SIA: Her­aus­for­de­run­gen der En­er­gie­wen­de

Das politische Bekenntnis zu regenerativen Energien hat erhebliche ­Konsequenzen für das System der Energieversorgung – neben Fragen des Netzumbaus widmete sich die Tagung «Strom und Gebäude» der konkreten Umsetzung dezentraler Stromerzeugung und -speicherung.

Publikationsdatum
07-08-2014
Revision
05-11-2015
Luca Pirovino
Dipl. Kultur-Ing. ETH/SIA, MAS Energie-Ing., Verantwortlicher Themenfeld Energie und Berufsgruppe Technik (BGT)

Energiewende, so denken viele, bedeutet vor allem Energieeinsparung, mehr regenerative Energien und gut gedämmte Gebäude. In Wirklichkeit ist die Sache aber komplexer, denn sobald Gebäude durch den Einsatz von Photovoltaik, Blockheizkraftwerken und Erdwärme vom Energieverbraucher zum Energieerzeuger werden, hat das Auswirkungen auf das gesamte System der Verteilung und Speicherung von Energie. Die hier anstehenden Aufgaben, d. h. die Konsequenzen für das bestehende, unidirektional von den Kraftwerken hin zu den Verbrauchern ausgerichtete System, waren Gegenstand der Tagung «Strom und Gebäude». Experten aus Forschung und Politik, Vertreter von Gemeinden und Energieversorgern waren der Einladung von SIA und Energie Schweiz gefolgt, um sich auf den neusten Stand der Diskussion und der technischen Möglichkeiten zu bringen. 

Zwei wichtige Erkenntnisse hinterliess der von Fachvorträgen bestimmte Vormittag bei den Zuhörern: Zum einen ist eine konsequente Energiewende nach Meinung der Experten für die Schweiz machbar, denn regenerative Energie wird von Jahr zu Jahr günstiger, und ihr Anteil steigt stetig. Anton Gunzinger, der am Institut für Elektronik der ETH lehrt, erläuterte, dass seit Kurzem die Jahreskosten für strombasierte Heizsysteme unter denen von fossilen Energieträgern liegen. Ferner gab er sich überzeugt, dass die Stromversorgung der Schweiz auch im sonnenarmen Winterhalbjahr mit 100% erneuerbaren Energien bestritten werden kann, wenn man zusätzlich zu Photovoltaik und der in der Schweiz mit guten Anteilen vertretenen Wasserkraft auch die Windenergie stärker nutzt. Das Schreckgespenst von Versorgungslücken oder horrend teurer Energie, daran liessen weder Gunzinger noch der ebenfalls als Redner vertretene alt Nationalrat Rudolf Rechsteiner Zweifel zu, sei von der Realität längst widerlegt. 

Bedeutung leistungsfähiger Speichertechnologien

Die zweite Kernbotschaft des Tages: Auf dem Weg zu einem dezentralen, auf regenerative Quellen gestützten Energiesystem liegt noch manche Herausforderung, er ist aber gangbar. Konkret geht es etwa um Wege, wie die Überschüsse der durch Wasserkraft oder Photovoltaik erzeugten Energie durch moderne Speichertechnik für ertragsschwache Jahreszeiten nutzbar gemacht werden können. Doch nicht nur zwischen Sommer- und Winterhalbjahr muss ein Ausgleich hergestellt werden, sondern oft auch innerhalb eines Tages und eines Netzbereichs: Manuel Iseli, Projektleiter im Bereich Netzplanung der Liechtensteinischen Kraftwerke, schilderte, wie sein Unternehmen vom blossen Versorger immer mehr zum Netzmanager wird: Wenn an sonnigen Sommertagen die Stromeinspeisung aus den zahlreichen privaten PV-Anlagen in die Höhe schnellt, drosselt man die eigene Erzeugung. Zieht dagegen eine Gewitterfront über das Land, fährt der Kraftwerksbetrieb die Leistung der Turbinen hoch, um die abrupt ausbleibende Einspeisung von Sonnenstrom aufzufangen und so eine gleichbleibende Spannungsqualität zu gewährleisten. 

Und welchen Teil der Herausforderungen hat die Politik zu schultern? SP-Nationalrat Erich Nussbaumer aus dem Kanton Baselland vertrat die Meinung, dass für jedwede Investition in erneuerbare Energien ein verlässlicher Investitionsrahmen bestehen muss, wie dies für dezentral erzeugten Strom mit der Einspeisevergütung (KEV) jetzt schon der Fall ist. Nach der Mittagspause zeigten Fallbeispiele, was heute schon machbar ist: Ein Best-Practice-Beispiel par excellence ist zweifellos das vom Architekturbüro Setz geplante Plusenergiehaus in Rupperswil AG: ein kleines Kraftwerk, das dank einer effizienten Gebäudehülle und innovativer Haustechnik mehr Energie produziert, als für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom der drei Wohnungen benötigt wird, sodass es obendrein den Strom für elektrobetriebene Fahrzeuge liefern kann. 

Jürg Bichsel, Leiter des Instituts Energie am Bau an der FH Nordwestschweiz, sah sich in der anschliessenden Podiumsdiskussion allerdings mit dem Einwand konfrontiert, dass bei einem solchen Pilotgebäude Idealbedingungen herrschten, sich das Baugeschehen in der Schweiz heute jedoch zu fast 80% im Bestand abspiele, wo ein Ausschöpfen aller Möglichkeiten nur selten denkbar ist. Die Antwort, wie die Energiewende in den bestehenden Strukturen umgesetzt werden kann, lieferte auf eindrucksvolle Weise Energieberater Dionys Hallenbarter, der für den Verein Energieregion Goms sprach: Im ländlichen Bezirk Goms im Oberwallis haben sich im Jahr 2008 eine Reihe kleiner Gemeinden mit dem Ziel zusammengetan, den vor Ort benötigten Strom auch vor Ort zu produzieren. Dass sie dabei auf unterschiedlichste Quellen setzen, war vielleicht die wichtigste Erkenntnis von Hallenbarters ermutigendem Vortrag: Es gibt nicht die eine Lösung, sondern viele Energiequellen, die sich variabel kombinieren lassen. Die Energie für die Gommer Gemeinden wird heute mit Holzschnitzelanlagen, Kleinwasserkraftwerken, Windkraft, thermischen Solaranlagen und Photovoltaik erzeugt. Jedoch sieht man in den historischen Ortskernen aus Respekt vor den denkmalgeschützten Altbauten keine PV-Module, wie Hallenbarter unterstrich. Auf der Suche nach alternativen Trägern brachte man die Module beispielsweise an Lawinenverbauungen an, wo sie zudem noch optimaler der Sonne ausgesetzt sind. 

SIA-Vizepräsident und Energieexperte Adrian Altenburger war zufrieden mit den Anstössen des Tages: «Als SIA-Fachrat Energie war es uns wichtig, für das Thema zu sensibilisieren, es breit auszuleuchten und in den gegenseitigen Austausch zu führen.» Diesen Anspruch löste die sogenannte «interaktive Sequenz» am Ende des Tages ein – auf zehn Minuten begrenzte, von den jeweiligen Experten geleitete Gespräche an den Stehtischen des Foyers, die Rückfragen und Diskussionen in kleinen Gruppen ermöglichten. 

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