Nachhaltigkeit und Qualität in der Vergabe von Planeraufträgen
Die Vernehmlassung der revidierten SIA 144 «Ordnung für Ingenieur- und Architekturleistungsofferten» ist beendet. Was bedeutet die Ordnung für die Planungsbranche, und wie ist sie in Bezug auf das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen einzuordnen?
Der SIA nimmt den Ball des neuen Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) auf und erarbeitet Regeln für eine auf Qualität und Nachhaltigkeit ausgerichtete Beschaffung von Planerleistungen. Die revidierte SIA 144 Ordnung für Ingenieur- und Architekturleistungsofferten unterstützt die Durchführung von fairen und verlässlichen Vergabeverfahren, trägt als Regelwerk für Prozessabläufe dazu bei, Fehler zu vermeiden, und schafft so Rechtssicherheit. Ein Verfahren nach SIA 144 sorgt dafür, dass das zu beauftragende Planerteam eine Leistung in der vom Auftraggeber geforderten Qualität erbringen kann.
Ein weiteres Ziel der Revision ist, der ausschreibenden Stelle die notwendige Flexibilität zu bieten, das Verfahren auf die projektspezifischen Bedürfnisse abzustimmen. Die Kommission SIA 144 hat im Juni 2020 ihren Revisionsentwurf nach mehr als zwei Jahren intensiver Arbeit der Öffentlichkeit vorgestellt. Fachverbände, Bundesämter, Interessengruppen und weitere Interessierte hatten Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen und während einer Frist von 70 Tagen Lob, Kritik und Alternativvorschläge zu äussern.
Eine neue Vergabekultur
Mit der Revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen treten nebst wirtschaftlichen verstärkt ökologische und soziale Standards in den Fokus des Beschaffungswesens. Eine neue Vergabekultur, bei der es vermehrt um Qualität geht, soll mit dem Inkrafttreten des revidierten BöB ab dem 1. Januar 2021 Realität werden. Ziele, die auch der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA verfolgt: die Stärkung von Qualität, Innovation und Nachhaltigkeit. Diese neue Vergabekultur betrifft Planende und Auftraggebende gleichermassen. Beschaffungen sollen fortan vorteilhaft und nicht nur günstig sein.
Ziel ist, die Auftragsvergabe neu auf das vorteilhafteste Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis auszurichten, statt auf das wirtschaftlichste Angebot, das oft vereinfacht mit dem günstigsten Preis gleichgesetzt wird. Die Qualität der angebotenen Leistung rückt damit in den Vordergrund. Mit der Revision der Ordnung SIA 144 wird die neue Vergabekultur mit ihren anspruchsvollen Standards für leistungsorientierte Beschaffungen konkret ausgestaltet.
Qualität steht im Zentrum
Künftig muss sich ein Beschaffungsverfahren an den neuen Anforderungen messen lassen. Die revidierte SIA 144 berücksichtigt diese, indem sie bei der Ausgestaltung des Beschaffungsverfahrens sicherstellt, dass die Qualität der Leistung eines Anbieters im Zentrum steht. Eignungskriterien – unter anderem Angaben zu Schlüsselpersonen, zur Leistungsfähigkeit des Teams sowie Referenzen – dienen dazu, die grundsätzliche Eignung des Anbieters in Hinblick auf die zu beschaffende Leistung zu prüfen. Die Zuschlagskriterien sollen aufgabenbezogen festgelegt werden. Sie können, abgestimmt auf die projektbezogenen Problemstellungen, Faktoren wie beispielsweise die Bauablaufoptimierung, eine Arbeitsprobe, Ressourcenschonung, Umweltaspekte, den Gesamtenergiebedarf oder die Lebenszykluskosten ins Zentrum stellen oder eine zweckmässige Projektorganisation beleuchten.
Der Anbieter erläutert diese Angaben anhand seines «Zugangs zur Aufgabe» beziehungsweise in seiner «Auftragsanalyse». Im Rahmen der erwähnten Arbeitsprobe kann die Auseinandersetzung mit einem Teilaspekt der anstehenden Aufgabe eingefordert werden, damit das Auswahlgremium die Haltung des Anbieters ablesen kann. Entsprechend dem Verfahren «Leistungsofferte» umfasst das Angebot des Anbieters immer auch ein Preisangebot.
Für die Beurteilung und Bewertung der Angebote ist gemäss der Ordnung ein Auswahlgremium, zusammengesetzt aus kompetenten und integren Fachleuten, einzusetzen. Dieses Gremium begleitet den ganzen Beschaffungsprozess und bringt sich insbesondere bereits bei der Festlegung der Eignungs- und Zuschlagskriterien inklusive der Gewichtung dieser bei der Bewertung ein. Die revidierte Ordnung SIA 144 schlägt für die Bewertung der qualitätsbezogenen Zuschlagskriterien eine Notenskala von 0 bis 5 vor, wobei die Note 2 als «normale Erfüllung der Anforderungen» definiert ist. Diese Skala bedeutet eine wesentliche Änderung gegenüber den heute häufig angewendeten Notenskalen und ermöglicht eine differenziertere Bewertung der Qualitätskriterien. Damit diese das beabsichtigte Gewicht bei der Ermittlung des vorteilhaftesten Angebots erhalten, wird für das Preiskriterium ein Gewicht von 20 bis 30 % als angemessen betrachtet.
Die revidierte SIA 144 bietet somit der Beschaffungsstelle einerseits Freiheiten bei der Festlegung der Verfahrensdetails. Angesichts der Vielfalt der mit Leistungsofferten abzudeckenden Aufgabenstellung ist dies eine wichtige Voraussetzung für eine breite Anwendung des Verfahrens nach SIA 144. Die Ordnung erinnert die Beschaffungsstelle andererseits an deren Verantwortung für ein sorgfältiges und faires Verfahren.
Ein flexibles Werkzeug für Beschaffungsstellen
Transparente, wertschätzende und auf die Aufgabenstellung abgestimmte Verfahrensbedingungen fördern unbestrittenermassen den wirksamen und fairen Wettbewerb. Die öffentliche Hand beschafft einen Grossteil der intellektuellen Dienstleistungen mit dem Verfahren Leistungsofferte. Beschaffungen mit Wettbewerbs- beziehungsweise Studienauftragsverfahren machen weniger als 10 % des Auftragsvolumens der Planerbranche aus. Darum ist es dem SIA ein grosses Anliegen, das Verfahren Leistungsofferte in der Umsetzung unter Berücksichtigung der projektspezifischen Anforderungen transparent in der Ordnung SIA 144 abzubilden.
Die revidierte Ordnung gibt den öffentlichen Beschaffungsstellen ein Werkzeug in die Hand, das unter Wahrung der für die breite Palette der Aufgabenstellung notwendigen Flexibilität die Umsetzung der beschaffungsrechtlichen Ziele unterstützt. Der SIA will damit speziell auch kleinen und mittleren Gemeinden eine Unterstützung bieten. Die revidierte SIA 144 unterstützt zudem die Planerteams, weil der Aufwand angemessen gehalten werden soll und ein Auswahlgremium – abgestützt auf ein differenziertes und aufgabenbezogenes Beurteilungs- und Benotungssystem – eine transparente Entscheidung zur Auftragserteilung trifft und so dazu beiträgt, die Qualität eines Angebots sichtbar zu machen.
Die Kommission SIA 144 dankt für die zahlreichen Stellungnahmen, die trotz Sommer- und Coronazeit erarbeitet und eingereicht worden sind. Sie wird die Rückmeldungen sorgfältig prüfen und den Entwurf aufgrund der Vorschläge weiterentwickeln.
Zum Revisionsprozess selbst steht unter folgendem Link eine Grafik zur Verfügung: www.sia.ch/de/dienstleistungen Sie veranschaulicht, welche Etappen die Revision der Ordnung SIA 144 noch zu durchlaufen hat. Ordnungen des SIA werden immer durch deren übergeordnetes Gremium – die Zentralkommission für Ordnungen (ZO) – koordiniert und genehmigt. Das wird voraussichtlich im Januar 2021 der Fall sein, die Freigabe zur Publikation durch die Delegiertenversammlung des SIA ist im April 2021 vorgesehen.
Am 1. Januar 2021 tritt das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) in Kraft. Die Kantone verabschiedeten zur Harmonisierung eine interkantonale Vereinbarung (IVöB 2019). Der Qualitätswettbewerb wird mit der neuen Vergabekultur deutlich gestärkt. Bauenschweiz hat hierzu die Website www.neue-vergabekultur.ch lanciert. Auf dieser finden sich ein Argumentarium, Hinweise zu Seminaren sowie Links zu Videos und Newsbeiträgen.