Co­ro­na als Ka­ta­ly­sa­tor für nach­hal­ti­ges Bau­en und Le­ben?

Kommentar

Die Corona-Pandemie gleicht einer grossen Pause für das öffentliche Leben. Die Welt lag im Schockzustand. Sobald sich jedoch die erste Panik legte, mehrten sich die Stimmen, die sagten: Corona will uns lehren, uns mit dem Wesentlichen auseinanderzusetzen. Die Krise hat uns Veränderungen vor Augen geführt, die wir vorher nicht für möglich gehalten hätten.

Publikationsdatum
26-05-2020

Ständiger Terminstress ist durch freie Abende und ausgedehnte Spaziergänge ersetzt worden. Wir haben gelernt, dass es durchaus möglich ist, weniger zu konsumieren. Ganz nebenbei wurde wertvolle Zeit für andere Dinge frei. Unser Radius hat sich verkleinert. Dadurch haben wir die Vorzüge des Lokalen wiederentdeckt. Lokal wird eingekauft, gearbeitet und die Beziehungen zu Nachbarn, Familie und Freunden gestärkt.

Wir haben erkannt, dass die freie Marktwirtschaft allein eine solche Krise nicht lösen kann. Sie kann gegen die Verbreitung eines Virus ebenso wenig ausrichten wie gegen das Auftreten von Naturkatastrophen. Zudem verschärfen sich in Krisenzeiten die sozialen Ungleichheiten in der Gesellschaft.

Trotz unterschiedlichsten Lebenswelten bleiben die Menschen weltweit aus Solidarität mit ihren älteren und kranken Mitbürgern zu Hause. Plötzlich ist es möglich, auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten. In den Medien heisst es oft, dass unsere Gesellschaft nach Corona eine andere sein wird. Doch wird sie das automatisch?

Wenn wir weiterhin nur kurzfristig denken und handeln, dann wird es nach den Lockerungen der Massnahmen so weitergehen wie bisher. Wir stehen den extremen Auswirkungen der Klimakrise gegenüber, die langfristig die Zerstörung unserer Lebensgrundlage zur Folge haben. Wie bei Corona sitzen wir dabei alle im selben Boot.

Vielleicht ist diese Krise keine Pause, sondern ein Startpunkt für den dringend notwendigen gesellschaftlichen Wertewandel. Durch den Bruch mit dem Gewohnten wird deutlich, dass die Welt ganz anders aussehen könnte. Im Sinn einer Kurskorrektur sollten wir unsere Gesellschaft nicht länger vom Wachstumszwang abhängig machen, sondern auf qualitative Entwicklung setzen.

Ein solcher Wandel kommt jedoch nicht von allein. Wir müssen uns aktiv dafür entscheiden. Bevor unsere Systeme wieder voll hochgefahren werden, können wir die Weichen neu stellen und unser Leben in eine andere Richtung lenken. Dies ist keine Bürde, sondern eine Chance, uns als Menschheit weiterzuentwickeln.

Viele fühlen sich durch die Komplexität der Klimakrise entmutigt und wissen nicht, wo sie beginnen sollen. Doch jede*r Einzelne kann im eigenen Wirkungsbereich Veränderungen anstossen. PlanerInnen und ArchitektInnen tragen eine grosse Verantwortung, da das Bauwesen weltweit 40% der CO2-Emissionen verursacht.

In unserer Branche wollen wir dazu ermuntern:

Nutzt weiter und baut um! Wo immer möglich muss bestehende Bausubstanz genutzt werden, statt sie abzureissen und neu zu bauen. Lokales Denken bedeutet auch, vorhandene Ressourcen zu erkennen. Im Sinn der Kreislaufwirtschaft können viele Bauteile wiederverwendet werden. Dies sollte bereits bei der Planung von Gebäuden mitgedacht werden.

Wohnt kleiner! Beim Wohnen und anderen Nutzungen muss der Flächenverbrauch pro Person verringert werden. Genügsamkeit statt Luxusdenken. Die Krise zeigt, wie wenig man wirklich braucht.

Denkt gemeinschaftlich! Räume sollten vermehrt geteilt werden und Mehrfachnutzungen zulassen. Es geht um das Denken in Netzwerken und Beziehungsgeflechten. Zudem sollte man gemeinschaftliche Aktivitäten ermöglichen, um die Solidarität zu erhalten.

Plant grüne Städte! Ähnlich wie in südlichen Ländern könnte das Leben vermehrt auf der Strasse stattfinden. Dazu müssen jedoch Städte im menschlichen Massstab geplant werden und der öffentliche Raum attraktiver sein. Kühlende Massnahmen gegen Hitzestress, wie die Bepflanzung mit Bäumen, Entsiegelung und die Schaffung von Durchlüftungskorridoren sind nötig, um die Aufenthaltsqualität zu erhöhen.

Schafft Räume für Menschen! Öffentliche und private Räume sollten nicht der Renditemaximierung dienen, sondern müssen die Diversität der Lebensformen abbilden. Aneigenbare Räume können vielfältiger genutzt werden, sind langlebiger und daher nachhaltiger.

Geht zu Fuss! Unsere Lebensweise benötigt viele Ressourcen. Das Ersetzen von fossilen Brennstoffen durch regenerative Energieträger im Betrieb von Gebäuden, bei der Produktion von Baumaterialien und in der Mobilität ist unbedingt notwendig. Zudem muss der Langsamverkehr gestärkt werden.

Schützt natürliche Lebensräume! Die Zersiedelung muss gestoppt werden, um die Biodiversität zu schützen. Die Verbreitung des Coronavirus zeigt, dass Krankheiten vor allem in zerstörten Ökosystemen vom Tier auf den Menschen übertragen werden. Gesunde Ökosysteme regulieren sich selbst. Die Stärkung der Biodiversität macht also auch die Gesellschaft resilienter.

Corona hat gezeigt, dass unsere Lebensweise veränderbar ist. Lasst uns die gewonnenen Erkenntnisse dazu nutzen, um das Problem der Klima- und Biodiversitätskrise anzugehen. Jetzt ist der richtige Moment, um aktiv zu werden!

Der Verein Countdown 2030 ist ein stetig wachsendes Architektenkollektiv, das unter dem Namen «Countdown 2030» die Auswirkungen unseres beruflichen Handelns auf den Klimawandel einer grossen Zahl von PlanerInnen und ArchitektInnen bewusst machen möchten. 

 

Mehr Infos unter:
www.countdown2030.ch

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