«Le­mons» im Ver­ga­be­we­sen

Ordnungen praktisch

Wenn Käufer die Qualität eines Produkts nicht erkennen können, ­benachteiligt das die Anbieter von guten Produkten. Was bedeutet das für die Vergabe von Architektur- und ­Fachplanerleistungen?

Publikationsdatum
21-12-2017
Revision
21-12-2017

Im Gebrauchtwagenhandel gibt es gute und schlechte Fahrzeuge – die schlechten werden im Amerikanischen als «Lemons» bezeichnet. Der Verkäufer kennt die Qualität seiner Autos am besten und weiss, welche davon solche Lemons sind. Der Käufer kennt ihre Qualität nicht und sieht die verborgenen Mängel der Fahrzeuge nicht. Er wird deshalb nicht bereit sein, eine hohe Qualität – die er ja kaum überprüfen kann – mit einem höheren Preis zu honorieren, sondern tendiert dazu, einen Durchschnittspreis zu zahlen. In der Konsequenz werden Verkäufer von überdurchschnittlichen Produkten wirtschaftlich geschwächt.

Dieses als Lemons-Problem bezeichnete Phänomen wurde 1970 vom US-amerikanischen Ökonomen Georg A. Akerlof beschrieben und stiess zunächst auf breite Skepsis. Seine Überlegungen wurden seither aber empirisch bestätigt, und 2001 erhielt Akerlof für seine Arbeiten den Wirtschaftsnobelpreis. Was aber bedeutet das Phänomen für das Vergabewesen in der Bauplanung? Welche Parallelen lassen sich ziehen?

Umgang mit dem ­Informationsvorsprung

Für Planungsleistungen bedeutet das Lemons-Problem, dass ein Anbieter mit einem spezifischen Vorwissen – sei es aus einem gleichartigen Projekt oder einer früheren Projektphase – einen Informationsvorsprung hat und deshalb den Umfang einer anzubietenden Leistung besser abschätzen kann als sein Konkurrent, dem dieses Vorwissen fehlt. Für Vergabestellen besteht der Verfahrensgrundsatz der Gleichbehandlung. Einen Informationsvorsprung aus früheren Projektphasen versuchen sie deshalb juristisch korrekt auszugleichen – z. B. indem sie vollständige Projektdokumentationen abgeben oder kürzere Eingabefristen ansetzen.

Was sind die Folgen für den Anbieter? Bei gestalterischen Fragestellungen kann das Vorwissen einen unvoreingenommenen Lösungsvorschlag verhindern. Zudem können rein gestalterische Fragestellungen auf Plan, im Modell oder als Rendering weitgehend eingeschätzt werden. Insofern zeigt die objektive Einschätzung eines vollständig überblickbaren Sachverhalts durch eine fachkompetente Jury einen möglichen Ausweg aus dem Lemons-Problem.

Sobald jedoch die Fragestellungen nicht vollständig objektiv einschätzbar sind, sondern auch organisatorische oder technische Belange enthalten, führt das Lemons-Problem zu einer verzwickten Situation: Entweder erarbeitet der Anbieter mit seinen Vorkenntnissen ein kostenehrliches Angebot, riskiert dabei aber, dass sein Preis zu hoch ist und der Informationsvorsprung von der Vergabestelle nicht gewürdigt wird. Oder der Anbieter bietet seine Leistungen kostengünstig an und kalkuliert dank seinen Vorkenntnissen die Nachträge von vornherein ein, wodurch der Vergabeprozess ins Absurde geführt wird.

Für Vergabestellen und Anbieter ist das Lemons-Problem eine Herausforderung. Will die Vergabestelle die Anbieter gleich behandeln, muss sie einen möglichen Informationsvorsprung des Anbieters würdigen. Dies kann sie einzig über eine differenzierte und akzentuierte Beurteilung der angebotenen Qualität. Die Vergabestellen müssen bei der Beurteilung mit Fachwissen und dem Mut zu einer selektionierenden Beurteilung der angebote-­nen Qualität vorgehen. Andernfalls führt das Lemons-Problem dazu, dass tendenziell der billigste Anbieter den Zuschlag erhält, qualitativ gute Anbieter aus dem Markt gedrängt werden und die Kosten wegen Nachträgen oder ungenügender Leistungen trotzdem hoch liegen.

Die Ordnung SIA 144 erlaubt aktuell noch keine optimale Berücksichtigung der angebotenen Qualität und wird u. a. aus diesem Grund in den nächsten Jahren überarbeitet. Gerade um dem Lemon-Problem zu begegnen, soll eine stärker selektionierende Bewertung der angebotenen Qualität unterstützt werden.

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