Und trotzdem läuft sie über!
Ein Kommentar
Die jüngsten Überschwemmungen im Wallis stellen die Entscheidung des Walliser Staatsrats in Frage, das Projekt der dritten Rhonekorrektion zu überarbeiten. In einem Bericht vom März dieses Jahres war es als «unverhältnismässig» eingestuft worden. Ein Kommentar von Philippe Morel, stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift Tracés.
Am 28. Mai bestätigte der Walliser Staatsrat an einer Pressekonferenz, was Gerüchte bereits vermuten liessen: Die auf Eis gelegte dritte Rhonekorrektion (R3) wird neu beurteilt – dies aufgrund der Schlussfolgerungen eines Expertenberichts, der vom Staat Wallis in Auftrag gegeben und von einem auf Immobilienentwicklung spezialisierten Büro verfasst wurde.
Dieser Bericht stellt den Arbeiten, die während 20 Jahren von Dutzenden von Ingenieurinnen und Ingenieuren durchgeführt und von kantonalen und eidgenössischen Behörden bestätigt worden waren, eine Null-Punkte-Wertung aus. Auch das Walliser Stimmvolk hatte anlässlich des Referendums über das Finanzierungsdekret für das Projekt Rhone 3 am 14. Juni 2015 zugestimmt.
In der Presse war vor allem über den Zorn auf den Waadtländer Staatsrat und die Stellungnahmen der Grünen Wallis zu lesen. Um die Stimme einer ganzen Generation von Ingenieuren zu hören, die auf diese Weise in der Öffentlichkeit desavouiert wurde und abgesehen von einigen wenigen sehr stumm blieb, musste man schon genau hinhören.
Ende Juni war es dann leider die Rhône, die ihre Stimme erhob. Ein erstes Mal donnerte sie, ein zweites Mal brüllte sie und zeigte ihre Kraft, ohne jedoch alles zu verwüsten.
Dass das Projekt R3 - Anfang der 2000er-Jahre lanciert - Anpassungen erfordert und dass neue Themenfelder entstehen wie die Entwicklung des Bundesgesetzes über den Wasserbau, die Entdeckung von verseuchten Standorten oder die Erhaltung von Fruchtfolgeflächen, damit kann jeder einverstanden sein. Dass Politiker zwischen prioritären Projekten abwägen müssen, weil ihnen die finanziellen Ressourcen fehlen, ist verständlich.
Doch diese Anpassungen und Abwägungen sollten rational vorgenommen werden, auf der Grundlage von Schlussfolgerungen, die von der Mehrheit der beteiligten Fachleute geteilt werden, und nicht im Namen einer Ideologie oder der Verteidigung von sektoralen Interessen.
Im Zeitalter der alternativen Fakten und der Infragestellung der wissenschaftlichen Methodik ist es von grosser Bedeutung, dass Ingenieur:innen und die sie vertretenden Verbände wieder in die öffentliche Debatte eingreifen und ihre Stimme erheben. Es ist auch unsere Aufgabe als Fachpresse, ihnen diese Stimme zu geben, zu recherchieren und auf Ungereimtheiten hinzuweisen.
Diese Aufgabe ist oft undankbar, setzt Freiwillige dem Geschrei in den sozialen Netzwerken aus und kann sich auch negativ auf die Vergabe von Mandaten auswirken. Sisyphos, der seinen Fels lieber den Hang hinaufzieht, als ihn von einem reissenden Fluss wegspülen zu lassen, ist hier genau richtig.