Mehr­wert in­ter­dis­zi­pli­nä­rer Pla­nung

Gebäudetechnik Kongress 2017 in Luzern

Forscher und Praktiker näher zusammenzubringen und die Umsetzung der Energiestrategie 2050 qualifiziert voranzutreiben – das waren ­wesentliche Ziele des Gebäudetechnik Kongresses 2017. Resümee und ­Ausblick im Gespräch mit Co-Initiator Adrian Altenburger.

Publikationsdatum
19-10-2017
Revision
19-10-2017

SIA: Was war aus SIA-Sicht das Hauptmotiv, den Kongress auf die Beine zu stellen?
Adrian Altenburger: Es gab mehrere gute Gründe: Zum einen ist es uns seit Langem ein An­liegen, in der Gebäudetechnikbranche die Forscher und die Praktiker näher zusammenzubringen; zum anderen ist es nach dem positiven Votum der Schweiz zur Energiestrategie 2050 wichtig, deren Umsetzung auch mit qualifizierten Foren voranzubringen. Zu guter Letzt verstehe ich die Gebäudetechnik als systemische Disziplin, die nur im interdisziplinären Kontext echte Mehrwerte generieren kann. Deshalb war es uns auch wichtig, die beiden Welten «Heizung/Lüftung/Klima/Sanitär» und «Elektro/Gebäudeautomation» zusammenzuführen.

SIA: Du warst massgeblich an der Organisation beteiligt. Gab es dennoch Beiträge, die für dich besonders spannend und neu waren?
Adrian Altenburger: Inhaltlich haben die Beiträge sich nicht nur gut ergänzt, sondern durchaus Stoff für kontroverse Debatten in den Podiumsdiskussionen geboten. Wenn ich dennoch einen Beitrag heraus­greifen soll, wäre das derjenige von Prof. Werner Sobek. Er hat uns sehr anschaulich aufgezeigt, dass es zum nachhaltigen Bauen eigentlich nur wenige, dafür aber umso konsequenter umgesetzte Zielsetzungen braucht. Insofern sollten wir den Grad an Regulation tief halten und uns wie bisher auf die Kom­petenz und Eigenverantwortung unserer Branche ­berufen, aber beides auch ­nachhaltig einfordern.

SIA: Es scheint, eine ausgereifte Gebäudetechnik ist heute entscheidend für den Wert einer Immobilie?
Adrian Altenburger: Der Wert einer Immobilie definiert sich in der Tat nicht nur über die Lage und die Architektur. Die Gebäudetechnik ist weniger sichtbar, jedoch der «innere Wert» einer Liegenschaft. Einfache und gleichzeitig effi­ziente Technik bedingt gutes Engineering, qualifiziertes Handwerk und eine professio­nelle Betriebsführung. Gerade Letzteres ist aus meiner Sicht zum Teil sträflich vernachlässigt worden. Deshalb war das diesjährige Leitthema auch der «Performance Gap», also die oft anzutreffende Differenz ­zwischen Planungs- und realen Energieverbrauchswerten.

SIA: Lange Zeit war Energieeffizienz vor allem eine Frage von Dämmung und Einsparung. Betriebs­optimierung und moderne Gebäudetechnik relativieren diese Faktoren heute stark. Macht Steuerungstechnik die Dämmung überflüssig?
Adrian Altenburger: Solange wir hierzulande klima­tische Ver­hältnisse mit Aus­sen­tempera­turen zwischen üblicherweise – 10 ° C und + 32 ° C haben, bleibt die Dämmung ein wich­ti­ges Element. Aber nicht das ein­zige. Wichtiger als die reine Energiefrage (kWh) ist für mich die Substitution fossiler Energieträger und deren CO2-Emissionen durch erneuerbare Energien und effiziente Technologien. Klug ein­gesetzte Wärmepumpen, Eigen­strom­erzeugung und Freecooling-­Lösungen (Verzicht auf mechan. Kältemaschinen; Anm. d. Red.), gepaart mit der Speicherung thermischer und elektrischer Energie, schaffen die besten Synergien. Letztlich gilt es, das Gesamt­system Gebäude zu optimieren. Dabei geht es neben ökologischen auch um ökono­mische und gesellschaftliche Kri­terien. Gute Steuerungstechnik hilft zusätzlich, die wechselnden Bedürfnisse und ­Be­dingungen dynamisch zu adaptieren, kann aber die oben genannten Grundvoraussetzungen keineswegs ganz ersetzen.

SIA: Werden hierzulande genug neue Fachkräfte ausgebildet?
Adrian Altenburger: Dass es mehr Arbeitsangebote als Gebäudetechnikingenieure/innen gibt, ist nicht allein auf die gute Konjunkturlage im Hochbau zurückzuführen, sondern zum grossen Teil hausgemacht: Noch immer besteht in der Branche zu wenig Bereitschaft, selbst in junge Talente zu investieren. Anstatt talentierten Lernenden die begleitende Berufsmaturität (BM) zu ermög­lichen, setzt man sie oft lieber als kostengünstige Produktionskraft im Büro oder auf der Baustelle ein. Hier wird schon die erste Chance verpasst. Im Hochschulbereich gibt es zwar vermehrt Studienangebote, die eine thematische Nähe zur Gebäudetechnik haben, aber trotzdem keine qualifizierten Planer generieren. Entsprechend frustriert sind die jungen Leute, wenn sie nach ihrem Bachelor­abschluss keine Anstellung finden. Ich wünsche mir deshalb, dass die Unternehmer langfris­tiger denken und die Hoch­schulen ihre Bildungsangebote untereinander gesamtheitlicher koordinieren und nicht in erster Linie ein Bildungsbusiness betreiben.

SIA: Stichwort Low Tech – No Tech: Aus Sicht vieler Architekten sind heutige Gebäude gar keine Häuser mehr, sondern mit Technik hochgerüstete Anlagen. Viele betrachten das mit Skepsis und wollen zurück zu weniger Technologie – lässt
sich dieser Wunsch mit moderner Gebäudetechnik in Einklang bringen?

Adrian Altenburger: Der Anspruch nach weniger Technik ist nicht nur berechtigt, sondern für eine/n gute/n Inge­nieur/in eine Selbstverständ­lichkeit. Elegante Lösungen zu generieren bedingt aber die Bereitschaft zu Inter-disziplina­rität und oft einen grösseren Aufwand als «08/15-Beiträge» anzuhäufen, die dann im Betrieb weder verstanden noch ent­sprechend effizient geführt werden. Es gilt Synergien zwischen Architektur, Tragstruktur und Gebäudetechnik zu ent­wickeln und das Credo «So viel Technik wie nötig und so wenig wie möglich» auch mit Leben zu füllen. Letzteres bietet interessante Möglichkeiten, die über die drei genannten Hauptdis­­ziplinen hinausgehen und auch den Eigentümer und Nutzer stark mit einbeziehen. Suffizienz ist hier das Stichwort. Die immer mehr algorithmenbasierten digitalen Applikationen bieten heute die Möglichkeit, mit wenig Aufwand viel mehr Variationen zu diskutieren.

SIA: Welche Weichenstellungen erwartest du von der Politik?
Adrian Altenburger: Die ersten Weichen sind bereits gestellt – und mit der Energiestrategie 2050 und den MuKEn 2014 breit akzeptiert. Wichtig scheint mir insbesondere die verstärkte Aufmerksamkeit in der Leistungsphase 6 «Betrieb». Hier hat der SIA mit den Merkblättern «Integrale Tests» und «Energetische Betriebsoptimierung» schon 2015 die normativen Grundlagen geschaffen. Es liegt nun an den Kantonen, diese Qualität mit dem leider bislang nur freiwilligen Modul «Betriebsoptimierung» einzu­fordern. Zudem erwarte ich von der Politik auch, dass sie neue Technologien und Methoden in dem Sinn fördert, dass sie Innovationen zulässt, Jungunter­nehmertum fördert und daneben nicht allzu viel vorschreibt. Also kein BIM per Vorschrift, sondern vielmehr die Unterstützung von Bottom-up-Ansätzen wie die bald publizierte und paritätisch von Fachleuten entwickelte norma­tive Grundlage des SIA-Merkblatts BIM – Building Informa­tion Modelling.

SIA: Die Planung für den Gebäudetechnik Kongress 2018 läuft bereits. Soll der Kongress ein dauerhaftes Format werden?
Adrian Altenburger: Ja, wir wollen den Gebäudetechnik Kongress im Kalender als jährlichen Anlass etablieren. Aus meiner Sicht ist es wünschenswert, weniger, dafür aber gute Tagungen anzubieten, um die wertvolle Zeit der Interessenten nicht zu sehr zu strapazieren. Für kommendes Jahr planen wir den Kongress daher voraussichtlich als zweitägige Veranstaltung. Das Datum, der 3./4. Oktober 2018, ist auch schon fixiert. Wie heisst es so schön: «Nach dem Kongress ist vor dem Kongress.»

SIA: Vielen Dank für das Gespräch!

 

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