Pra­d­a­xo­ma

Mode und Architektur

Für Marken im Luxussegment erweist sich die Zusammenarbeit mit ganz unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern als ein effektiver Weg, sich neu zu erfinden. So spannte das italienische Modehaus Prada mit dem Architekten Rem Koolhaas zusammen, um neue Akzente im Konsumerlebnis zu setzen und damit aus den etablierten Normen auszuscheren.

Für sein Forschungsprojekt «Project on the City II» an der Harvard University wählte Rem Koolhaas 2001 einen kategorischen Ansatz: Das Shopping diversifiziert sich und erobert schlagartig die urbane Bühne und das Internet1.Für die Entwicklung seiner «Epizentren»beauftragte Prada Koolhaas, für die Marke eine völlig neue Identität zu kreieren, um sich von der Konkurrenz und dem üblichen Shopping abzuheben.Die Publikation «Projects for Prada: Part 1» zeichnet die Anfänge dieser Zusammenarbeit nach. Darin statuiert Rem Koolhaas fünf Maximen, die für ihn den modernen Luxus definieren: Aufmerksamkeit, Brutalität, Intelligenz, Verschwendung und Stabilität3.Diese fünf Grundsätze bilden gewissermassen das Pflichtenheft der «Epizentren».

Aufmerksamkeit

In einer Welt, die sich immer weiter beschleunigt undden Menschen ständig mit neuen Informationen bombardiert, wird den Kunden ein Raumpräsentiert, in dem sie die Vorzüge der Einfachheit wiederfindenkönnen und gleichzeitig eine selektive und hochwertige Auswahl geboten bekommen. Laut Rem Koolhaas soll Luxus inmitten dieser hyperaktiven Welt eine Pause ermöglichen und Ruheinseln schaffen, auf denen man seine Aufmerksamkeit schärfen kann. Räumlichkeiten und Programm von Pradas «Epizentren» sind inspiriert von Museen: Dass Ausstellungsräume eine solche Anziehungskraft besitzen, erklärt sich Koolhaas damit, dass sie den Besuchenden keine Entscheidungen abverlangen und somit keinerlei Druck auf sie ausüben. Nach Auffassung des Architekten haben sich Luxusmarken gleichfalls zu kulturellen Institutionen entwickelt, die das Publikum besuchen kann, um sich weiterzubilden und Energie zu tanken.

Brutalität

Das Prinzip der Brutalität stellt sich zwangsläufig gegen die in der Gesellschaft vorherrschende Wahrnehmung des Luxus und bewegt sich so ausserhalb der etablierten Normen. In den Gebäuden der Marke Prada kommen beispielsweise neben Marmor auch Gipsplatten zum Einsatz.Die Brutalität dieser vermeintlich unpassenden Kombination von gegensätzlich wirkenden Materialien hinterfragt die Wahrnehmung des ganzen Gebäudes.

Intelligenz

Die dritte Definitionsmaxime des modernen Luxus – die Intelligenz – verfolgt die Absicht, sich vom Gewöhnlichen abzuheben.Nicht nur die Produkte von Prada müssen fortwährend innovativ sein – indem beispielsweise Textilien zum Einsatz gelangen, die für Luxusbekleidung neuartig sind, wie etwa Nylon. Auch im Verkaufsraum und auf den entsprechenden Werbeflächen sollen die neuesten Technologien zum Einsatz kommen.Die Wertvorstellungen der Käufer haben sich verändert, ein Markenlabel an der Kleidung allein genügt nicht mehr.Rem Koolhaas bezieht sich damit auf dengesamten Bereich der in die «Epizentren» integrierten Informationstechnologie.Durch die Interaktion zwischen reeller und virtueller Welt verstärken diese elektronischen Neuerungen die Wirkungskraft der Markenprodukte.

Verschwendung

Durch die immensen Kosten, die der Luxus generiert, ist der Begriff der Verschwendung eng mit ihm verknüpft.Rem Koolhaas rückt die Raumverschwendung in den Vordergrund: Wer verschwenderisch mit dem Raum umgeht, stellt seine finanziellen Mittel zur Schau.Dies ist also keine Definition im wörtlichen Sinn, denn es handelt sich nicht um eine Vergeudung, sondern um eine Machtdemonstration. Der Architekt schafft Raum für die geistige Projektion der Kunden, die sich so ihre eigene Vorstellung von der Identität der Marke machen können.

Stabilität3

Die fünfte Maxime bezieht sich auf das Prinzip der Stabilität, die in den ikonenhaften Produkten und der Herkunft der Marke zum Ausdruck kommt. Das Paradox dabei: Dank ihren reichen Wurzeln lässt sich die Marke durch Innovationen weiterentwickeln, indem sie ihre DNA anpasst, ohne dabei an Attraktivität zu verlieren.Luxus ist oftmals eng mit den Wurzeln und dem Gründerkult verbunden. Die richtige Balance zwischen Herkunft und Innovation erlaubt es, die treue Kundschaft zu erhalten und spontane Neukunden dazuzugewinnen.Rem Koolhaas übersetzt diese Definition von Luxus in Raum, indem er Konzepte der ursprünglichen Mailänder Prada-Boutique4aufgreift und aktualisiert.

Die Absicht von Prada und Rem Koolhaas, diese den Luxus definierenden Prinzipien umzusetzen, ist eine gewagte Strategie, denn dieser Markt ist untrennbar verknüpftmit den sozialen Problemen, die uns umgeben und sich mit uns entwickeln.So hat sich zum Beispiel in unserem Konsumverhalten zunehmend eine Tendenz zur ökologischen und ethischen Verantwortung verankert und die Luxusmarken dazu bewogen, sich anzupassen.Leider hat diese Bewegung auch dazu geführt, dass verantwortungsvoller Konsum als Marketingstrategie benutzt und missbraucht wurde.Wenn ein Produkt des Überkonsums5als «ökologisch» betitelt wird, so verdeutlicht das die Wandlungsfähigkeit des Konsums.Rem Koolhaas ist sich durchaus bewusst, dass der Luxus nicht stillsteht und dass seine einfache Definition davon verschiedene Auslegungen gestattet.Und genau das Vertrauen, dass seine Begriffe in der vergänglichen Welt der Mode überleben können, macht seine Interpretation so beständig.

Anmerkungen

1 Chung, Chuihua Judy, Jeffrey Inaba, Rem Koolhaas, Sze Tsung Leong, and Tae-wook Cha. Harvard Design School Guide to Shopping. Köln: Taschen, 2001, p. 129

Ortalli, Giacomo. Die Epi­cen­ter von OMA und Her­zog & de Meu­ron. Espazium, 2019.

3 Koolhaas, Rem. Projects for Prada Part 1. New York, N.Y.: Fondazione Prada, 2001.

4 Tranfa, Federico. Der Prada-Code. Espazium, 2019.

5 Bonvin, Stéphane.Gilles Lipovetsky et le luxe émotionnel. Le Temps, 2009.

Benjamin Bonnard und Pascal Rodrigues haben Architektur an der EPF Lausanne studiert. Im Jahr 2018 untersuchten sie die Zusammenarbeit zwischen Prada und Rem Koolhaas. Das Projekt wurde begleitet von Professor Dieter Dietz. archivesma.epfl.ch

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