SIA 430: vom Recycling zur nachhaltigen Verwendung von Baumaterialien
Mit der Empfehlung SIA 430:1993 Entsorgung von Bauabfällen erkannte der SIA früh, dass Baumaterialien im Baustoffkreislauf bleiben sollen. Dieser damalige Ansatz wird mit der neuen Norm SIA 430:2023 Vermeidung und Entsorgung von Bauabfällen konsequent weitergeführt.
Als 1993 der SIA die Empfehlung SIA 430 publizierte, war die Technische Verordnung über Abfälle (TVA 90) erst seit gut zwei Jahren in Kraft. Sie war die erste Abfallverordnung der Schweiz. Die TVA 90 regelte die Entsorgung von Abfällen in Deponien und enthielt erste Ansätze zur Verwertung von Abfällen, ohne jedoch ins Detail zu gehen. Damit stellte sie einen ersten Schritt der Abfallbewirtschaftung dar, aber vorwiegend in einer linearen Sicht.
Mit der am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Verordnung über die Vermeidung und die Entsorgung von Abfällen (Abfallverordnung, VVEA), die die TVA ablöste, wurde ein konsequenter Schritt in Richtung Ressourcenschonung gemacht. Des Weiteren wurden in der neuen Abfallverordnung die Empfehlungen der SIA 430 weitgehend übernommen.
Aufgrund der neu in Kraft getretenen Abfallverordnung befasste sich die Kommission mit der Revision der SIA 430. Sie stelle sich zunächst die Frage, ob die Empfehlung SIA 430 nicht einfach ausser Kraft gesetzt werden sollte, da die Vorgaben der Empfehlung in die Verordnung aufgenommen wurden. Schnell wurde jedoch klar, dass auch die VVEA nur ein Schritt auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft bei den Baumaterialien ist. Deshalb stellte sich die Kommission der Herausforderung, den Planungs- und Bauprozess aus Sicht der Kreislaufführung der Baumaterialien zu beschreiben und entsprechende Handlungsmöglichkeiten zu formulieren.
Diese ermöglichen es der Bauherrschaft und den beauftragten Planenden den entsprechenden Ausführenden klare Vorgaben zur Wiederverwendung von Bauteilen – also zur Abfallvermeidung – und zur Verwertung der anfallenden Abfälle zu machen. Einzelne Kantone nutzen bereits heute den Spielraum, den ihnen die Abfallverordnung im Vollzug gewährt, um weitergehende Vorgaben zur Verwertung von Abfällen zu machen.
Der beste Abfall ist derjenige, der nicht entsteht
Soll die Nutzung von Baumaterialien nachhaltig sein, muss der Aspekt der Abfallvermeidung bereits in der ersten Planungsphase einbezogen werden – ein zentraler Schritt im nachhaltigen Umgang mit Baustoffen. Dies geschieht in erster Linie durch die Wiederverwendung von Bauteilen. An zweiter Stelle steht die Verwertung von Baustoffen aus dem Recyclingprozess. Damit der vorgängig beschriebene Prozess effektiv umgesetzt werden kann, muss die Abfallthematik konsequent in alle Planungsschritte integriert werden.
Die neue Norm SIA 430 beschreibt, welche Massnahmen in den jeweiligen SIA-Phasen notwendig sind, um einen nachhaltigen Umgang mit den Baustoffen zu gewährleisten. Der beste Abfall ist derjenige, der gar nicht erst entsteht. Aus diesem Grund wird die Wiederverwendung von Bauteilen in der neuen Norm angemessen berücksichtigt. Darüber hinaus ist die Formulierung von Verwertungszielen für anfallendes Rückbau- und Aushubmaterial im Entsorgungskonzept des Bauprojektes wichtig.
Ohne Planung bleibt Abfallvermeidung dem Zufall überlassen
Für eine erfolgreiche Kreislaufführung von Baumaterialien ist eine konsequente und durchgängige Planung von grosser Bedeutung. Ohne Planung bleiben Abfallvermeidung und Kreislaufführung der Rohstoffe dem Zufall überlassen. Die Aufgabe der Projektplanenden ist es, für eine optimale Abfallvermeidung zu sorgen und die Kreislaufführung der unvermeidbaren Abfälle von den Unternehmern einzufordern und zu kontrollieren. Damit die Unternehmen ihre Leistungen kalkulieren können, sind sowohl Angaben zur Wiederverwendung von Bauteilen als auch ein dem Projektumfang entsprechendes Entsorgungskonzept mit klaren Vorgaben zu Verwertungszielen erforderlich.
Die Verantwortung der Bauherrschaft
Grundsätzlich ist die Bauherrschaft als Verursacherin der Bautätigkeit für die ordnungsgemässe Entsorgung der anfallenden Abfälle verantwortlich. Während der Ausführung der Arbeiten haben die Unternehmen die Verfügungsgewalt über die Abfälle und sind somit für den Umgang mit ihnen verantwortlich. Es liegt jedoch in der Verantwortung der Bauherrschaft, respektive deren Vertreter, durch Entsorgungsnachweise sicherzustellen, dass die Abfälle ordnungsgemäss entsorgt wurden. Stellt die Bauherrschaft erhöhte Anforderungen an die Wiederverwendung von Bauteilen und an die Rückführung von Rückbaumaterialien, so sind gemäss der Norm SIA 430 entsprechende Vorgaben konkret zu formulieren und anschliessend zu kontrollieren.
Die Vorgaben können mit Verwertungsquoten im Entsorgungskonzept festgelegt und mit Entsorgungsnachweisen überprüft werden. Die Norm SIA 430 macht keine Vorgabe zu den zu erreichenden Verwertungsquoten, sie empfiehlt aber diese projektbezogen zu definieren. In einigen Kantonen bestehen bereits entsprechende Vorschriften. Diese sind selbstverständlich anzuwenden.
Aus den Augen, aus dem Sinn?
Im Umgang mit Abfall ist oft die Einstellung «Aus den Augen, aus dem Sinn.» anzutreffen. Man interessiert sich für das Neue, nicht für das Alte. Da das Alte aber andernorts im Sinn der Kreislaufführung immer mehr zum Neuen wird, sollte es uns mehr interessieren. Die Schweiz ist reich an mineralischen Rohstoffen. Nicht nur bieten uns die Berge und der Untergrund eine grosse Vielfalt an mineralischen Baustoffen in grossen Mengen. Die hohe Qualität dieser Rohstoffe erlaubt es auch, hochwertige Hoch- und Tiefbauten zu realisieren.
Diese natürlichen Voraussetzungen in Verbindung mit der grossen Ingenieurtradition der Schweiz haben zu einer hochwertigen Infrastruktur und Bauqualität geführt. Der Zugang zu diesen hervorragenden Rohstoffen und das Ablagern von Rückbaumaterialien auf Deponien werden aufgrund der steigenden Nutzungs- und Schutzansprüche an Boden und Landschaft zunehmend komplexer.
Um das Bauwerk Schweiz auch in Zukunft mit hochwertigen Baumaterialien für seinen Unterhalt und seinen Ausbau zu versorgen, sind ganzheitliche Ansätze gefragt, die die Themen Abfallvermeidung und Kreislaufführung von Baumaterialien gemäss den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft berücksichtigen.
Die ineinandergreifenden Kreise der Darstellung der Kreislaufwirtschaft des Bundesamts für Umwelt BAFU (s. Bildergalerie) bilden eine Hierarchie der Massnahmen im Umgang mit Abfällen. Je kleiner der Kreisdurchmesser, desto effizienter werden die Rohstoffe genutzt. Handlungen, die einen grösseren Durchmesser aufweisen, verursachen grössere Emissionen. Das Wiederaufbereiten ist dem Recycling hinsichtlich der Abfallvermeidung leicht überlegen, da die Abfälle direkt in neue Produkte umgewandelt werden. Dabei wird weniger Energie benötigt als beim klassischen Recycling – als Beispiel wäre die komplette Demontage einer Badewanne inklusive sämtlicher Armaturen (Wasserhahn, Abfluss) mit nachfolgender wieder Zusammensetzung der Badewanne und Armaturen unter Ersatz der beschädigten oder abgenutzten Teile. Dieser Vorgang unterscheidet sich von der reinen Reparatur dadurch, dass der Gegenstand komplett demontiert und wiederhergestellt wird. Dabei kann dem Käufer wieder eine Garantie gewährt werden.
Die Bauwirtschaft hat hier bereits viel geleistet. Zusammen mit den Planenden und weitsichtigen Bauherrschaften soll das Potenzial mit der Norm SIA 430 weiter ausgeschöpft und umgesetzt werden.