Kön­nen Kalt­luft­strö­me ge­lenkt wer­den?

Das Stadtforstamt Baden hat oberhalb des Alterszentrums Kehl vier Kaltluftkorridore angelegt. Welche Auswirkungen diese auf die Siedlung haben, wird derzeit eruiert.

Publikationsdatum
23-07-2023

Im Zuge des Klimawandels nehmen Tropennächte zu. Tropennächte, also Nächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad Celsius abkühlt, werden besonders in Städten vermehrt gezählt, da sich die heisse Luft dort staut. In solchen Nächten leidet die Schlafqualität. Doch ein erholsamer Schlaf ist vor allem für ältere und geschwächte Menschen teils überlebenswichtig.

Der Badener Stadtoberförster Georg von Graefe, Stadtamman Markus Schneider sowie Florian Immer, Geschäftsführer Alterszentrum Kehl, nehmen sich dieser Problematik an. Obwohl die Stadt Baden von nächtlichen Kaltluftströmen des siedlungsnahen Walds auf den umliegenden Hügelkuppen bereits profitiert, fragten sie sich: «Lässt sich der Effekt der Kaltluftströme lenken?», und starteten im Sommer 2022 einen Versuch.

Im Zuge eines regulären Holzschlags legten die Verantwortlichen des ortsbürgerlichen Stadtforstamts Baden vier Korridore oberhalb des Alterszentrums Kehl an, die direkt auf die Gebäude zulaufen. Diese Kühlluftkorridore sind zwischen 30 und 100 Meter lang und zwischen 20 und 30 Meter breit. Sie sollen die kühle Luft kanalisieren und auf die vier Gebäude mit 72 Wohnungen und rund 80 Bewohnerinnen und Bewohner lenken. Bewaldete Hügel erzeugen in der Nacht durch die Verdunstung von Nässe Kaltluftströme. Weil kühle Luft schwerer ist als warme, fliesst sie an Hanglagen nach unten.

Bevölkerung soll partizipieren

«Unser Projekt Kühlwald kann zukunftsweisend sein», erläutert Georg von Graefe an der Vorstellung des Projekts Ende Juni im Badener Kehlwald. In den Hitzesommern 2003, 2015 und 2019 lag die hitzebedingte Übersterblichkeit in der Schweiz zwischen Juni bis August bei 975 (6.9%), 804 (5.4%) und 521 (3.5%) Todesfällen. Somit seien hierzulande in den Hitzesommern etwa gleich viele Menschen gestorben wie an Covid-19 im Jahr 2021.

Um einen allfälligen Effekt des Versuchs am Badener Stadtrand zu eruieren, wurden bereits vor dem Eingriff im vergangenen Sommer an diversen Standorten im Wald, am Waldrand und im Siedlungsraum 22 Temperatursensoren angebracht. Zwei davon befinden sich auf der höchsten Fichte in der Nähe des Alterszentrums. Die Sensoren messen die Temperaturen vor und nach dem Eingriff im Wald. Verglichen werden Tage mit ähnlichen Temperaturen sowie der Effekt von vergleichbaren Wäldern.

«Wir prüfen nun in einer zweijährigen Messphase, ob sich ein signifikanter Effekt erzielen lässt», berichtet Georg von Graefe. Verhelfen die Holzschläge zu einem Temperaturunterschied zwischen vergangenem Sommer und diesem? Welcher Korridor wirkt am effizientesten? Diese und ähnliche Fragen sollen beantwortet werden. Die Bevölkerung, insbesondere die Bewohner des Alterszentrums Kehl, sind herzlich dazu eingeladen, ihre Beobachtungen mitzuteilen.

Um die Kaltluftströme in Ruhe zu spüren, hat der Badener Designer Willi Glaeser eine Kaltluftbank konzipiert und finanziert. «Ich habe diese Bank sehr niederschwellig designed. Sie soll wie aus dem Wald gewachsen aussehen», sagt er bei der Vorstellung des Projekts. Die Kaltluftbank mit Platz für zwei Personen sowie einem kleinen Tisch, befindet sich am Waldrand zwischen Schneise und Alterszentrum und lädt zum Verweilen ein. Tafeln geben Informationen zum Versuch. Nutzerinnen und Nutzer können dem Stadtforstamt mittels QR-Codes ihre Beobachtungen sowie ihr Befinden mitteilen.

Sponsor für Pionierprojekt gesucht

Da die Messungen voraussichtlich bis Ende dieses Jahres vorgenommen werden, liegen erste Resultate frühestens anfangs 2024 vor. «Derzeit zeigen wir ein Versuchsdesign auf», erläutert Georg von Graefe. Im kommenden Winter wird über weitere Massnahmen entschieden, wenn ersichtlich wird, ob Kaltluftkorridore zukunftsträchtig sind. Es sei auch noch nicht klar, ob bei einem positiven Effekt der Schneisen weitere geschlagen werden. Die Kosten des Versuchs – der auch als Beitrag an die Bevölkerung ausserhalb des Waldes angesehen werden kann – werden vorerst vom Stadtforstamt der Ortsbürger übernommen. Die Sensoren sind zur Verfügung gestellt worden und werden von einer Person im Umfeld der Badener Forstkommission professionell ausgewertet.

Interessant wäre es, die Temperatur der Fassaden des Alterszentrums am Waldrand vor und mit den Kaltluftkorridoren zu messen. Doch dafür fehlten die Mittel. «Wir wünschen uns für das Projekt Kaltluftkorridore, das schweizweit als Pionierprojekt fungiert, einen Sponsor», so Georg von Graefe.

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