptbogen benachbarten Pfeiler sind auf Ort­betonpfählen gegründet. Bei den ­Widerlagern am Ende der schwimmend gelagerten Brückenkonstruktion werden Lager und Fahrbahnübergänge angeordnet. Die Fahrbahn wird durch Leitmauern abgeschlossen, die optional mit Schallschutzelementen und Beleuchtung ausgestattet werden können.

Der Überbau aus einem dreizelligen Stahl-Beton-Verbundquerschnitt ist auf der gesamten Länge monolithisch mit den konventionell erstellten, schlanken Pfeilern aus Stahlbeton und dem Bogen aus vorfabrizierten Stahlelementen verbunden. Auf wartungsintensive Lager kann verzichtet werden. Die Fahrbahnplatte wird mittels Vorbauwagen von Süd nach Nord erstellt. Die Mittelstege des dreizelligen Querschnitts haben zwar eine Vergrösserung der gegen Korrosion zu schützenden Oberfläche zur Folge, doch erlauben sie eine einfache Übertragung der Auflagerkräfte auf die schlanken Pfeiler bzw. die Bogenelemente. Die Stahlelemente der Bogen werden in einer Grösse auf die Baustelle geliefert, die nicht als Sondertransport gilt. In Werkhallen vor Ort werden sie zu möglichst langen Segmenten zusammengesetzt und anschliessend mit Kränen in ihre Endposition gehoben. Während dieser Bauphase sind pfahlfundierte Hilfsplattformen im Fluss vorgesehen.

Zusammenspiel der Brücken

«Weiter_Bauen_2» hält den Flussraum dank der grosszügigen Bogenspannweite in mittlerer Höhenlage und dank der Verjüngung der Doppelbögen zur Mitte hin räumlich frei. Die beiden Bereiche im Vorland sind entsprechend ihrer untergeordneten Bedeutung zurückhaltend ausgestaltet. Gemäss dem Preisgericht gelingt es den Verfassenden, eine weitere Brücke mit charaktervoller Identität über den Rhein vorzuschlagen, die sich im Zusammenspiel mit den bestehenden Brücken behaupten kann, ohne diese zu konkurrenzieren. «Früher geplante Varianten des Flussübergangs stiessen gerade deshalb auf Kritik, weil sie das Zusammenspiel mit den bestehenden historischen Brücken und die Landschaft störten», so Heinrich Figi, Bauingenieur und Fachpreisrichter.

Das Tragwerkkonzept von «Weiter_Bauen_2» zeigt gerade im Ensemble die Weiterentwicklung des Brückenbaus über das letzte Jahrhundert hinweg, indem es sich statisch und konstruktiv von der Topografie mehr loszulösen vermag als seine Vorgänger, sich aber gestalterisch mit dem Kontext ausein­andersetzt. Das Siegerprojekt zeigt beispielhaft auf, wie wichtig kontextuelles Entwerfen in der Ingenieurbaukunst ist.

Die beiden Projekte auf Platz 2 und 3 – «MA 646» und «Kadenz» – verdeutlichen dies mit ihren sorg­fältig ausgearbeiteten, eher konventionellen Tragwerken. Auch sie lassen sich in ihrer jeweiligen ­Höhenlage gut in die Umgebung einordnen. Dennoch vermochte der Vorschlag «Kadenz», eine technisch einwandfreie Brücke in tiefer Lage, das Preisgericht gestalterisch nicht zu überzeugen, weil er den Flussraum optisch bedrängt und zwischen den Tunnelportalen eingezwängt wirkt. Die bewusst zurückhaltende Gestaltung von «MA 646» wird vom Preisgericht zwar vorteilhaft beurteilt, als Teil einer spannenden Brückenlandschaft vermag sie sich jedoch neben den beiden bestehenden Brücken nicht zu behaupten. Die gewählte Einfachheit der Gestaltung sei gleichermassen Qualität als auch Mangel des Projekts.

So hat «Weiter_Bauen_2» das Potenzial, das Duett der 100-jährigen Strassen- und der 125-jährigen Eisenbahnbrücke in Eglisau zur Trilogie zu ergänzen.

Literatur
1 Schweizer Bahnbrücken, 1. Auflage, 2013, ISBN 978-3-85881-393-0

Pläne und Jurybericht zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Auszeichnungen

1. Rang: «Weiter_bauen_2»
Calatrava Valls, Zürich; Dr. Vollen­weider, Zürich; Materialtechnik am Bau, Schinznach-Dorf
2. Rang: «MA 646»
Gruner Wepf, Zürich; Atelier Jordan, Zürich
3. Rang: «Kadenz»
dsp Ingenieure + Planer, Uster

FachJury

Martin Käser, Bauingenieur, Zürich Heinrich Figi, Bauingenieur, Zürich Hans-Rudolf Ganz, Bauingenieur, Zürich
Andrea Deplazes, Architekt, Zürich
Katrin Jaggi, Architektin, Zürich

SachJury

Pascal Kern, AFV Kanton ZH, Abteilungsleiter Infrastrukturplanung
Peter Bär, Gemeindepräsident Eglisau

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