Der Ar­che­typ aus Ba­sel

Der ehemalige Güterbahnhof von Basel wandelt sich zum lebendigen Stadtquartier. Dem inneren Zusammenhalt dient auch die gemeinsame Energieinfrastruktur.

Publikationsdatum
30-12-2022

Diversität fördert die Natur – und tut auch der gebauten Umwelt gut. Mit diesem Entwicklungsziel entstand das Neubauareal Erlenmatt Ost in Basel. Das ehemalige Frachtgelände der Deutschen Bahn ist inzwischen ein durchmischter Stadtraum, der eine vielfältige Architektur und erstaunliche Energiekonzepte bieten kann. Von 2015 bis 2020 wurden neun Gebäude – zum Wohnen, Arbeiten und für eine Schule – realisiert; der ehemalige Getreidesilo wird als schickes Youth Hostel weitergenutzt. Und gleich daneben hat ein geräumiger grüner Stadtpark die ehemalige Brache verdrängt.

Eigentümerin des drei Hektar grossen Transformationsareals ist die Stiftung Habitat, die ein Dutzend gemeinnützige und institutionelle Bauträger einlud, sich am Aufbau eines nachhaltigen und durchmischten Quartiers für eine heterogene Anwohnerschaft zu beteiligen. Erlenmatt Ost beherbergt inzwischen rund 500 feste Bewohner und temporäre Hotelgäste. Die letzte Bauetappe, die nächstes Jahr startet, wird Wohnraum für weitere 100 Personen schaffen.

PV-Anlagen auf fast allen Dächern

Bereits die baulichen Mittel und technischen Konzepte sind divers programmiert: Neubauten aus Holz oder Beton reihen sich auf zu einer V-förmigen Blocküberbauung. Die meisten, aber nicht alle sind auf dem Dach mit grossflächigen Photovoltaikanlagen bestückt. Ein Genossenschaftshaus kommt sogar ganz ohne Heizung aus. Ansonsten versorgt sich die Grossüberbauung zu grossen Teilen selbst mit klimafreundlicher Wärme und Strom. Ein externer Dienstleister stellt dazu eine eigene Infrastruktur bereit und liefert die Energie aus erneuerbaren Quellen vor Ort.

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Alle Haushalte und Gewerbebetriebe auf dem Erlenmatt-Areal bilden einen Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV). Die Stiftung Habitat entschied sich dafür zu einem Zeitpunkt, als das Versorgungs-modell auf gesetzlicher Ebene noch nicht anerkannt war.

Mit internen Wärmespeichern

Bis heute ist das Basler Pionierareal der grösste ZEV-Standort der Schweiz und zudem derjenige mit der besten Quote beim Eigenverbrauch: Fast 90 % des vor Ort erzeugten Solarstroms werden zeitnah kon-sumiert. Zum Vergleich: Ein- und Mehrfamilienhäuser mit eigener Photovoltaikanlage erreichen im besten Fall einen Anteil von 40 %. Dass der Basler ZEV-Archetyp so viel Eigenstrom selbst bezieht, hat mit der Arealgrösse, der kombinierten Wohn- und Gewerbenutzung sowie mit einer flexiblen Steuerung des Heizsystems zu tun. Sobald sich ein Überschuss beim Stromertrag ankündigt, gehen Wärmepumpen in Betrieb – selbst dann, wenn kein akuter Wärmebedarf besteht. Mehrere grosse Warmwasserspeicher nehmen die aus dem Grundwasser erzeugte Wärme auf, um sie später in das Heizsystem oder die Wassererwärmung einzuspeisen.

Ökostrom aus dem Stadtnetz

Das Plansoll für die interne Energieproduktion ist allerdings noch nicht erfüllt. Drei Baufelder werden erst in den kommenden Jahren überbaut, und die Dachflächen sind für den PV-Weiterausbau reserviert. Dadurch soll der jährliche Energieertrag von heute 500 000 kWh auf knapp 700 000 kWh steigen. Doch auch so funktioniert das ZEV-Areal wirtschaftlich, bestätigt Bernhard Schocker von der ADEV Genossenschaft, die das Arealnetz auf eigenes Risiko betreibt. Grundlage dafür ist, dass nur etwa die Hälfte der konsumierten Energie aus dem Stadtnetz bezogen werden muss. Dies geschieht in Form von Ökostrom und ohne dass die Arealbewohner dafür mehr bezahlen müssen.

Weitere Beiträge zum Thema sind im digitalen Dossier «Immobilien und Energie» abrufbar.

Denn so lauten die ZEV-Regeln: Für alle Haushalte und Gewerbekunden besteht eine Anschlusspflicht. Im Gegenzug darf der Areal-strom nicht mehr kosten, als wenn die Energie vom Stadtwerk eingekauft würde. Die Stiftung Habitat und der Arealversorger haben sogar vereinbart, allfällige Gewinne aus dem ZEV-Betrieb für die lokale Nachhaltigkeitsförderung zu verwenden.

Generelle Stromsparer

Ein positiver Nebeneffekt der Inselversorgung ist: Im Gegensatz zur gängigen -Praxis bezahlen Grossverbraucher und Sparfüchse ein und denselben Stromtarif. «Eine interne Querfinanzierung gibt es bei uns nicht», bestätigt Schmocker. Weil die Erlenmatt-Bewohnerinnen und -Bewohner generell wenig Strom konsumieren, werden sie – dank dem ZEV-Modell – auch ökonomisch belohnt. Ein mehrjähriges Monitoring ergab dazu: Der Stromverbrauch im Erlenmatt-Quartier ist – pro Kopf – zwei Fünftel niedriger als im städtischen Mittel. Und für die Wärme benötigen die ZEV-Bewohner nur 20 % des Energieaufwands, der ein Basler Durchschnittshaushalt konsumiert. Dies vor allem dank einem hohen Baustandard der Wohnsiedlung.

Erlenmatt Ost, Basel
 

Eigentümer/Arealentwicklung:
Stiftung Habitat, Basel

Baurechtsnehmer: gemeinnützige und
institutionelle Bauträgerschaften

Nutzung: 13 Gebäude (Wohnen, Gewerbe, Studentenwohnungen, Gastronomie, Schule)

ZEV-Contracting:
ADEV Energiegenossenschaft, Liestal (BL)

Grundstücksfläche: 30 000 m2

Bausumme: 200–250 Mio CHF

Realisierung: 2016–2019 / 3. Etappe ab 2023

Wärme: Grundwasser (mit Wärmepumpe)

Strom: PV-Strom, externer Ökostrom

Mit Unterstützung von energieschweiz und Wüest Partner sind bei espazium – Der Verlag für Baukultur folgende Sonderhefte erschienen:

Nr. 1/2018 «Immobilien und Energie: Strategien im Gebäudebestand – Kompass für institutionelle Investoren»

Nr. 2/2019 «Immobilien und Energie: Strategien der Vernetzung»


Nr. 3/2020 «Immobilien und Energie: Strategien der Transformation»


Nr. 4/2021 «Immobilien und Energie: Mit Elektromobilität auf gemeinsamen Pfaden»

Nr. 5/2022 «Immobilien und Energie: Strategien des Eigengebrauchs»


Die Artikel sind im E-Dossier «Immobilien und Energie» abrufbar.

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