Der Nut­zer im Mit­tel­punkt

In Bern wurde das Label «Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz 2.0» lanciert. Basis der Zertifizierung ist die SIA 112/1. Gesellschaftliche Kritierien rücken verstärkt ins Zentrum der Nachhaltigkeitsindikatoren.

Publikationsdatum
15-09-2016
Revision
16-09-2016
Luca Pirovino
Dipl. Kultur-Ing. ETH/SIA, MAS Energie-Ing., Verantwortlicher Themenfeld Energie und Berufsgruppe Technik (BGT)

Die Erwartungshaltung war gross, als am 23. August 2016 im voll besetzten Saal des Hotel Bellevue Palace in Bern Elvira Bieri, Geschäftsführerin der SGS Société Générale de Surveillance Schweiz, die Infoveranstaltung zur Lancierung des Labels «Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz» (SNBS 2.0) eröffnete.

Der SNBS 2.0 als Instrument zur Planung nachhal­tiger Bauten wurde in einer ausführlichen Testphase geprüft und ist in der Branche bereits entsprechend bekannt. Er kommt in der überarbeiteten Form kompakter, ohne Redundanzen und eben als zertifizierendes Label daher. Wie der neue SNBS 2.0 methodisch aufgebaut ist, erklärte Joëlle Zimmerli, die als technische Projektleiterin massgebend an seiner Entwicklung beteiligt war. Der Mehrwert des neuen Standards liegt für sie vor allem darin, dass er als Projektentwicklungsinstrument die Komplexität reduziert. Um dies zu erreichen, wurde die Anzahl der ­Kriterien gegenüber der Vorgängerversion von 78 auf 45 verringert. 

Brauchen wir noch ein weiteres Label? 

Aber braucht die Schweiz tatsächlich ein weiteres Nachhaltigkeits­label? Daniel Büchel, Vizedirektor des Bundesamts für Energie, ging in seinem Referat auf genau diese Frage ein. Wolle man sich im Bauen den anstehenden Herausforderungen tatsächlich stellen und die Siedlungspolitik der Schweiz in die richtige Richtung entwickeln, komme ein «Weiter wie bisher» nicht infrage. Es gehe nicht mehr primär ums Technische, wo in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte erzielt wurden. Ziel von SNBS sei es, eine gesellschaftliche Entwicklung anzustossen, eine Bewegung entstehen zu lassen, die den Nutzer in den Mittelpunkt stellt. Denn der Nachhaltigkeitsgedanke beinhalte per Definition neben Umwelt und Wirtschaft auch die gesellschaftlichen Aspekte. 

SNBS 2.0 basiert inhaltlich auf der SIA 112/1 Nachhaltiges Bauen – Hochbau. Der Standard beinhaltet 45 Indikatoren – gleichmässig auf die drei Themen der Nachhaltigkeit aufgeteilt –, die bei Neubauten alle erfüllt sein müssen. Bei jedem Indikator muss mindestens die Note 4 (genügend) erreicht werden. Ein sogenanntes Whitewashing, eine Kompensation von Schlecht mit Gut, wird dadurch verhindert. 

Der Beitrag an eine nachhaltige Entwicklung und der Mehrwert als Projektentwicklungsinstrument stehen im Vordergrund. Es geht darum, im Kontext angemessene Lösungen zu finden, in der Projekt­entwicklung die richtige Flughöhe zu behalten und, wo möglich, die Komplexität zu reduzieren. Für eine Zertifizierung nach SNBS ist es also nicht nötig, unzählige Ordner zu füllen. Das Ziel steht im ­Vordergrund, und es soll ein breit abgestützter Gesinnungswandel entstehen. Oder wie es Elvira Bieri ausdrückte: «Lieber 1000 Gebäude mit SNBS-Silber anstatt drei mit SNBS-Platin als höchster Auszeichnung zertifizieren.» 

Dennoch wird mit der Maison Olympique des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne, die als Beispiel vorgestellt wurde, nicht der Durchschnitt, sondern die Exzellenz anvisiert. Der Bauherr Thierry Tribolet erläuterte in Bern die Vorzüge des Ersatzneubaus. Die Nachhaltigkeit sei bei diesem Projekt von Beginn an ein primäres Ziel gewesen. Das Haus integriert sich sehr gut in die Umgebung; es entstand eine neue Buslinie zum Gebäude, und die Nutzeran­sprüche wurden intensiv in die Planung einbezogen.

Daran anknüpfend stellte Francine Wegmüller vom Büro Weinmann Energies, verantwortlich für die Zertifizierung nach SNBS 2.0, die technischen Stärken des Neubaus vor: kompaktes Gebäude, Kühlung zu 100 % mit erneuerbarer Energie (Seewasser) und dazu eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 200 000 kWh. Da der Bauherr das Platinum-Label anstrebte, sind keine Kompromisse möglich, und bei jedem Indikator sollte das Maximum herausgeholt werden. Der Planungsprozess an sich wurde durch den Zertifizierungsprozess nicht einfacher, aber genau dieser ermöglichte es, das Gebäude wertvoll zu verbessern. 

Zum Abschluss der Veranstaltung wurde das erste Gebäude nach SNBS 2.0 zertifiziert und das Zertifikat an den Bauherrn übergeben: Es ist das Gebäude «Twist Again» – Hauptsitz der Losinger ­Marazzi AG im Berner Wankdorf.
 

Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz
Weitere Informationen sind erhältlich unter: www.snbs-cert.ch

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